Basic Facts

Comics – seriously? Noch vor Jahrzehnten führte die Nähe der Begriffe Comic und Komik im Bildungswesen zu Ressentiments gegenüber Comics. Diese Zeiten sind vorbei. Sollten Sie demnächst in einen Buchladen gehen und in der Comicabteilung stöbern, werden Sie sich bewegende Geschichten erschließen können, über…

  • die Adoption einer peruanischen Waise (Die Adoption, Drousie & Monin 2017),
  • die kindliche Flucht in die Traumwelt (Geschichten vom Land, Lemire 2010),
  • den faustischen Pakt eines Bildhauers (The Sculptor, McCloud 2015),
  • die Sterbepflege des geliebten Haustiers (Träume von Glück, Taniguchi 2008),
  • den Justizskandal um einen Serienmörder (Haarmann, Meter & Kreitz 2010),
  • die Liebe zweier Sklaven im Lichte der Religionen (Habibi, Thompson 2011),
  • den Widerstand im nicaraguanischen Bürgerkrieg (Muchacho, Lepage 2008),
  • den ersten Libanonkrieg (Waltz with Bashir, Folman & Polonsky 2009) oder
  • den Holocaust (Maus, Spiegelman 2003).

Wie Sie an den Themen sehen konnten, sind Comics nicht per se komisch. Sie lassen sich nicht darüber definieren, welche Emotionen sie bei Menschen auslösen. Aber wenn Comics nicht komisch, kindlich oder simpel sind, was charakterisiert sie dann?

 

Was ist ein Comic?

Mit Comics lassen sich ernsthafte, tiefgründige gesellschaftsrelevante und wissenschaftsbezogene Themen visualisieren. Das macht sie zu einem idealen Werkzeug für Science Communication (Bertemes, Haan & Hans 2024, Farinella 2018, Tribull 2018, Friesen 2018). Comics definieren zu wollen, ist herausfordernd (McCloud 2001, Packard 2016). Zum einen ist das Repertoire an Comics riesig, zum anderen entwickelt sich die Kunstform stetig weiter. An der Auseinandersetzung mit Ambivalenzen geht kein Weg vorbei. Charakterisieren wir Comics anhand des Nach- und Nebeneinanders der Bilder, träfe dies auch auf viele Kirchenfenster zu. Erscheint uns die Kombination von Schrift und Bild wesentlich, fallen Stummcomics aus dem Raster. Für die Lehre eignet sich eine Begriffsbestimmung, die sich an der Grundform des Comics, die gemeinhin als typisch aufgefasst werden dürfte, orientiert (Jüngst 2010, 14, McCloud 2001, 17):

Bei Comics handelt es sich um Sequenzen von Einzelbildern (Panel) und anderen Zeichen, die Informationen vermitteln, und üblicherweise in einem Seitenlayout angeordnet sind, in welchem Text in Sprech- und Denkblasen, Boxen und als Onomatopoesie (Soundwords) erscheint.

Selbstverständlich gibt es auch Comics (Graphic Novels, Webcomics, Mangas etc.), auf die nicht alle diese Kriterien zutreffen.

 

Was ist ein Science Comic?

Der Terminus Science Comic wird im Zusammenhang mit Science Communication verwendet (Bertemes, Haan & Hans 2024). Andere Bezeichnungen sind Educational Comics, Non-fictional Comics, Fact-based Comics, Information Comics und Sachcomics (Hangartner 2016). Im deutschsprachigen Raum ist Sachcomic als Begriff gängig. Zu diesem Genre zählt Eisner (1985) Technical und Attitudinal Instruction Comics. Technical Instruction Comics bieten schrittweise Anleitungen. Ein thematisches Beispiel wäre die exakte Darstellung der Prozessschritte Ausbauen, Schreddern, in Säure lösen, Neutralisieren, Extrahieren etc. bei der Gewinnung von Edelmetallen aus verschrotteten Prozessoren. Dies kommt Erklärvideos auf YouTube nahe. Attitudinal Instruction Comics vermitteln vorrangig eine Einstellung zu einem Thema. Ein Beispiel wäre die Empfehlung, alte Elektrogeräte beim Wertstoffhof abzugeben, um wertvolle Metalle dem Recycling zuführen zu können. Jüngst (2010) ergänzt beide Typen um Fact Comics, die weder anleiten noch persuasiv wirken möchten, sondern schlichtweg Fakten vermitteln. Um im Bild zu bleiben: Eine Comicfigur, Mitarbeiterin eines Wertstoffhofs, informiert über den Goldgehalt in Prozessoren im Kontext nachhaltiger Entwicklung.

Ein Resümee für Sie: Bei Science Comics handelt es sich um ein spezifisches Comicgenre, das auf drei wesentliche Funktionen abzielt: Informieren, Anleiten, Werte vermitteln.

 

Bildende Comics und Bildung durch Comics?

