Mit welchen Lehrformen können Sie nachhaltiges Lernen unterstützen?

In der Lernpsychologie ist seit langem bekannt, dass aktives Lernen im Großen und Ganzen nachhaltigere Erfolge zeitigt als passives Lernen. Ich möchte dabei „im Großen und Ganzen“ betonen, denn für einzelne Lehrsequenzen kann ein Vortrag, eine Präsentation oder eine Videosequenz durchaus das Mittel der Wahl sein – Frontalunterricht ist nicht per se schlecht.

Wenn Sie Ihre Studierenden zum aktiven Lernen anregen wollen, stellt sich sofort die Frage, wie Sie dies unterstützen können. Ich möchte Ihnen drei Aspekte hierzu vorstellen und bewusst machen.

Aktives Lernen macht keinen Spaß

Die schlechte Nachricht zuerst: aktives Lernen macht leider keinen Spaß. Lernpsychologisch hat dies (auch) damit zu tun, dass uns zwei Systeme zur Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen, ein schnelles automatisches (System 1) und ein langsames anstrengendes (System 2); vgl. Kahneman, Daniel (2011): Thinking, Fast and Slow. Aktives Lernen geschieht mit System 2, und die Inbetriebnahme dieses Systems erfordert bewusste Anstrengung. Versuchen Sie einmal, die Rechenaufgaben 3*4 und 17*28 möglichst schnell im Kopf zu lösen, und Sie werden den Unterschied „am eigenen Kopf“ erfahren …

Die folgende Grafik veranschaulicht die Ergebnisse einer Studie, bei der zwei Studierendengruppen denselben Stoff (Fluiddynamik) erlernen sollten; dabei lernte eine Gruppe passiv (hellgraue Balken), die andere aktiv (dunkelgraue Balken). Im abschließenden Test schnitt die aktive Gruppe erwartungsgemäß signifikant besser ab (Test of learning). Die wesentlichen neuen Erkenntnisse der Studie werden aber durch die folgenden Balken beschrieben – machen Sie sich einmal in aller Deutlichkeit klar, was dies für Ihre eigene Lehre bedeutet! In meinen eigenen Veranstaltungen gehe ich manchmal auf die Metaebene und zeige und erläutere meinen Studierenden genau diese Grafik.

Abbildung 2: Vergleich von Studierendenantworten zu aktivem und passivem Lernen. Quelle: Deslauriers, Louis; McCarty, Logan S.; Miller, Kelly; Callaghan, Kristina; Kestin, Greg (2019): Measuring actual learning versus feeling of learning in response to being actively engaged in the classroom.

Das Prinzip der minimalen Hilfe

Formuliert ist das Prinzip der minimalen Hilfe sehr schnell:

Geben Sie immer nur so viel Hilfe wie gerade nötig.

Intellektuell verstehen Sie dieses Prinzip sicher sofort. Die Umsetzung in die Praxis stellt aber hohe Ansprüche an Sie als Lehrperson, weil Sie teilweise entgegen den Wünschen der Studierenden (und Ihren eigenen) agieren müssen.

An einem Beispiel möchte ich Ihnen das Prinzip verdeutlichen. Stellen Sie sich vor, Ihre Studierenden sollen folgende Gleichung nach x auflösen (die Lösung ist übrigens x = 2):

2x+1=x+3

Es stört dabei das x auf der rechten Seite. Im traditionellen erklärenden Unterricht können Sie das Problem schnell lösen, etwa mit dem folgenden fiktionalen Dialog zwischen Tutor*in (T) und Student*in (S):

S: Ich bräuchte mal Hilfe, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.
T: Wo genau liegt denn dein Problem?
S: Ich soll die Gleichung nach x auflösen, aber das x kommt ja auf beiden Seiten vor.
T: Da musst du einfach auf beiden Seiten x abziehen. Dann hast du die Gleichung x+1=3 mit der Lösung x=2.
S: Ja klar, vielen Dank; ist ja ganz leicht.

Die konkrete Fragestellung ist damit zwar beantwortet, aber es bliebe abzuwarten, ob S bei der nächsten Aufgabe erfolgreicher wäre. Unter Berücksichtigung des Prinzips der minimalen Hilfe könnte der Dialog (dessen Anfang derselbe ist wie oben) vielleicht so aussehen:

S: Ich bräuchte mal Hilfe, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.
T: Wo genau liegt denn dein Problem?
S: Ich soll die Gleichung nach x auflösen, aber das x kommt ja auf beiden Seiten vor.
T: Wenn das x nicht mehr da wäre, könntest du die Aufgabe dann lösen?
S: Ich denke schon.
T: Also müssen wir das x irgendwie eliminieren. Versuch mal, eine Idee dafür zu entwickeln.
[T lässt S allein weiterarbeiten und kehrt nach 3 Minuten wieder zurück.]
T: Bist du weitergekommen?
S: Nicht so richtig.
T: Was hast du dir denn überlegt? Und an welcher Stelle hakt es noch?
S: Ich würde gerne auf beiden Seiten x abziehen, aber ich weiß nicht, ob ich das darf; schließlich ist x eine Variable und keine Zahl.
T: Aber wenn das ginge, wärst du fertig?
S: Ja, dann wäre die Lösung x=2.
T: Also musst du nur noch diesen Schritt rechtfertigen. Schau vielleicht nochmal deine Mitschrift aus der Vorlesung an.
[T lässt S wieder allein und kommt später wieder vorbei.]
T: Und?
S: Wir hatten tatsächlich in der Vorlesung ein ähnliches Beispiel gemacht, wo wir auf beiden Seiten x abgezogen haben. Für mich ist jetzt alles klar.
T: Perfekt, dann hast du die Aufgabe vollständig und korrekt gelöst.

Hier agiert T also eher als unterstützende*r Lerncoach und weniger als erklärende*r Expert*in.

Das Prinzip der minimalen Hilfe bringt natürlich Vor- und Nachteile mit sich:

Vorteile

Nachteile

·         Unterstützt prozedurales Lernen

·         Erzeugt aktives Lernen

·         Ermöglicht nachhaltigen Lernerfolg

·         Erlaubt individuelle Förderung

·         „Kostet“ Zeit

·         Ist bei Studierenden eher unbeliebt

·         Ist anspruchsvoll in der Umsetzung

 

Lernzielkontrolle zwischendurch

Nach dem Ende der Veranstaltung kommen die Prüfungen, mit denen wir überprüfen, ob unsere Lernziele tatsächlich erreicht wurden. Warum eigentlich erst nach der Veranstaltung?

Ich plädiere dafür, auch zwischendurch schnelle Lernzielkontrollen durchzuführen. Dies dauert mit Online-Tools wie z.B. Mentimeter wirklich nur wenige Minuten, egal ob mit 10 oder 400 Studierenden. Wenn Sie Ihre Lernziele hinreichend konkret formuliert haben, sind passende Fragen für eine kurze Lernzielkontrolle schnell erstellt, und die Auswertung kann online in Echtzeit gemeinsam mit den Studierenden erfolgen.