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„Was tun, wenn’s stockt im Seminar?“

Stellen Sie sich vor: Sie blicken in lauter wache, interessierte Gesichter. Die Studierenden stellen engagiert Fragen. Und noch bevor Sie eine Aufgabe ganz erklärt haben, setzen sich alle in Bewegung … Dieser „Seminarflow“ ist klasse; Teilnehmende, Thema und Sie sind im Fluss. Alles ist leicht, die Zeit vergeht wie im Flug.

Nicht immer läuft es so ab im Kurs. Manchmal stockt es auch und Trägheit macht sich breit. Es dauert lange, bis auf Ihre Fragen jemand antwortet. Sekunden schleppen sich zu Minuten. Alles ist mühsam und anstrengend und irgendwie will das Seminarschiff nicht in Fahrt kommen.

Es sind viele Faktoren, die dazu beitragen, dass es fließt im Seminar.

Das unterstützt den „Seminarflow“

Das Thema
Wenn es die Teilnehmenden interessiert, betrifft, wenn sie Bezug dazu haben …
Die Rahmenbedingungen,
Wenn es zur rechten Zeit Pausen gibt, frische Luft und ausreichend Platz …
Die Methoden
Wenn sie abwechslungsreich sind, die Lernenden ansprechen und einbeziehen …
Die Energie der Lernenden
Wenn sie ausgeschlafen, gesund und gut gelaunt sind …
Die Energie der Lehrenden
Wenn die Lehrperson motiviert, wach, fröhlich ist …
Die Gruppe
Wenn die Lernenden sich kennen, gerne und mit Spaß miteinander lernen …

Beim Blick auf die Sammlung wird deutlich:

  • Die Faktoren, die einen guten Seminarflow begünstigen sind sehr unterschiedlich. Ganz einfach zu bewerkstelligende, wie etwa die Raumtemperatur und diffizile, zum Teil schwer zu beeinflussende Faktoren, wie das Gruppengefüge. Entsprechend vielfältig sind die Interventionsmöglichkeiten.
  • Teilnehmende und Lehrende bewirken gemeinsam, ob es fließt oder stockt. Lehrende alleine können es nicht schaffen. Alle sind gefordert! Das gilt es, den Studierenden auch deutlich zu machen.

Die sechs Felder helfen Ihnen dabei zu prüfen, was genau die Situation schwierig macht, sodass Sie gezielt agieren können.

Tipps aus der Praxis

Die folgenden Tipps unterstützen Sie, wenn es im Seminar stockt. Alle Methoden lassen sich ohne große Vorbereitung und mit wenig Material leicht umsetzen. Sie sind ganz einfach – aber wirksam!

Das Votum

Ziel

Interesse und Aufmerksamkeit der Studierenden auf eine zentrale Frage richten. Die Teilnehmenden aufrütteln und zur aktiven Teilnahme bewegen.

Kurzbeschreibung der Situation

Sie haben eine interessante Frage gestellt. Keiner antwortet. Die einen schauen auf ihre Unterlagen, die anderen zur Decke … Sekunden fühlen sich an wie Minuten und irgendwann erbarmen sich die immer gleichen Teilnehmenden dann doch zu einer Antwort … Das macht keinen Spaß!

Mit Humor reagieren

Ermuntern Sie die Studierenden humorvoll zum Antworten, indem Sie eine gezielte Gruppe ansprechen, z.B. alle Teilnehmenden mit einem Fensterplatz, alle Teilnehmenden aus der ersten Reihe oder jeden fünften im Plenum.

Ein Beispiel

„Sollten die Bürgerinnen und Bürger den Bundespräsidenten künftig direkt wählen? – Was denken Sie? Auf diese spannende Frage dürfen nur die Studierenden antworten, die einen Fensterplatz haben …“

Schauen Sie freundlich in die Runde und nehmen Sie Blickkontakt zu Studierenden mit einem Fensterplatz auf. Bestimmt lächelt Sie einer an – ihn können Sie als Erstes ansprechen: „Sie haben einen Fensterplatz. Was sagen Sie zur Frage …?“

Sprechen Sie zwei, drei weitere Studierende auf dieselbe Weise an. So haben Sie erste Antworten und die Diskussion kann in Gang kommen.

Materialien

keine

Blinde Entscheidung

Ziel

Mit einer „Blinden Entscheidung“ lenken Sie die Aufmerksamkeit der Lernenden auf eine besonders wichtige Frage. Dabei wird jede Person angesprochen. Zentrale Ja-/Nein-Fragen werden so von allen Teilnehmenden entschieden, alle Lernenden werden schnell ins Thema involviert.

Kurzbeschreibung der Situation

Sie erklären:

„Ich werde Ihnen gleich eine für unser Thema wesentliche Frage stellen. Dabei gilt eine besondere Spielregel fürs Antworten. Sie haben zwei Möglichkeiten: Entweder antworten Sie mit „Ja“, dann halten Sie Ihren Daumen nach oben; oder mit „Nein“, dann halten Sie Ihren Daumen nach unten. Haben Sie die Spielregel verstanden?“

Wenn nun alle Daumen nach oben gehen, können Sie fortfahren:

„Lehnen Sie sich jetzt ganz gemütlich zurück. Ich bitte Sie, die Augen zu schließen – es wird Ihnen nichts Unangenehmes passieren. Gleich kommt die Frage. Bitte stimmen Sie mit Ihrem Daumen deutlich ab und halten Sie Ihr Votum so lange aufrecht, bis ich Bescheid gebe.“

Wenn alle Formfragen geklärt sind, folgt die Frage. Zum Beispiel: „Sollten die Bürgerinnen und Bürger den Bundespräsidenten künftig direkt wählen? Ja oder nein?“

Alle stimmen ab, öffnen – bei gehaltenem Daumen – die Augen. Dann wird es spannend. Was für ein Stimmungsbild ist entstanden? Dies ist ein guter Einstieg in eine lebhafte Diskussion, in der – allein durch das Votum des Daumens – alle eingebunden sind.

