Aktives Lernen in der Präsenzveranstaltung

Es gibt viele Möglichkeiten, die Präsenzveranstaltung mit lernförderlichen Aktivitäten abwechslungsreicher zu gestalten., wenn das Hauptziel nicht mehr darin besteht, in einem Lehrvortrag eine möglichst große Menge Stoff zu „schaffen“. Aktivierende Elemente können dazu dienen, Vorwissen zu aktivieren, Aufmerksamkeit zu schaffen, um wesentliche Punkte besonders herauszuheben oder auch dazu, Vor- und Nachteile bestimmter Verfahren zu diskutieren, siehe [Harrington & Zagrajsek, 2017]. Dazu können Sie Verständnisfragen oder Beispiele vorbereiten, die die Studierenden zu zweit bearbeiten, und offene Phasen einplanen, in denen Sie flexibel auf Fragen eingehen. Dieser Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten trägt dazu bei, die Aufmerksamkeit der Studierenden zu erhöhen, die typischerweise nach 10-20 Minuten Vortrag deutlich nachlässt. Eine mögliche Aktivität zur Auflockerung können das Verständnis fördernde Quizfragen (siehe Peer Instruction) sein, die an die gerade besprochenen Inhalte anknüpfen und den Studierenden eine Rückmeldung geben, wie gut sie diese bereits verstanden haben. Gerade zur Hochschulmathematik gibt es in dem Buch von [Bauer, 2019] eine Quelle für Verständnisfragen zu vielen Themen der Analysis. Quizfragen oder Verständnisaufgaben eignen sich in einer größeren Gruppe sehr gut für das Think-Pair-Share Format. Die Diskussion fachlicher Probleme untereinander bewerten die Studierenden erfahrungsgemäß als Mehrwert der Veranstaltung gegenüber reinen Videoaufzeichnungen.

Durch die vorgelagerte Vorbereitungsphase gewinnen Sie Zeit für Aktivitäten und Flexibilität: Sie können mehr Beispiele für Definitionen und Sätze angeben, etwas, das von Studierenden in Evaluationen häufig gewünscht wird, Sie können interessante Anwendungen und Vertiefungen besprechen oder einfach mehr Zeit für einen Einstieg in tiefergehende Inhalte verwenden.

Ein besonders wichtiger Unterschied zur reinen Frontalvorlesung besteht darin, dass Sie den Studierenden Wahlmöglichkeiten bieten können: Benötigen Sie noch ein weiteres Beispiel? Sollen wir noch eine Anwendung diskutieren oder möchten Sie lieber etwas über den historischen Hintergrund erfahren? Gerade wenn Sie schon eine sehr erfahrene Lehrperson sind, können Sie Ihre breiten Kenntnisse als Expert*in ausspielen, indem Sie nicht einfach vorbereitete Inhalte präsentieren, sondern ad hoc Ihr Wissen nutzen und auf spontane Wünsche und Fragen eingehen. Ihre fachliche Expertise ist ebenfalls gefragt, um sicherzustellen, dass die Diskussion dabei nicht auf Nebenschauplätze abgleitet und die wichtigen Punkte genügend Aufmerksamkeit bekommen. 

In einer Vorlesung mit vorgelagerter Vorbereitung gemäß JiTT erhalten auch Fragen der Studierenden einen ganz neuen Stellenwert. Während es im Ablauf einer Frontalvorlesung für Studierende sehr schwer sein kann, unmittelbar Fragen zu formulieren und unklare Punkte mit einer Rückfrage zielgenau zu adressieren, bietet die vorgelagerte Vorbereitungsphase ihnen die Möglichkeit, in Ruhe Fragen zu formulieren. Wenn die Studierenden sich bereits mit den Themen befasst haben und nicht vorwiegend mit Mitschreiben beschäftigt sind, können spontan einfacher Probleme identifiziert und angesprochen werden. Für Sie als Lehrperson bieten die Fragen, die vor der Präsenzveranstaltung gestellt werden, eine optimale Rückmeldung zum Stand der Kenntnisse Ihrer Studierenden. Sie sehen, welche Inhalte der Vorbereitung erfasst und zu welchen Rückfragen gestellt wurden und auf welchem Niveau Sie in die Inhalte in der Präsenzveranstaltung zur Nachbesprechung einsteigen sollten. Sie können passende Antworten und Beispiele überlegen, und erhalten einen Überblick darüber, wo besonders viele Unklarheiten oder möglicherweise Fehlvorstellungen auftreten. Die Erfahrungen zeigen, dass die Studierenden in der Vorlesung während der Diskussion der im Vorfeld eingereichten Fragen weitere Fragen generieren und, gestärkt durch das positive Feedback auf eingereichte Fragen, sich trauen, diese im Hörsaal vorzutragen. Zudem ist das Eingehen auf die Fragen der Studierenden ein Signal, dass die Vorlesung keine Einbahnstraße ist, in der nur in eine Richtung kommuniziert wird. Studierende, deren Fragen Sie aufgreifen und beantworten, fühlen sich von Ihnen explizit wahrgenommen.

Autor*innen

  • Dr. Eva Glasmachers, Fakultät für Mathematik der Ruhr-Universität Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Geschäftsführung des Dekanats, Studienfachberatung, Lehre und mehrere didaktische Projekte. Mitglied des HDM@RUB - Zentrum für Hochschuldidaktik Mathematik.
  • Dr. Jörg Härterich, Fakultät für Mathematik der Ruhr-Universität Bochum. Oberstudienrat im Hochschuldienst. Arbeitsschwerpunkte: Lehre für Studierende anderer Fakultäten, Schulung von Übungsgruppenleiter*innen und die Tätigkeit in verschiedenen Gremien der Ruhr-Universität. Mitglied des HDM@RUB - Zentrum für Hochschuldidaktik Mathematik. Preisträger des Ars legendi-Fakultätenpreises Mathematik 2025 des Stifterverbands.

Stand: