Zusammenhang von Didaktischer Prävention sowie Störungsstufen und Interventionen
Im Folgenden werden einige ausgewählte Beispiele im Zusammenhang von didaktischer Prävention, Störungen und Interventionen näher vorgestellt.
„Bitte machen Sie die Kamera an!“
Beispiel: Einsatz der Kamera in der synchronen Online-Lehre
Der Einsatz der Kamera/ Videofunktion in der digitalen Lehre war zu Beginn der Pandemie ein zentrales Problem für viele Lehrenden und zeigt als Beispiel für die synchrone Online-Lehre den Zusammenhang von didaktischer Prävention, möglichen Schwierigkeiten und den Formen des Umgangs damit auf (vgl. Schumacher 2022). Empfehlungen für den Einsatz der Kamera gibt auch das Hochschulforum Digitalisierung.
Reflexion
Wie ist der Einsatz der Kamera geregelt? Gibt es Vorgaben der Universität zur Kameranutzung? Lässt die technische Bandbreite eine Kameranutzung zu? Gibt es einen gemeinsamen digitalen Knigge oder muss die Nutzung in der Lehrveranstaltung jeweils neu ausgehandelt werden?
Wie gehen andere Kolleg:innen damit um?
Ist der Einsatz der Kamera für meine Lehrveranstaltung und die Erreichung der learning outcomes überhaupt notwendig?
Haben die Studierenden entsprechende Zugänge und Geräte, die eine Nutzung möglich machen und sind sie bereit, sich in ihrem eigenen privaten Umfeld zu zeigen? Durch welche warm-ups oder didaktische Vorgehensweisen, kann ich die Studierenden dazu bringen, mit der Kamera teilzunehmen?
Vor allem aber: Was brauche ich, um gut Lehren und Studierende beim Lernen unterstützen zu können?
Vielen Lehrenden ist der Einsatz der Kamera vor allem in seminaristischen Veranstaltungen wichtig, weil diese von Studierenden mitgetragen werden sollen. Methodische Einstiege wie Abfragen mit Einsatz der Kamera, informelle persönliche Gespräche vor und nach der Lehrveranstaltung helfen, die Beteiligung via Kamera zu erhöhen. So begann eine Lehrende ihr Seminar beispielsweise mit diesem Intro: „Willkommen im Seminar. Ich brauche in jeder Sitzung mindestens acht Studierende, die die Kamera anhaben. Ich werde also in jeder Sitzung so lange warten, bis acht Kameras an sind.“ Nachdem sie zu Beginn abgewartet und die Pause jeweils ausgehalten hatte, stellten sich die Studierenden darauf ein und machten tatsächlich mehr und mehr via Kamera mit.
In Online-Vorlesungen und großen Gruppen eignen sich die Audiofunktion, Abfragetools und Fragen und Kommentare via Chat. Der gemeinsame Blick auf die Folien über die Bildschirmansicht setzt dabei den gemeinsamen Fokus und Pausen sind dadurch leichter auszuhalten. Diese entstehen, wie in der Präsenzlehre auch, übrigens häufig, weil Studierende noch nachdenken! (Tipp: Zählen Sie bis 30!)
Geht es im Anschluss in Breakoutsessions, kann es jedoch passieren, dass auch dort die Kameras ausbleiben. Kündigen Sie deshalb zu Beginn an, wie damit umgegangen wird. Hier zwei Beispiele:
„Die Breakoutsessions sind freiwillig. Gehen Sie nur dazu, wenn Sie sich aktiv einbringen wollen. Um 11.20 Uhr geht es dann im digitalen Plenum weiter.“
„Ich komme zu Ihnen in die Breakoutsessions. Wenn die Kameras aus sind und über Audio zusammenarbeiten, ist das o.k. Sollte ich aber auf meine Nachfrage keine Antwort erhalten, gehe ich davon aus, dass Sie nicht an der Breakoutsession teilnehmen, und werde Sie entfernen.“
Der Umgang mit der Kamera zeigt, dass Interventionen und Maßnahmen von vielen Faktoren abhängen: Was ist Ihr eigenes Konzept und was braucht es für die Erreichung der Lernziele? Inwiefern gehen Sie anders mit der Kamera um als Kolleg:innen, weshalb sich Studierende dann darauf einstellen bzw. umstellen müssen? Ermöglichen die unterschiedlichen Zugänge, Geräte und Bandbreiten überhaupt die Teilnahme mit Kamera? Ist Vertrauen und Bereitschaft in der Gruppe vorhanden, um sich auf diese Art zu zeigen und zu öffnen?
