Was sind meine Tipps für neue Lehrende in der Theologie?
Aus den zuvor genannten Dingen lassen sich einige Praxistipps ableiten, mit denen ich gute Erfahrungen gemacht habe – nicht, weil alles damit funktioniert, sondern weil diese Tipps mir geholfen haben, meine Rolle und meine Verantwortung zu klären, damit auch Studierende das tun können.
Ermöglichen Sie Ihren Studierenden Lernprozesse! Nutzen Sie dazu das Potential kleiner Gruppen. Darin liegt kein Mangel, sondern die Möglichkeit, individuelle Prozesse zu begleiten und den jeweiligen Persönlichkeiten Entwicklungsräume zu eröffnen. Reflexive Prüfungsformate oder auch Studienleistungen fördern diese Perspektive, weil sie den Prozess in den Mittelpunkt stellen und kein normierendes Produkt. Mit diesen Formaten erhöht sich der Aufwand für Prozessfeedback – aber gerade das kann man in kleineren Gruppen eher leisten.
Stellen Sie das Handeln der Studierenden ins Zentrum Ihrer Lehre! Lehre ist – theologisch begründet mit dem Bildungsauftrag der Getauften und der daraus folgenden diakonischen Aufgabe – ein Auftrag für andere. Eine didaktische Leitfrage, die mir dazu einmal mitgegeben wurde, war: „Whom do you want so see clever?“. Geben Sie Studierenden als Möglichkeiten, die eigene Cleverness zu erleben, zu erproben und zu zeigen. Achten Sie dabei darauf, dass Sie inklusive Settings aufbauen, in denen auch Menschen vorkommen, die üblicherweise wenig sichtbar sind. Gerade schriftliche Kommunikation drängt die üblichen Vielredner – auch Dozierende zurück – und schafft anderen Raum, sich konstruktiv einzubringen.
Gehen Sie nicht von sich selbst aus, sondern von Studierenden, die nicht Lehrende geworden sind! Deren Motivationen zum Studium mögen sehr anders sein als Ihre, sind aber legitim. Der Blick auf die Prozesse der Studierenden lehrt Demut in dem, was im Studium erreicht werden kann. Studierende müssen für mein Fach nicht brennen, es muss ihnen nicht einmal Freude bereiten – sie müssen lediglich gewisse Kompetenzen erwerben, um professionell mit den Gegenständen meines Faches agieren zu können. Realistische Ziele zu formulieren ist angesichts dessen die eigentliche Herausforderung, die aber auch vor Überforderungen auf beiden Seiten schützt. Das gilt im Übrigen auch für den Bezug der Studierenden zum Gegenstand des Studiums. Ob Studierende religiöse Praxis kennen und eine eigene Haltung dazu haben, ist wie die Studienmotivation ein relevanter Faktor, der sich aber der Bewertung entziehen muss. Für beides ist es sinnvoll, prüfungsfreie Räume zu eröffnen, in denen Motivation und Bezug zum Gegenstand reflektiert werden können.
Gute Lehre ist auch in der Theologie unvorhersehbar, wenn sie wirklich hochtaxonomische Ziele erreichen will! Freuen Sie sich über das Unerwartete und halten Sie Räume dafür offen, dass unvorhergesehene Dinge geschehen können. Schaffen Sie eine Atmosphäre, in der Fehler und Nicht-Können zentrale Elemente des Lernens sein dürfen. Konsequente Studierendenorientierung kann Fehler von Studierenden und Lehrenden im Prozess zu Lernanlässen machen, die Eigenverantwortung der Studierenden klären. Wer schon im Prozess ein Feedback bekommt, kann eigenverantwortlich auf die eigentliche Prüfung hin weiterarbeiten. Damit ist es dann möglich, das Nicht-Funktionieren von Lehre an die jeweils Verantwortlichen adressieren – wenn Dozierende kein Feedback geben, ist das Lernen für Studierende nicht zu steuern, wenn Studierende konstruktives Feedback nicht annehmen, haben sie selbst entschieden, nicht zu lernen. Fehler dürfen dabei keine Normverletzungen sein, sondern sind immens wichtig, um voranzukommen, weil nur dann Feedback weiterführen kann; Perfektion ist allenfalls eine göttliche Kategorie, für das Lernen jedenfalls definitiv hinderlich.
