Lehrformen
In der Geographie wird in unterschiedlichen Formaten gelehrt:
Die Klassiker
Die „klassischen“ Lehrformate Vorlesungen, Seminaren und Übungen, die bei weitgehender Lehrendenorientierung in Hörsälen und Seminarräumen stattfinden, sind nach wie vor insbesondere im Bachelorstudium verbreitet und haben für die Vermittlung von Grundlagenwissen einen nicht zu unterschätzenden Wert (Zumbach, Astleitner 2015: 104 ff; Egger, Eugster 2020; Gerhard 2021). Sie werden oft durch digitale Angebote (z. B. Aufnahmen von Vorträgen, E-Learning-Einheiten, Quizze zur Selbstüberprüfung) oder „Flipped Classroom“-Angebote begleitet. Im Spannungsfeld von Homogenisierung des Grundlagenwissens und Individualisierung durch Spezialisierung kommen unterschiedliche Formate des angeleiteten Lernens zum Einsatz (Uhlenwinkel 2021).
Bei Seminaren sehr verbreitet ist die Integration von studentischen Referaten. Die Befragung von ehemaligen Studierenden hat gezeigt, dass Absolvent*innen des Faches gerade hiervon profitieren: Bei den Antworten zu der Frage, welche im Studium erworbene Kompetenz sie im Berufsleben besonders gut gebrauchen können, lagen das Verfassen wissenschaftlicher Texte und die Fähigkeit zum Präsentieren ganz vorne (Seckelmann, Heinrich, Marschner 2014).
Abbildung 2: Beispiel für eine vorlesungsbegleitende E-Learning-Einheit. Quelle: Seckelmann 2023.
Projektorientiertes Lernen
Die Arbeit an konkreten Fragestellungen bzw. praktischen Problemen erfolgt in anwendungs- und forschungsbezogenen Veranstaltungen wie Studienprojekten und „Research Labs“. Studierende arbeiten hier an oft selbstgewählten Fragestellungen. Sie formulieren Untersuchungsziele, legen ein Forschungsdesign fest, erheben Daten und werten sie aus.
Dieses Vorgehen gilt für humangeographische Fragen (z. B. mit Befragungen, Expert*inneninterviews, Diskursanalysen) genauso wie im physisch-geographischen Kontext (z. B. Bodenproben, hydrologische Untersuchungen, Klimamessungen, Laborarbeiten) oder auch in der Geomatik (z. B. Auswertung von Satellitenbildern, Experimente zur Kartenwahrnehmung).
Parallel zur Projektorientierung, gibt es dabei oft eine Produktorientierung: Die Ergebnisse der Untersuchungen werden für ein Fachpublikum oder eine breitere Öffentlichkeit aufbereitet – in Fachartikeln, Postern, Modellen, Kurzvideos (z. B. zur Veröffentlichung auf Instagram) u. ä.
Abbildung 3: Poster als Ergebnis eines Studienprojektes, entwickelt auf Basis eines ausführlichen, nach wissenschaftlichen Standards erstellten Endberichtes. Quelle: Klug, Linden, Wolf 2023.
Exkursionen und Geländetage
Außeruniversitäre Lernorte stellen eine wichtige Ergänzung des Geographiestudiums dar (Seckelmann & Hof 2020). Exkursionen können kurz (nur wenige Stunden lang) sein, aber auch mehrere Tage oder sogar Wochen umfassen. Ziel ist es, die Inhalte des Geographiestudiums erlebbar zu machen. Sie können z. B. zur Entnahme von Bodenproben in den ländlichen Raum oder in urbane Altlastengebiete führen, zur Beobachtung oder Befragung in benachteiligte Stadtquartiere, zur Klimamessung in Eishöhlen und auf Vulkane oder zur Kartierung in Innenstädte. Oft werden unterwegs Gespräche mit Expert*innen oder Betroffenen gesucht und Studierende erhalten klare Aufgaben dazu, was sie während einer Exkursion dokumentieren oder reflektieren sollen. Insbesondere bei den stärker auf die Anwendung von Methoden ausgerichteten Geländetagen können praktische Fähigkeiten erprobt werden.
Gleichzeitig können Exkursionen aber nicht nur Fragen beantworten, sondern auch Fragen aufwerfen, Dimensionen (Raum und Zeit) spürbar und Herausforderungen erlebbar machen. Sie bieten (fachliche und räumliche) Orientierung und fördern soziale Interaktion. Zudem wird durch die Begegnung mit dem Realraum die Interpretation von und Arbeit mit (Geo)Daten – z. B. Satellitenbildern und Karten – erleichtert.
Beispiel: Komplexität von Exkursionsformaten
Ein schönes Beispiel für die vielfältigen Möglichkeiten von Exkursionen bietet das Exkursionskonzept von A. Baumeister (2020): In den Ötztaler Alpen wurden im Rahmen einer „Arbeitsexkursion“ glazialmorphologische Entwicklungen kartiert (also Fachwissen angewendet und Geländemethoden eingeübt) und später in einem Geographischen Informationssystem aufbereitet (also digitalisiert). Abschließend wurde daraus ein wissenschaftlicher Lehrpfad entwickelt (Produktorientierung), welcher der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Im Rahmen dieser Projektarbeiten wurden Studierende bei den Bergwanderungen körperlich gefordert (s.o.: Dimensionen erfahren, Herausforderungen erleben), mussten sich fachlich und räumlich orientieren sowie in Teams zusammenarbeiten (Förderung der sozialen Interaktion).