Reflexion
Was brauchen Sie in diesem Zusammenhang, um gut lehren zu können und was ist realistisch machbar?
„Hat noch jemand eine Frage?“
Beispiel: Geringe Beteiligung
Ein weiterer „Klassiker“, den Lehrende immer wieder beklagen, ist die geringe Beteiligung von Studierenden. Das Phänomen, dass sich immer die gleichen Studierenden beteiligen und es sehr lange dauern kann, bis die Lernenden etwas sagen, ist sowohl in der Präsenzlehre als auch in der synchronen Onlinelehre zu beobachten.
Die folgende Tabelle gibt einige Hinweise für mögliche Gründe und Maßnahmen. Weitere Ausführungen zur didaktischen Prävention beschreibt Schumacher 2022, 148 f.
Gründe für geringe Beteiligung: |
Mögliche Maßnahmen: |
Es ist nicht klar, dass die kritische Diskussion ein explizites Lernziel ist. |
explizit machen, exemplarisch anleiten und aufzeigen |
Sie sind (noch) nicht am Thema oder der Fragenstellung interessiert. |
Aufmerksamkeitswecker, besuchende Haltung ignorieren oder konfrontieren |
Sie brauchen mehr Zeit zum Nachdenken. |
Bedarf erfragen, mehr Zeit geben |
Sie sind stillaktiv. |
würdigen, Integrieren durch Aufgaben |
Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht oder wurden beschämt. |
wertschätzendes Klima schaffen, fehlerfreundlich und nahbar ein |
Sie sind unsicher, ob sie überhaupt wissenschaftliche Beiträge leisten können. |
mit kleinen Übungen einsteigen, Beiträge einordnen und Bezüge herstellen (Reframing) |
Sie haben noch kein Vertrauen zur Lehrperson oder Kommiliton*innen. |
Zeit geben, Vorbild sein, Kennenlernen und Austausch fördern |
Sie sind von auftretensstarken Studierenden oder höheren Semestern eingeschüchtert. |
alle Beiträge wertschätzen, auf gleichmäßige Redebeiträge achten, Gruppenarbeit einsetzen, ggfs. dazu Stellung nehmen |
Sie haben andere Lernpräferenzen, hören lieber zu oder denken lieber selbst nach. |
würdigen, individuelle Lernwege zulassen, ggfs. auf Lernziele wie kommunikative Kompetenzen hinweisen, Schreibdiskussion |
Sie erkennen in der synchronen Online-Lehre nicht, ob und wann sie sprechen sollen. (Verantwortungsdiffusion) |
Abfragen nutzen, Meldeketten, Aufruf nach digitalem Handheben |
Sie sind abgelenkt und mit anderen Dingen beschäftigt. |
weiter einladen, Konsequenzen verdeutlichen, ignorieren, ggfs. konfrontieren |
Tabelle 1: Gründe für geringe Beteiligung Studierender und mögliche Lehr-Maßnahmen. Quelle: Schumacher 2022, S. 151
TIPPS:
- Halten Sie Pausen aus. Sie geben Studierenden damit Zeit zum Nachdenken.
- Stellen Sie eher offene Fragen. „Welche Fragen haben Sie dazu?“ anstatt „Haben Sie eine Frage?“
- Würdigen Sie Beiträge und ermutigen Sie so zu mehr Beteiligung. (Ein Kollege drückte dies so aus: „Lieber ein falscher Beitrag als keiner. Denn damit kann ich arbeiten“).
