Inverted Classroom

Es ist unumstritten, dass das reine Zuhören die am wenigste effektive Lernmethode darstellt. Sie müssen sich als lehrende Person bewusst sein, dass Studierende längst nicht alles aufnehmen, was ihnen mitgeteilt bzw. vorgetragen wird. Darüber hinaus wurde in zahlreichen Studien gezeigt, dass die Aufmerksamkeitsspanne bei reinem Zuhören deutlich kürzer ist als es die üblichen 90-minütigen Vorlesungen verlangen.

Weiterhin ist es aufgrund einer heterogenen Zusammensetzung von Studiereden für uns Lehrende praktisch unmöglich, ein für alle passendes Vorlesungstempo zu treffen. Ich erlebe immer wieder Studierende, die sich aufgrund größeren Vorwissens in einer Vorlesung unterfordert fühlen, während andere dem Vortrag schon nach kurzer Zeit nicht mehr folgen können, inhaltlich abgehängt werden und dann Schwierigkeiten haben, den Anschluss wieder zu finden. All diesen Nachteilen kann durch eine Aktivierung von Studierenden bereits vor dem Präsenztermin begegnet werden.

Im „Inverted Classroom“ (auch „Flipped Classroom” genannt) wird der Präsenzveranstaltung eine Selbst­arbeitsphase vorgeschaltet, in der sich die Studierenden mit den Inhalten auseinandersetzen müssen. Diese Phase kann mit Büchern, Vorlesungsskripten oder Online erfolgen. Für das Online-Studium habe ich sehr gute Erfahrungen mit Wikis gesammelt, denn diese erlauben es, neben Texten und Bildern auch Filme und Links zu weiterführenden Inhalten anzubieten.

Dadurch, dass die Inhaltsvermittlung nun nicht mehr in Präsenz stattfindet, können sich die Studierenden ihre eigene optimale Lerngeschwindigkeit wählen. Eventuell fehlende Vorkenntnisse können sofort erarbeitet werden.

Empfehlenswert ist es, wenn Sie den Studierenden mitteilen können, dass für durchschnittliche Lernende die Selbstarbeitsphase ca. 90 Minuten, also so lange wie eine Vorlesung, dauert. Bei der Einführung einer ICM-Veranstaltung lässt sich dies jedoch schwer abschätzen. So habe ich z.B. durch eine Fragebogen­aktion bei den Studierenden abgefragt, wie viel Zeit sie für die Bearbeitung einzelner Themen benötigt haben. Damit hatte ich für das Folgejahr eine Basis zur Optimierung des Zeitbudgets geschaffen.

Die anschließende Präsenzveranstaltung können Sie dazu nutzen, konkrete Fragen zu den Unterlagen zu diskutieren und zu beantworten. Die Studierenden können im Rahmen einer solchen Veranstaltung eher aktiviert werden, was zu einer höheren Intensität und damit zu einer wesentlich größeren inhaltlichen Tiefe des Wissens beiträgt. Zudem bietet die nun zur Verfügung stehende Zeit Freiräume für eine deutlich stärkere Interaktion zwischen Ihnen und den Lernenden, z. B. in Diskussionen oder durch Hilfestellung bei der Bearbeitung von Übungsaufgaben. Die Präsenzveranstaltung kann damit deutlich Lerner-zentrierter gestaltet werden, als dies im Rahmen einer Vorlesung denkbar ist.

Zur Aktivierung der Studierenden in der Präsenzphase ist z.B. die Methode „think-pair-share“ sehr gut geeignet. Sie beginnt mit fünf bis zehn Minuten Reflektion (think). In dieser Zeit sollen sich die Studierenden aufschreiben, was sie in der Inhaltsvermittlung gelernt haben und welche Fragen offen geblieben sind. Es folgen ca. zehn Minuten Abstimmung mit der Nachbarin bzw. dem Nachbarn (pair). In dieser Phase können sich die Studierenden oft schon Fragen gegenseitig beantworten. Die Feststellung gemeinsamer Defizite zeigt den Studierenden, dass sie mit ihren Unklarheiten nicht alleine sind („Bin nur ich so dumm, das alles nicht zu verstehen?“). In der abschließenden Share-Phase schreiben die Pair-Paare ihre gefundenen Fragen auf ein Kärtchen und übergeben sie der lehrenden Person. Diese hat damit eine Sammlung der noch zu behandelnden Fragen, die während der verbleibenden Zeit abgearbeitet werden.

Die Präsenzphase kann auch genutzt werden, um kleine Probleme zu lösen (Berechnungen, Konstruktionsskizzen o.ä.).