Forschungsnahes Arbeiten

In der Fakultät für Biologie an der LMU München setzen wir gerade in den Master-Programmen ganz auf forschungsnahe Lehre. Was heißt das und wie geht das? Die Lehrveranstaltungen sollten einen konkreten Forschungsbezug haben, und Studierende anhand von aktuellen Forschungsfragen und Erkenntnissen lernen, wie in ihrem Fach wissenschaftlich gearbeitet wird. Dabei lernen sie theoretisch dazu, und erkennen, welche Bedeutung dieses Wissen für die Praxis hat und wie sie eigene Erkenntnisse ableiten können. Sie lernen also, wie der Erkenntnisprozess in der Wissenschaft abläuft (Glass 2014).

In Forschungspraktika, welche in den einzelnen Arbeitsgruppen über einen Zeitraum von zehn Wochen abgehalten werden, wird besonders forschungsnah gelehrt. Aber vielleicht haben auch Sie schon die Erfahrung gemacht, dass die Studierenden schlecht vorbereitet in das Forschungspraktikum starten und sich dieses, kaum dass Sie sie eingearbeitet haben, bereits dem Ende neigt. Meine Kollegin Prof. Dr. Macarena Marín und ich wollten das ändern und haben daher ein neues Kurskonzept entwickelt, welches wir “How to design experiments and write a project proposal” genannt haben”. In diesem dreiwöchigen Kurs werden die Studierenden mit einer Forschungsfrage aus unserem Labor konfrontiert. Sie recherchieren den theoretischen Hintergrund zu dieser Frage und stellen geeignete Hypothesen auf, um der Frage nachzugehen. Um die Hypothesen im Labor testen zu können, designen sie geeignete Experimente und überlegen sich den Zeit- und Kostenaufwand, den es braucht, um diese durchführen zu können. Außerdem stellen die Teilnehmenden Rückfallpläne auf, falls sie sich in eine Sackgasse verirren. Auf Basis dieser Arbeit schreiben die Studierenden  einen kurzen Forschungsantrag im Format eines DFG-Einzelantrags, einschließlich Zeitplan und Kostenaufstellung. Die besten studentischen Forschungsanträge belohnen wir mit einem Forschungspraktikum, bei dem die Studierenden tatsächlich ihren eigenen Plan in unserem Labor verfolgen können.

 

Welche Lernziele verfolgen wir dabei?

Unsere Lernziele haben wir nach fachlich-theoretischen, fachlich-praktischen und überfachlichen Zielen sortiert.

(1) Fachlich-theoretische Lernziele

In unserem Labor beschäftigen wir uns mit der Genetik, Molekularbiologie und Biochemie von Pflanzen-Mikroben-Interaktionen. Dabei versuchen wir, genetische Diversität zu nutzen, um Pflanzen-Mikroben besser zu verstehen. Ein Fokus liegt auf der Interaktion zwischen Rhizobien und Hülsenfrüchten und der Entstehung von Wurzelknöllchensymbiosen. Im Kurs sollen sich die Studierenden die grundlegenden biologischen Konzepte, welche für eine erfolgreiche Symbiose notwendig sind, erarbeiten und aneignen. Außerdem gehen Sie einem spezifischen Forschungsthema auf den Grund und machen sich mit der neuesten Literatur vertraut.

(2) Fachlich-praktische Lernziele

Die Studierenden sollen lernen, welche Methoden im Fachgebiet etabliert und in einem vernünftigen Zeit- und Kostenrahmen durchführbar sind. Sie lernen, welche Kontrollen, Bedingungen und Probengrößen sie benötigen, um ein aussagekräftiges Experiment durchführen zu können. Die Planung der Experimente wird mit Methoden der Bioinformatik unterstützt und ergänzt. So werden zum Beispiel geplante Klonierungen bereits in silico durchgeführt, Primer designed und phylogenetische Analysen durchgeführt. Die dadurch erworbenen Erkenntnisse fließen als Vorarbeiten in den Forschungsantrag mit ein und wirken sich günstig auf deren Bewertung aus.