Materialien

keine

Schätzfrage

Ziel

Alle Lernenden sollen in die Beantwortung einer zentralen Frage miteinbezogen, die Lehrveranstaltung spannend gestaltet werden.

Kurzbeschreibung der Situation

Im Seminar stockt es, Desinteresse und Schläfrigkeit machen sich breit. Um für frischen Schwung zu sorgen, binden Sie alle Lernenden in die Beantwortung einer zentralen Frage ein. In einem Seminar zum Thema Pharmakologie könnte das zum Beispiel so aussehen:

Ein Beispiel

„Was schätzen Sie? Welche Nebenwirkungen werden in Deutschland durch die Einnahme von Medikamenten am häufigsten ausgelöst? Überlegen Sie, Sie haben 60 Sekunden Zeit. Bitte schreiben Sie dann Ihre Vermutung gut lesbar auf ein DIN-A4-Blatt.“

Schätzfragen eignen sich hervorragend, um die Neugier der Lernenden zu wecken. Dabei steigt die Aufmerksamkeit in der Gruppe. Gerade dann, wenn die Energie nachlässt – zum Beispiel zur Mittagszeit – kann eine Schätzfrage richtig belebend wirken.

Ganz egal, wie Sie die Teilnehmenden bitten zu antworten (ob Sie ihre Blätter ins Plenum halten sollen oder ihre Antworten stichprobenartig abgefragt werden), der für das Seminar wertvolle Teil kommt meist erst nach der unmittelbaren Antwort. Fragen Sie bei den Antworten gezielt nach, zum Beispiel: „Wie kommen Sie gerade auf ‚Allergien’ oder ‚Hautauschläge’?“. Dabei entstehen oft rege Diskussionen, denn alle Lernenden haben sich mit der gleichen Frage befasst und eine eigene Meinung dazu gebildet.

Das Schöne an Schätzfragen: Mit geringem Aufwand können Vorträge und Seminare effektiv aufgemuntert werden.

Materialien

keine

Tempo-Thesen-Runde

Ziel

Bei den Studierenden soll die persönliche und kritische Auseinandersetzung mit dem Seminarthema gefördert werden. In schläfrige Lerngruppen soll frische Energie gebracht und Spannung erzeugt werden.

Kurzbeschreibung

Schreiben Sie rund um Ihr Lehrgebiet verschiedene Thesen auf Karten oder Zettel und mischen Sie Aussagen, die bei den Lernenden vermutlich breite Zustimmung finden mit gewagten, provokanten oder verrückten Thesen. Anschließend werden die Thesen unter den Studierenden verteilt, die dazu Stellung nehmen sollen.

Ein Beispiel

Mögliche Thesen zum Thema „Lampenfieber“:

  • „Lampenfieber lässt sich nicht einfach mit ein paar schlauen Tipps abtrainieren.“
  • „Wenn es kein Lampenfieber gäbe, hätten wir viel zu viele Menschen, die unbedingt vorne auf der Bühne stehen wollten. Ein Glück, dass es diese Hürde gibt.“
  • „Die Schule ist eine Brutstätte für Lampenfieber und Prüfungsangst.“

Je nach Anzahl der Teilnehmenden fordern Sie alle oder nur einige Freiwillige auf, eine These zu ziehen, zum Beispiel mit folgendem Einstieg:

„Sie bekommen jeder eine These zu unserem Thema. Bitte schauen Sie sich diese These an und setzen Sie sich mit der Aussage auseinander. Nach ein wenig Bedenkzeit werde ich Sie bitten, nacheinander nach vorne zu kommen und uns zunächst die These vorzulesen. Dann bitte ich Sie, Position zu der von Ihnen gezogenen These zu beziehen. Erörtern Sie, was Sie dazu denken. Gerne können Sie dabei Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Thema ins Spiel bringen. Für Ihr Statement haben Sie allerdings nur 90 Sekunden Zeit – wir machen schließlich eine Tempo-Thesen-Runde!“

Während der Adrenalinspiegel in der Runde steigt, verteilen Sie die Thesen. Nach der ersten Aufregung bereiten sich die Teilnehmenden für ihren kleinen Auftritt vor. Dann geht es los. Schwungvoll eröffnen Sie die erste Runde. Nachdem die erste Person ihre These und ihr Statement vorgetragen hat, bekommt sie von allen anderen einen gebührenden Applaus. Dann folgt eine gemeinsame Diskussion der Gruppe, bevor eine zweite Person mit einer zweiten These anknüpft.

Mit der Tempo-Thesen-Runde können Sie Seminare beleben und die Teilnehmenden zu einer persönlichen Auseinandersetzung mit Ihrem Thema bewegen.

Materialien

Vorbereitete Karten oder Papier mit den Thesen.

Literaturtipps

  1. Groß, Harald / Boden, Betty (2006): Munterrichtsmethoden – aktivierende Lehrmethoden für die Seminarpraxis. Berlin
  2. Groß, Harald (2009): Munterbrechungen – aktivierende Auflockerungen für Seminare und Veranstaltungen. Berlin

Autor*in

  • Harald Groß, ist Geschäftsführer und Trainer der Firma Orbium Seminare Berlin. Er bildet Referent/inn/en, Trainer/innen und Moderator/inn/en aus. Lern-, Lehr- und Moderationsmethoden sind seine Leidenschaft, die Entwicklung immer neuer, munterer Methoden sein Vergnügen. An der Ruhr-Universität Bochum leite er hochschuldidaktische Fortbildungen.

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