Der zuvor angeführte Terminus Educational Comic ist kritisch zu sehen. Nur weil Autor*innen sich wünschen, dass sie mit ihren Comics Bildung anstoßen, heißt das noch nicht, dass Resultate aufseiten der Zielgruppe eintreten müssen. Andersherum betrachtet, ist im Grunde jeder Comic lehrreich, wenn er bei Leser*innen Verständnis für Inhalte oder Werte hervorruft. Comics sind kein Universalmittel und doch entfalten sich ihre Potenziale in spezifischen Lernsettings ideal (z. B. Jaffe & Hurwich 2019, Sinha, Patel, Kim, MacCorkle & Watkins 2011, Bitz 2010, Green & Myers 2010, Griffith 2010, Schüwer 2005, Rota & Izquierdo 2003). Lernende, die ihre eigenen fachspezifischen Fähigkeiten gering einschätzen, scheinen davon besonders zu profitieren. Sie beschäftigen sich intensiver mit einem Thema, wenn dieses nicht als Aufsatz, sondern als Comic dargeboten wird (Spiegel 2013).

 

Ein gemeinsamer Blick auf Wissenschaft und Comic

Sie werden es bemerkt haben: Alle Beispiele stammen aus der Chemie. Natürlich können Science Comics auch in anderen Fächern in die Lehre integriert werden. Der Markt bietet hierzu mittlerweile einiges, und mein Fokus als Chemiedidaktiker liegt auf einer Betrachtung meines Fachs. Als Beispiele zu erwähnen sind u.a. der Manga Guide to Biochemistry (Takemura, Kikuyaro & Sawa 2011), die Dynamic World of Chemical Reaction (Biskup, Martin & Schulz 2011), und vieles mehr. Manche Visualisierungsformen der sequenziellen Kunst sind denen, die Chemie-Fachleute in ihren Publikationen nutzen, ähnlich. Auf solche Gemeinsamkeit hinzuweisen, ist nicht neu. In den Neunzigerjahren befasste sich der Nobelpreisträger Hoffmann mit Verwandtschaften zwischen Darstellungen im Comic und in der Chemie sowie mit den darauf bezogenen Rezeptionen (Hoffmann & Laszlo 1991). Leser*innen, die die Freiräume (Gutter) zwischen den Panels des Comics imaginativ überbrücken, agieren wie Chemie-Fachleute, die Reaktionsmechanismen deuten: im Kopf ergänzen sie Zwischenschritte, Dreidimensionalität und Dynamik. Weitere Gemeinsamkeiten können Sie sich beim parallelen Lesen von McClouds Buch Comic richtig lesen (2001) und Rheinbergers Aufsatz über Visualisierungen in den Naturwissenschaften (2009) erschließen:

  • Kompression und Dilatation von Raum und Zeit: Sind Objekte oder Phänomene zu klein, werden sie vergrößert, sind sie zu groß, verkleinert. Was für unsere Sinne zu schnell ist, wird ausgebremst, was zu langsam ist, wird beschleunigt.
  • Verstärkung und Schematisierung: Mit Codes wie Kontur, Proportion, Hinweispfeil oder Symbolfarbe wird die Typik eines Objektes herausgearbeitet. Exemplarisch sei auf Kontraste verwiesen, die Details und Strukturen wahrnehmbar machen (in der Biochemie: Fluoreszenzmarkierung, im Comic: Strichstärken beim Inking).

Bedenken Sie auch: Manch chemiebezogenes Symbol wird mit Alltagsgegenständen assoziiert. Fullerene sehen aus wie Fußbälle und Chaperone erinnern an einen Topf mit Deckel. „Die Welt der Moleküle gewinnt durch diese konnotative Integration den Charakter einer miniaturisierten Alltagswelt“ (Schummer 1995). Das nennt man Transmediation.

 

Ein Trip durch die Chemie? – Über die Vorzüge des Storytellings

Der chemiehistorische Comic Bicycle Day (Blomerth 2019) spitzt die Ereignisse des 19. April 1943 zu, nachdem Albert Hofmann, im Selbstexperiment, eine hohe Dosis der neu synthetisierten Substanz Lysergsäurediethylamid (LSD) zu sich genommen hatte. Im Technicolor-Comix-Stil umgesetzt, bietet er alles, was Chemie ausmacht: opulente Versuchsapparaturen und Laborkabinetts, Fachsprache und Symbolik, Kooperationen und Dispute – sowie Ekstase. In reicher Bildsprache lässt der Comic Menschen am situativen Erleben des Chemikers teilhaben und regt die Imagination aller an, die noch nie LSD synthetisiert und keine Vorerfahrung mit Drogen gemacht haben. (Visuelles) Storytelling erlaubt Begegnungen mit Menschen an fremden Orten in der Vergangenheit oder Zukunft, den Blick über deren Schulter auf Handgriffe und Karten, das Einfühlen in Konflikte etc. (Prechtl & Legscha 2022, Kellermann 2018). Alles fängt mit der Narration an. Sie wird als Storyboard eingerichtet. Mit diesem wird die visuelle Umsetzung des Comics realisiert. Beginnen wir mit den Comicfiguren.