Ähnlich komplex können auch stadtgeographischen Exkursionen sein: Steht z. B. bei einer Berlin-Exkursion die Frage der städtebaulichen Rekonstruktion von historischen Vierteln im Vordergrund setzt das einiges voraus: Studierende müssen die Gebiete ablaufen oder abradeln und erkennen wie klein mittelalterliche Zentren im Vergleich zu Zentren der Neuzeit oder gar von heute sind (Dimensionen erleben), müssen Baumaterialien identifizieren (fühlen, klopfen, hören), müssen historisches Bild-, Plan- und Kartenmaterial auf den heutigen Raum übertragen (räumliche und sachliche Orientierung), müssen diskutieren (Reflexion und Interaktion) und ihre Ergebnisse z. B. in Fotostrecken und Kartenmaterial dokumentieren (Produktorientierung).
Standort |
Lernziel |
Material |
Methode |
Mühlendamm-brücke |
Stadtgründung kennen |
Karten |
Vortrag |
Nikolaiviertel |
Städtebauliche Rekonstruktion in der sozialistischen Stadt verstehen |
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Vortrag, individueller Rundgang mit Beobachtungsaufgaben: Welche architektonischen und städtebauliche Merkmale kennzeichnen das Nikolaiviertel? Ergebnisgespräch |
Stadtschloss |
Abriss Stadtschloss, Abriss Palast der Republik, Städtebauliche Rekonstruktion der Nachwendezeit: Ablauf kennen, dahinterliegende Interesse verstehen, unterschiedliche Perspektiven reflektieren |
Historische Abbildungen |
Lehrendenvortrag Diskussion Frage nach alternativen Ideen: Welche Nutzung hätten Sie sich nach 1990 für diesen Standort gewünscht? |
Gendarmen-markt |
DDR-Ansatz zur Rekonstruktion von historischem Bestand erkennen |
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Beobachtungsaufgabe: Was des heute bereits Besprochenen ist hier wiederzufinden? |
Pariser Platz |
Historische Phasen kennen, wissenschaftliche Kritik am Wiederaufbau verstehen, aktuelle Gestaltung kritisch reflektieren |
Historische Abbildungen |
Wiederholung aus vorbereitendem Seminar durch Gespräch Diskussion |
Tabelle 1: Lehrkonzept zu einer Exkursion: Hier beispielhaft zum Thema städtebaulicher Rekonstruktion in Berlin vor und nach der Wende (Seckelmann 2024)
Methodenkurse
Die Vermittlung von Methoden der Labor- und Geländearbeit sowie der qualitativen und quantitativen Sozialforschung sind ein wichtiger Bestandteil des Studiums. Im Idealfall werden die entsprechenden Kenntnisse anhand von Beispielen (also im Sinne des projektorientierten Arbeitens oder bei Exkursionen) vermittelt. Zu den Methoden, die eingeübt werden, zählen chemische Analysen und Experimente (im Labor), Arbeiten im Gelände (z. B. hydrologische Messungen), botanische Bestimmungsübungen, Befragungen, Expert*inneninterviews, Kartierungen, Zählungen und anlassbezogen auch weitere Instrumente (z. B. Diskursanalysen). Einen großen Schwerpunkt nimmt die Methodenausbildung im Zusammenhang mit Geodaten ein. In Übungen wird die Nutzung unterschiedlichster Software erlernt (s. z. B. Lang & Hofer 2021).
Softwareübungen
IT-Kompetenzen zu vermitteln ist zwar eher ein Lehrziel als eine Lehrmethode, aber da „Digital and Data Literacy“ einen wichtigen Stellenwert in der Geographie einnimmt, sollen die entsprechenden Übungen hier explizit erwähnt werden. Insbesondere die Arbeit mit Geographischen Informationssystemen (GIS), in denen sachliche und räumliche Daten zusammengeführt werden, stellen einen Schwerpunkt dar (s. z. B. Kalasek & Pühringer 2021). Auch die digitale Erstellung von Karten und die Auswertung von Fernerkundungsdaten (z. B. Satellitenbildern) sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Ergebnis sind neben Karten digitale Modelle, die einen wichtigen Beitrag zu Visualisierung und Analyse von human- oder physisich-geographischen Sachverhalten leisten können. Zunehmend werden Virtual und Augmented Reality sowie Künstliche Intelligenz in die Lehre integriert. Ziel ist es, Studierenden die Fähigkeiten zur Arbeit mit digitalen Instrumenten, und deren kritische Reflektion zu vermitteln.
Lehr-Lern-Angebote
Ein großer Anteil der Geographiestudierenden (an der Ruhr-Universität etwa die Hälfte) strebt das Lehramt an. In diesem Zusammenhang ist die didaktische Ausbildung von großer Wichtigkeit. Sie dient der Vermittlung der theoretischen Grundlagen, und insbesondere dem Ausprobieren: Studierende entwickeln Unterrichtskonzepte, die sie im Kreis Ihrer Kommiliton*innen zur Anwendung bringen (s. z. B. Amend & Wirth 2020). In Bochum findet diese Ausbildungsphase zwar fast ausschließlich im Masterstudiengang statt, wird aber durch einzelne Elemente in den Kursen der Bachelorphase vorbereitet (Referieren, Exkursionstage mitgestalten, Expert*innenbegegnungen organisieren und vorbereiten u.ä.).