- Nehmen Sie zu allen Blickkontakt auf. Nutzen Sie in der Vorlesung „Blickinseln“ und vergessen Sie die am Rand Sitzenden nicht. Studierende fühlen sich durch Blickkontakt eher gesehen, aufgefordert oder eingeladen. Online: Bilden Sie Meldeketten, bei denen sich Studierende gegenseitig oder alphabetisch aufrufen.
- Bedenken Sie, dass einige Studierende „stillaktiv“ oder auch introvertiert sind. Sie denken mit, wollen oder können sich aber nicht einbringen. Hier können Schreibaufgaben oder Kleingruppen helfen. Ermöglichen Sie verschiedene Lernwege und -zugänge.
- Erinnern Sie sich, dass Sie als Student:in wahrscheinlich auch nicht in allen Lehrveranstaltungen immer aktiv dabei waren und auch Prioritäten gesetzt haben.
„Gruppenarbeit bringt doch eh nichts!!“
Beispiel: Umgang mit Einwänden
Studierende bringen sich manchmal – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – auf eine für Lehrende eher unangemessene Art und Weise ein, äußern Meinungen, Bedenken oder Zweifel recht deutlich. Andere provozieren sogar bewusst, indem sie beispielsweise die Kompetenzen der Lehrkraft in Frage stellen.
Hier besteht nun die Kunst darin, dass Sie sich nicht provozieren lassen und möglichst professionell und konstruktiv damit umgehen. Dabei hilft eine eher neutral-moderierende bzw. fragend-forschende Haltung, deren Ziel es ist, auch aus solchen Einwänden Lern- und Erkenntnisprozesse anzuregen. Dabei ist es wichtig, dass Sie weniger auf den „Ton“ reagieren, sondern versuchen, den Beitrag konstruktiv zu wenden.
Wie Sie Einwänden möglichst konstruktiv begegnen können, zeigen die folgenden Gesprächsführungstechniken, die verschiedenen Kommunikations- und Coachingansätzen entnommen und von Schumacher (2022) für die Hochschullehre übertragen wurden, an folgendem Beispiel:
„Gruppenarbeit bringt doch eh nichts!“
Stellen Sie sich vor, Sie haben die didaktische Konzeption, Ziele und Vorgehensweisen zu Beginn transparent gemacht und kommen nun zu einer Aufgabe, die in Gruppenarbeit bearbeitet werden soll. Da ertönt eine Stimme, die genervt ruft „Gruppenarbeit bringt doch eh´ nichts!!!!“
So könnten Sie reagieren:
- Wertschätzendes Verstehen und lösungsorientiertes Nachfragen: „Für Sie bringt Gruppenarbeit nichts. Was braucht es, damit die Gruppenarbeit gelingt?“
- Selbstoffenbarung: „Ich fand Gruppenarbeiten im Studium auch manchmal nervig, bis ich das erste Mal in einem Forschungsprojekt gearbeitet habe und klar war: Gruppenarbeit muss man auch können.“
- Umdeuten: „Sie haben sich offenbar mit den Faktoren beschäftigt, woran Gruppenarbeit scheitern kann. Das ist wichtig, damit wir wissen, was nicht passieren sollte.“
- Vergleich: „Es gibt Einzelsportarten und Gruppensportarten. Fußball spielt man auch nicht allein und dies ist ein Fußballspiel.“
Auf solche Situationen und Einwände angemessen reagieren zu können, bedarf Vorbereitung und Übung. Auch hier können Sie sich wappnen und sich, wie in der didaktischen Prävention, auf typische Einwände und Widerstände einstellen und darauf vorbereiten. Weitere Beispiele, Tipps und Anregungen finden sich bei Schumacher (2022, S. 140 f.)
Lehrende berichten, dass viele Situationen durch ein Augenzwinkern und Humor entschärft werden können. Dies hängt vom eigenen Lehrstil und der Situation ab und sollte nie auf Kosten anderer gehen. Hier zeigt sich der Übergang schwieriger Lehrsituationen hin zum Konflikt. Spielt Stress und Ärger eine Rolle, dann wird Humor zu Zynismus, der als Machtmittel eingesetzt wird.