Störungsstufen und Interventionen
Sie können direkt und indirekt vorgehen
Ansätze, die Hinweise für den Umgang mit schwierigen Lehrsituationen liefern und auf die die Hochschuldidaktik zurückgreift, kommen aus der Erwachsenenbildung (vgl. Meier 2012, Szepansky 2010, Bolder 2009), der Schulpädagogik (vgl. Rubach u.a. 2021, Städeli u.a. 2019, Lenske u.a. 2015) sowie aus dem Konfliktmanagement (Glasl 2020, Gührs u.a. 2014). Schumacher (2011, 2022) hat daraus ein Modell für die Hochschullehre entwickelt, das sechs Störungsstufen mit direkten und indirekten Interventionen unterscheidet:
Beispiel: Seitengespräche in der Präsenzlehre
1 Ignorieren
Beispiel: Studierende führen ein Seitengespräch.
Viele Störungen können Sie zunächst ignorieren. Störungen tauchen immer wieder mal auf, wenn etwa ein Handy klingelt oder jemand zu spät kommt.
Hinweis: Lehrende, die Störungen über einen längeren Zeitraum ignorieren, weil sie es nicht bemerken oder sich nicht dafür verantwortlich fühlen, kann es passieren, dass die Störung immer mehr Vorrang nimmt (vgl. Richter 2013). Sie schwebt dann unausgesprochen mit im Raum und nimmt Aufmerksamkeit. Umgangssprachlich wird dann davon gesprochen, dass „ein Elefant im Raum ist“. Die entsprechende Empfehlung lautet: „Wenn ein Elefant im Raum ist, dann stelle ihn vor.“
2 Nonverbales Ansprechen
Beispiel: Studierende führen das Seitengespräch weiter.
Zunächst können Sie eine indirekte Aufmerksamkeit auf den Störungsherd legen, indem Sie körpersprachlichen Kontakt aufnehmen und (wenn möglich) in die Nähe laufen bzw. Blickkontakt aufnehmen und dabei normal weiterlehren.
3 Ansprechen
Beispiel: Studierende sind weiter im Gespräch.
Sie sprechen die Studierenden nun thematisch an und laden Sie ein, sich zu beteiligen „Haben Sie eine Frage zum Thema?“ Die Studierenden bringen entweder tatsächlich einen inhaltlichen Beitrag ein oder sie haben registriert, dass Sie sie im Blick haben.
Hinweis: Lehrenden kann es hier passieren, dass sie selbst eskalieren, weil sie vielleicht genervt sind und dann in einem vorwurfsvollen Ton sagen: „Die Veranstaltung interessiert Sie wohl nicht! Sie haben wohl Besseres zu tun als zuzuhören!“ Die Idee für den konstruktiven Umgang mit Schwierigkeiten ist, diese „sportlich“ zu nehmen und den Studierenden Türen zu öffnen, anstatt sie zu blamieren. Dabei hilft es, eine moderierende oder fragend-forschende Haltung einzunehmen.
4 Unterbrechen
Beispiel: Das Seitengespräch geht weiter.
Nun folgt eine weitere noch indirekte Intervention, nämlich das Unterbrechen. Dieses beinhaltet Maßnahmen, die die Störung unterbindet, ohne explizit auf sie einzugehen. Dies geschieht etwa durch einen Medien-, Methodenwechsel oder eine kurze Pause. Hier könnten etwa Murmelgruppen (Zweiergespräche zu einer Fragestellung) eingesetzt werden. Beim Durchzählen bekämen die Studierenden dabei bewusst andere Gesprächspartner:innen zugeteilt.
Eine Unterbrechung ergibt sich auch durch den wöchentlichen Sitzungsrhythmus im Semester. Sie können also auch schlichtweg abwarten, ob die Störung beim nächsten Mal überhaupt wieder auftritt.
Viele Lehrende berichten, dass sie die meisten Störungen mit diesen ersten vier noch indirekten Interventionen sehr gut beenden können. Setzt sich die Störung allerdings weiter fort, kommt es zu höheren Störungsstufen und Interventionen der direkten Thematisierung und Konfliktbearbeitung.
5 Thematisieren
Beispiel: Die Studierenden führen nach der Murmelrunde das Zwischengespräch weiter.
Nun sollte die Störung explizit thematisiert und angesprochen werden. Dabei können Ihnen diese Formulierungen helfen: Was nehme ich wahr? Wie wirkt es auf mich? Was wünsche ich mir? Beispiel: „Ich nehme wahr, dass Sie miteinander im Gespräch sind, das stört mich in meiner Konzentration und andere wahrscheinlich auch. Bitte führen Sie Ihr Gespräch nach der Sitzung weiter oder suchen Sie sich einen anderen Ort dafür.“
Hinweis: Nicht immer bekommt man ein Problem mit oder man hat nicht direkt eine Lösung parat. Sie haben immer die Möglichkeit, das Problem in der nächsten Sitzung anzusprechen. Beispiel: „Ich möchte nochmal auf die letzte Sitzung eingehen. Ich fand die Art des Feedbacks für die anderen Kommiliton:innen wenig konstruktiv und es entsprach nicht den Feedback-Regeln, die wir anfangs vereinbart hatten. Ich möchte alle darum bitten, in Zukunft wieder auf diese zu achten.“
6 Konfliktbearbeitung
Beispiel: Auch nach diesem Thematisieren geht das Gespräch weiter.