Adressieren Sie gezielt Schlüsselkompetenzen! Lassen Sie Studierende argumentieren, recherchieren und vor allem schreiben. Die Theologie als Geisteswissenschaft ist so textgebunden, dass Schreibkompetenz zentral ist, um die Fachkompetenzen zu erwerben. Schreiben lernen und schreibend lernen gehen daher Hand in Hand. Geben Sie dabei prozessorientiertes Feedback auf Zwischenprodukte.
Spielen Sie auf Ihre Weise mit den Strukturen! Speziell als Lehrende in der Theologie sind Sie mit vielen Anforderungen organisatorischer Art konfrontiert: die Studiengänge sind staatlich und kirchlich normiert, dazu kommen Traditionen und Routinen vor Ort, die sich gegen anstehende Veränderungen wehren. Dazwischen den eigenen Weg zu finden ist anspruchsvoll und der Kampf gegen die Strukturen kann aufreibend sein. Mit diesen Strukturen lässt sich spielen und die Suche nach Handlungsspielräumen darin ist gleichzeitig die Suche nach der eigenen Lehrpersönlichkeit. Dabei hilft es auch, erst einmal nicht das eigene der Theologie zu suchen, sondern sie wie jedes andere Fach der Universität auch den Maßstäben professioneller Bildungsangebote zu unterwerfen.
Beachten Sie die Verantwortung, die mit theologischen Themen einhergehen kann! Darin liegt eine Verantwortung, die die Theologie zwar nicht alleine, aber doch speziell hat: Sie stellen mit Ihrer kritisch-reflexiven Perspektive persönliche Glaubensüberzeugungen auf den Kopf. Auch bei existenziellen Themen wie Gewalterfahrung oder bioethischen Fragestellungen reflektieren Sie, was Menschen nahe geht und sie persönlich betrifft; auch wenn die Lernenden sich dessen teilweise noch gar nicht bewusst sind. Das heißt aber nicht, diese Themenbereiche und die kritische Reflexion zu unterlassen; vielmehr heißt professionelle Lehre die Gewichtigkeit dieser Themen ernst zu nehmen und sensibel zu sein für die Personen, die mit diesen Themen konfrontiert werden. Sie müssen immer damit rechnen, dass in der Lerngruppe Menschen sind, die von den Themen betroffen sind.
Besuchen Sie eine hochschuldidaktische Weiterbildung! Für Lehrende der katholischen Theologie in der Qualifikationsphase bieten die Deutsche Bischofskonferenz und der Katholisch-Theologische-Fakultätentag alle zwei Jahre eine eigene Weiterbildung an. Die Weiterbildungen im Rahmen der Länderzertifikate bieten ebenfalls einen guten Einstieg in die reflektierte Lehre und haben den Charme der interdisziplinären Begegnung. Kollegialer Austausch über Lehre vor Ort hilft, gemeinsame Herausforderungen zu benennen, und von den Erfahrungen anderer zu lernen.
Reflektieren Sie Ihre Lehre wissenschaftlich! Hochschuldidaktik hat eine systemkritische Grundoption und passt gut zu einer kritisch-reflexiven Theologie. Nutzen Sie dazu auch Angebote außerhalb der Theologie, um Perspektiven zu sammeln. Finden Sie aber ebenso Verbündete innerhalb der Theologien. In der Katholischen Theologie hat sich etwa das Netzwerk Theologie & Hochschuldidaktik mit Tagungen und einer eigenen Publikationsreihe etabliert.
Begreifen Sie sich schließlich stetig als Lernende*r, denn eine solche Haltung erleichtert die reflektierte Weiterentwicklung der eigenen Lehre und den Perspektivwechsel hin zu den Lernenden. Gleichzeitig schafft sie Solidarität mit den Studierenden, deren Lernen ihre Aufgabe ist.