(3) Fachübergreifende Lernziele

Unterstützt durch regelmäßige Feedbackrunden (angeleitet durch Peers, Tutor*innen und Dozierende) lernen die Studierenden, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert und angewendet wird. In einem kollaborativen Ansatz lernen sie, Literatur effektiv zu recherchieren und zu evaluieren, Experimente stimmig zu planen und kohärent wissenschaftlich zu schreiben.

 

Wie werden diese Lernziele im Kurs adressiert?

(1) Fachlich-theoretische Lernziele

Für die Vermittlung fachlich-theoretischer Lernziele verwenden wir ein breites Repertoire an Lehrmethoden. So beginnen wir unseren Kurs bereits einige Wochen vorher mit einer Einführungsvorlesung zum Thema Pflanzen-Mikroben-Interaktionen. Dem folgt eine asynchrone Lernphase, in der die Studierenden in Eigenarbeit die Gelegenheit haben, sich auf den Kurs vorzubereiten. Dazu bekommen die Studierenden Zugang zu einer Reihe von Reviews, einer Videovorlesung und den von uns gestellten Forschungsfragen. Bis zum Kurs sollen sie sich soweit mit dem Thema befasst haben, dass sie eine Idee haben, für welche der Forschungsfragen sie sich begeistern.

Außerdem verteilen wir Seminarthemen (Journal Club), welche ebenfalls der Verfestigung des thematischen Hintergrundes dienen. Während der ersten zwei Wochen des Kurses tragen jeden Vormittag Studierende zwei Themen vorgetragen und diskutieren sie mit den übrigen Teilnehmenden. So können die Lernenden das theoretische Fachwissen in den ersten beiden Wochen verfestigen. Abhängig von der gewählten Forschungsfrage bilden wir Kleingruppen aus maximal vier Studierenden, die gemeinsam ihr gewähltes Forschungsthema diskutieren und für die “State of the Art”-Sektion des Forschungsantrags aufbereiten. Dabei bieten Dozierende Konsultationen an, in denen sie offene Fragen klären und Feedback zu den einzelnen Abschnitten geben.

(2) Fachlich-praktische Lernziele

Für die Vermittlung fachlich-praktischer Lernziele ist die Kombination aus dem Kurs „How to design experiments and write a project proposal“ und dem Forschungspraktikum von entscheidender Bedeutung. Zum einen lernen die Studierenden im Kurs, wie sie Experimente sorgfältig planen, zum anderen wenden sie direkt Methoden der Bioinformatik an, um diese in silico vorzubereiten. Dazu stellen wir Publikationen und Protokolle für etablierte Methoden bereit und besprechen diese in Kleingruppen, wobei wir den Studierenden durch gezielte Fragen Impulse geben wollen, die Lösung selbst herauszufinden. Dabei legen wir insbesondere Wert darauf, dass sich die Studierenden Gedanken zu geeigneten Kontrollen, Art und Anzahl von Replikaten und alternativen Experimenten machen, mit denen die gleiche Hypothese gestützt werden kann. Wir leiten die Studierenden an, sich Gedanken über die Kosten (sind ein Kit oder teure Enzyme notwendig) und den zeitlichen Aufwand zu machen und beides auch in ihrem Antrag festzuhalten. Erste Probeauszüge der geplanten Experimente werden dann zuerst den anderen Gruppen des Kurses präsentiert und verteidigt, bevor sich die Kleingruppen einem Peer Review-Prozess (die Studierenden evaluieren gegenseitig, wie plausibel und verständlich die Experimente geplant und formuliert sind) stellen. Bis zur Abgabe des Antrags haben die Studierenden Zeit die Verbesserungsvorschläge einzuarbeiten.