Bei der sechsten Störungsstufe kommt es zu expliziten Interventionen und Strategien aus dem Konfliktmanagement, da der Konflikt immer mehr Vorrang nimmt und nicht im laufenden Lehrbetrieb und „nebenbei“ geklärt werden kann. Solche Gespräche finden dann in der Pause, beim Rausgehen oder in der Sprechstunde statt. Dann als Konfliktgespräch oder -moderation, die Vorbereitung, Zeit und einen passenden Rahmen braucht.
Es macht einen Unterschied, ob Schwierigkeiten und Konflikte im Plenum, in einem Seiten- oder Pausengespräch oder in der Sprechstunde thematisiert bzw. bearbeitet werden. Sie können Studierende beim Rausgehen ansprechen oder, wenn sich die Störung weiterhin nicht regeln lässt, diese in die Sprechstunde bitten.
Hinweis: Bei manchen eskalierenden Konflikten werden solche Konfliktgespräche mit allen Beteiligten und weiteren Personen geführt. Dabei können sich sowohl Lehrende Unterstützung einholen, wenn etwa noch jemand aus dem Dekanat teilnimmt, und Studierende können jemanden zur Unterstützung mitbringen. Manchmal werden Kolleg:innen als Konfliktmoderator:innen eingesetzt oder externe Mediator:innen hinzugezogen.
Sie sollten immer bedenken, dass Sie sich in einer höheren Macht- und Autoritätsposition befinden, die sich u.a. aus der Prüfungsfunktion ergeben. Auch wenn Sie selbst betroffen oder verärgert sind, sollten Sie in solchen Gesprächen einen „klaren Kopf“ behalten und einen professionellen Umgang in der Situation finden. Ein kollegialer Austausch oder (kollegiale) Beratung können der eigenen „Psychohygiene“ dienen und bei der Vorbereitung solcher Gespräche helfen, weil unterschiedliche Perspektiven einfließen.
Was ist Ihr letztes Mittel?
Vielleicht lag Ihnen bei der Beispielsituation „Seitengespräch“ auf der Zunge, die Studierenden nachdrücklich aufzufordern „Verlassen Sie die Lehrveranstaltung!“ Dabei sollten Sie jedoch bedenken: In manchen Fakultäten würden sich Studierende vielleicht tatsächlich fügen, es wird aber wahrscheinlich ein „Nachgeschmack“ in der Veranstaltung bleiben, der mit einem Raunen oder Seitengesprächen einhergeht. Studierende sind vielleicht überrascht oder schockiert, manche verunsichert und eingeschüchtert. Andere klopfen vielleicht sogar auf den Tisch, weil sie es richtig fanden, dass Sie durchgegriffen haben. Die Anwendung des Hausrechts ist zugleich eine Störung, mit der Sie geschickt umgehen müssen, damit der Lehrbetrieb danach wieder möglich ist.
Es kann aber auch zum Machtkampf kommen, wenn sich Studierende weigern den Raum zu verlassen. Sie stehen dann vor einem neuen Problem: „Was jetzt?“. Sie sollten deshalb vorab überlegen, was Sie in solchen Fällen machen. Viele Lehrende berichten, dass es ihnen wichtig ist, Mittel wie etwa das Hausrecht zu vermeiden und Schwierigkeiten eher frühzeitig zu thematisieren.
TIPP: Bevor Sie größere Maßnahmen ergreifen, bietet es sich an, diese im Vorhinein zu thematisieren, etwa wie in dieser Formulierung „Ich habe Sie jetzt mehrmals gebeten die Seitengespräche zu unterlassen. Bitte halten Sie sich daran, ich will Sie nur ungern rauswerfen müssen.“
In der synchronen-Onlinelehre ist der Ausschluss aus einer Veranstaltung mit nur einem Klick möglich und wird andere Studierenden wahrscheinlich kaum tangieren, weil sie sich nicht gemeinsam in einem Raum befinden. Gleichwohl sollten Sie sich auch hier vorab informieren, inwiefern solche Interventionen üblich sind und welche Konsequenzen dies mit sich zieht. So kann es sein, dass den betroffenen Studierenden die Möglichkeit des Nacharbeitens haben müssen.
Im Ernstfall
Wenn eine Situation eskaliert oder es zu einer Ausnahmesituation kommt, überschreitet dies die Grenze zu herkömmlichen Herausforderungen in der Lehre und führt zumeist zu einer Unterbrechung bzw. zum Abbruch der Veranstaltung. Neben den je individuellen Umgangsweisen, gibt es darüber hinaus Situationen, bei denen Sie verpflichtet sind zu handeln, wie etwa bei strafrechtlich relevanten Äußerungen. Rau u.a. (2016) stellen Handlungsempfehlungen für unterschiedliche Gefährdungssituationen vor.
Informieren Sie sich beim Prüfungsamt oder an anderer Stelle über die Mittel, die Ihnen in schwierigen Situationen zur Verfügung stehen, auch, wie mit dem Hausrecht umgegangen wird. Klären Sie, an wen Sie sich im Ernstfall wenden können.