Planen: Comicfiguren
In der Planungsphase des Comics wird ein Storyboard erstellt. Spätestens jetzt sollten Sie Ihren Erwartungshorizont festgelegt haben. Denn Sie sollten den Studierenden alle Kriterien, die später, während der Comicbewertung (vgl. Kap. 7) relevant werden, vorab bekannt geben. Die Phase können Sie, wenn möglich, um Impulsvorträge ergänzen. Hierzu folgen Themenvorschläge:
Nicht ganz mein Proto-Typ
Es wird Ihnen im Alltag nicht entgangen sein: (Natur)wissenschaftler*innen werden oft stereotyp in Szene gesetzt. Drei Prototypen erscheinen gehäuft: erstens destruktive, wahnsinnige Genies (Mad/Bad Scientists), zweitens geniale, ehrwürdige Ikonen (Science Heroes), drittens begabte, sozial isolierte Individualist*innen (Nerds). Typ 1 findet sich konzentriert in Marvel- und DC-Universen. Typ 2 wird zuweilen mit einem Nimbus, einer Leuchterscheinung um Kopf oder Körper repräsentiert (zu sakraler Ikonografie im Comic s. Jüngst 2010). Typ 3 ist häufig in seine eigene Welt versunken (Ein Eisgekühlter Gast taut auf, Franquin 2003). Freilich gibt es Mischformen. Im Fall des Wissenschaftsgotts tritt das Sakrale mit abgehobener, selbstherrlicher Gestik und anmaßendem Sprachduktus auf (Benny und Paula und der Atom Reaktor, Greenpeace 2006). Solche Prototypen sind dem Naturwissenschaftsimage nicht förderlich. Sie halten sich zudem beharrlich. Dies belegen unter anderem Draw-a-Scientist-Tests.
Exkurs: Draw a Scientist!
Mit dem Draw-a-Scientist-Test (DAST) wird beforscht, wie Kinder sich Naturwissenschaftler*innen vorstellen. Kurz gesagt: männlich, im Laborkittel, mit Laborequipment. Erstaunlich ist, dass sich dieses Image im Verlaufe der letzten Jahrzehnte nur wenig verändert hat. Anschauliche DAST-Befunde lassen sich über Websuchmaschinen leicht finden. An ihrem Beispiel kann in der Hochschullehre ein Problembewusstsein dafür geschaffen werden, dass bereits Kinder althergebrachte Images reproduzieren. Auf dieser Grundlage lässt sich die Notwendigkeit legitimieren, eigene, positive Bilder von Naturwissenschaftler*innen selbst zu gestalten und zu teilen. Für eine tiefgründigere Auseinandersetzung mit dem Analyseinstrument DAST, mit dessen Genese und Modifizierung, eignet sich die Abhandlung von Finson (2002); Lamminpää, Vesterinen & Puutio (2020) und Prechtl (2006) beschäftigen sich mit dem Übergang vom DAST zum Comic.
Ideale Figuren: nicht stereotyp, sondern divers
In Comics, insbesondere in solchen, die mit der Cut-Out-Technik gestaltet werden, lassen sich Diversitätsdimensionen wie Alter, Geschlecht und geschlechtliche Identität, ethnische und soziale Herkunft, Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung sensibel abbilden (Legscha, Ibraj & Prechtl 2024). Hier und hier finden Sie Cut-Out-Science-Comics, in denen genau darauf Wert gelegt wurde. Comics sind insofern wirkmächtig, als sie Role Models erschaffen können, die Stereotypen sprengen. Eine Annäherung an die Frage, wie Comicfiguren auf Leser*innen wirken und ob sie das Potenzial zum Role Model haben, erfolgte, anhand der verlinkten Exempel, vermittels Gruppendiskussion (Jesserich 2022) und Fragebogenerhebung (vgl. Prechtl 2024). Die Befundlage stimmt zuversichtlich.

Abbildung 3: Ausschnitt aus dem Cut-Out-Science-Comic Crazy for Chemistry – Alginatbällchen im Bubble-Tea (unveröffentlicht, Giessl, Krömer & Pfeil 2024).

Abbildung 4: Ausschnitt aus Auf die Probe gestellt – Leylas erster Tag im Labor (Jakob 2019a).
Reflexionsübung: Enlightenment
Möchten Sie sich vor der Phase der Comicgestaltung absolut sicher sein, dass Studierende nicht unbeabsichtigt Stereotype reproduzieren werden, sollten Sie kleine Übungen zur Reflexion von Science-Images anbieten. Einen subtilen Zugang eröffnen klassische Bildbetrachtungen. Bezogen auf Prototypen im Fach Chemie bieten sich zwei Werke des Malers Joseph Wright of Derby an:
- An Experiment on the Bird in the Air Pump, 1768 (Craske 2020, 118f.). Der Maler inszeniert den Experimentator als modernen Magier. Die Menschen, um ihn herum, werden Zeuge, wie aus einem Glaskolben, in dem ein Vogel steckt, die Luft gesaugt wird. Der Empiriker beobachtet das Geschehen sachlich, zwei Mädchen hingegen emotional-aufgewühlt, besorgt um das Tier. Die Leidenschaft des Philosophen, mit geneigtem Kopf, gilt der Vernunft. Das Liebespaar ist auf sich fixiert; das Experiment ist ihrer Aufmerksamkeit entrückt. An den Prototypen lassen sich Haltungen gegenüber den Naturwissenschaften erschließen.
- The Alchymist, in Search of the Philosopher’s Stone, Discovers Phosphorus, and prays for the successful Conclusion of his operation, as was the custom of the Ancient Chymical Astrologers, 1771/1795 (Craske 2020, 196). Das Ölgemälde, mit dem sperrigen Titel, zeigt einen gotisch anmutenden Raum, beleuchtet vom Mondlicht und erhellt vom Experiment der Phosphordarstellung. Der Alchemist kniet vor der Retorte, überwältigt vom Eindruck der Phosphoreszenz. Am Werk lassen sich Merkmale sakraler Ikonografie herausarbeiten (Bauernfeind 2021), und daran wiederum einen Prototyp von Wissenschaftler*in, den wir zuvor kennengelernt haben.