Im Forschungspraktikum können die Studierenden die geplanten Experimente in die Tat umsetzen. Dabei werden sie von erfahrenen Doktorand*innen betreut und unterstützt. Hier bekommen sie Gelegenheit zu überprüfen, ob ihr Zeitplan stimmig war, sich die Planung als gut durchführbar erweist und sich so die Hypothese eindeutig beantworten lässt. Jeder Versuch wird dabei sorgfältig protokolliert und dokumentiert. In wöchentlichen Mini-Meetings besprechen die Kleingruppen und ihre Betreuer*innen die Ergebnisse und Herausforderung und diskutieren mögliche Planänderungen.

Dadurch, dass die Studierenden die Experimente selbst geplant haben und sich zuvor intensiv mit dem Thema, der Fragestellung, den Hypothesen und Experimenten auseinandergesetzt haben, identifizieren sie sich stark mit ihrem Projekt, übernehmen Verantwortung und hängen mit Herzblut und Leidenschaft daran. Mit anderen Worten, sie haben ihr Projekt lieben gelernt, lern(t)en das notwendige Fachwissen und leben das Projekt während ihres Forschungspraktikums. Für uns Lehrende lohnt sich dadurch die zeitliche Investition des Kurses, da wir von besseren Ergebnissen und Abschlussarbeiten profitieren und Studierenden, die tatsächlich für das Thema brennen und uns oft auch noch Jahre später erhalten bleiben, Laborplätze anbieten können. So sind zum Beispiel derzeit 3/6 Doktorand*innen in unserem Labor ehemalige Teilnehmende des Proposal Writing Kurses.

(3) Fachübergreifende Lernziele

Wie bereits beschrieben, kann jede*r gute wissenschaftliches Schreiben lernen. Zu diesem Zweck haben wir einen aufwendigen interaktiven Moodle-Kurs entwickelt, um die Studierenden mit der Struktur und den Methoden wissenschaftlichen Schreibens vertraut zu machen.

Dabei erarbeiten wir Aspekte des Schreibens in einem moderierten Workshop, der nach dem flipped classroom-Prinzip stattfindet. Das bedeutet, dass sich die Studierenden online und asynchron mit den verschiedenen Methoden und Strukturen eines Forschungsantrags auseinandersetzten, die wir in Form von Videotutorials und Quizfragen aufbereitet haben. Im Workshop selbst erproben wir das Gelernte mit kleinen Übungen und dem eigenen Antrag unter der Moderation und Anleitung erfahrener Dozierender. Nach kleineren Schreibübungen arbeiten die Lernenden intensiv am eigenen Antrag. Der persönliche Fortschritt wird wechselweise durch Peer Review, Feedback Sessions oder schriftliches Feedback seitens der Dozierenden vorangetrieben. Um die Qualität der Peer Reviews sicherzustellen, erklären wir am Whiteboard zuvor den Peer Review-Prozess und üben dieses anhand der peer review guidelines eines renommierten Journals ein. Auch hier geben wir den Studierenden Feedback und regen Verbesserungen an.

Über das Journal Club Seminar vermitteln wir Kompetenzen in Sachen wissenschaftlicher Präsentation. In einem ersten Schritt erarbeiten sich die Studierenden hierfür in einem interaktiven Workshop-Format, was einen guten Vortrag ausmacht. Dazu werden die Studierenden in Gruppen eingeteilt und durchlaufen nacheinander drei verschiedene Stationen. Die erste Station widmet sich dem Slide Design, die zweite Station Sprache und Ausdruck und die dritte Station der Struktur, Vorbereitung des Inhalts und potenzieller Fragen. Diese Stationen werden in einer Art Parcours durchlaufen und die gesammelten Punkte im Anschluss am Whiteboard zusammengetragen, strukturiert und diskutiert. In einem zweiten Schritt diskutieren und etablieren wir Regeln für strukturiertes Feedback. So stellen wir sicher, dass jede*r nach dem Vortrag im Journal Club hilfreiches Feedback erhält und fördern nebenbei eine aktive und konzentrierte Teilnahme am Seminar.