Klassische Mathematik-Vorlesungen an der Hochschule

Mathematik-Veranstaltungen an der Hochschule finden wie viele andere MINT-Veranstaltungen traditionell in der Form Vorlesung-Übung-Hausaufgaben oder Vorlesung-Hausaufgaben-Übung statt. Dabei schließt sich an eine Wissensvermittlung in der Vorlesung entweder eine von Tutor*innen begleitete Übungsstunde mit Präsenzaufgaben an, die die Studierenden auf die anschließenden Hausaufgaben vorbereiten soll, oder die Studierenden bearbeiten direkt im Anschluss an die Vorlesung Übungsaufgaben, deren Lösungen dann in der Gruppenübung besprochen werden. In beiden Fällen ist die Wissensvermittlung in der Vorlesung streng getrennt von der eigenständigen individuellen Beschäftigung mit den Inhalten oder der Arbeit der Studierenden in Gruppen.

Befürworter*innen dieses Modells frontaler Vorlesungen verweisen oft auf eine jahrhundertalte Tradition und deren Erfolge. Die klare Struktur dieser Trennung bietet für uns Lehrende Planbarkeit und Kontrolle sowie eine klare Rollenverteilung der Aufgaben unter den Beteiligten. Allerdings verliert das zentrale Argument für die Vermittlung von Inhalten durch Vorlesungen, nämlich die nur auf diesem Wege mögliche Weitergabe von Inhalten, zunehmend an Bedeutung. Lerninhalte stehen in verschiedener Form als Lehrbücher, digitale Materialien, Videos etc. zur Verfügung. Dieses Angebot ermöglicht es, die positiven Aspekte einer asynchronen Wissensvermittlung zu nutzen und dabei gleichzeitig individuelle Vorkenntnisse, Leistungsfähigkeit sowie persönliche Rahmenbedingungen für das Lernen zu berücksichtigen.
Zudem bietet uns ein Neudenken der Vorlesung die Möglichkeit, die Lebenswirklichkeit der Studierenden stärker in den Fokus zu nehmen. Informationsbeschaffung und Interaktion finden in kürzeren Phasen statt. Kurze themenbezogene Videos im Internet, das Anhalten eines Films und ein Wechsel des Mediums gehören auf eine natürliche Weise zur täglichen Erfahrung. Das von den Studierenden im klassischen universitären Alltag erwartete Arbeiten steht dazu im klaren Kontrast.

Vorlesungen neu denken

Wir stellen in diesem Beitrag einige in Mathematiklehrveranstaltungen an der RUB erprobte Möglichkeiten vor, um das klassische Vorlesungsformat auf lernförderliche Weise aufzulockern. Diese sind insofern nicht fachspezifisch, als sie für viele grundlegende MINT-Veranstaltungen übernommen werden können.

Die Stofffülle in den Eingangsvorlesungen ist in der Regel groß, weil dort viele Grundlagen für weitere Veranstaltungen bereitgestellt werden. Eine wesentliche Kürzung der Inhalte steht daher außer Frage. Entsprechend ist eine Veränderung des Vorlesungsmodus nur möglich, indem wir die Bindung der Inhaltsvermittlung an die Präsenzvorlesung auflösen. Dies bedeutet konkret, Inhalte zum Teil in die Vorbereitung und in die Nachbereitung einer Vorlesung auszulagern und die dadurch gewonnene Kontaktzeit zwischen uns als Lehrenden und den Studierenden anders zu nutzen. Durch diesen Ansatz soll aber keinesfalls die Kontaktzeit reduziert werden. Die direkte Interaktion der Studierenden mit den Lehrenden in Präsenz ist ein wesentlicher Faktor für Lernerfolg (Schneider/Preckel 2017), trägt zur Bindung zwischen Lernenden und Lehrenden bei und ermöglicht mehr Flexibilität und Freiräume als eine Kontaktzeit im digitalen Raum.

Autor*innen

  • Dr. Eva Glasmachers, Fakultät für Mathematik der Ruhr-Universität Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Geschäftsführung des Dekanats, Studienfachberatung, Lehre und mehrere didaktische Projekte. Mitglied des HDM@RUB - Zentrum für Hochschuldidaktik Mathematik.
  • Dr. Jörg Härterich, Fakultät für Mathematik der Ruhr-Universität Bochum. Oberstudienrat im Hochschuldienst. Arbeitsschwerpunkte: Lehre für Studierende anderer Fakultäten, Schulung von Übungsgruppenleiter*innen und die Tätigkeit in verschiedenen Gremien der Ruhr-Universität. Mitglied des HDM@RUB - Zentrum für Hochschuldidaktik Mathematik. Preisträger des Ars legendi-Fakultätenpreises Mathematik 2025 des Stifterverbands.

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