Wie können Sie mit Design Thinking lehren?
Wie führen Sie in Design Thinking ein?
Mit der sog. Wallet Challenge und der Gift-Giving-Experience (beide: d.school, Stanford) können Sie bewährte, auf mehreren Sprachen didaktisch ausgearbeitete Vorlagen nutzen, die das einfache Durchlaufen des Design Thinking-Prozesses in ca. 60 Minuten ermöglichen. Auf diese Weise können Sie in überschaubarem Zeitraum einen ersten (freilich sehr grundlegenden) Einstieg in Design Thinking durchführen, die Grundlagen herausarbeiten und reflektieren.
Wie können Sie Design Thinking in der Lehre ideal nutzen?
Design Thinking können Sie in der Hochschullehre ideal nutzen, wenn es auf reale Challenges angewendet wird, es aus didaktischer Perspektive also real situiert ist. Wenn eine reale Challenge durch andere Auftraggebende als die Lehrenden eingebracht wird, erfordert Design Thinking von den Studierenden, ein breites Kompetenzspektrum zu entwickeln und anzuwenden, und läuft zugleich auf ein real gewolltes bzw. benötigtes Ergebnis für eine*n konkrete*n Auftraggeber*in zu. Solche Auftraggeber*innen können universitätsinterne Kolleg*innen, aber auch Unternehmen, Start-ups und gesellschaftliche Akteure (z.B. Vereine, Verbände etc.) sein. Viele Studierende genießen und wertschätzen die außergewöhnliche Atmosphäre, die sich aus der Zusammenarbeit mit insbesondere externen Kooperationspartner*innen ergibt. Häufig können Sie mit gesteigerter Motivation und Disziplin in der Bearbeitung der Inhalte rechnen; Studierende übernehmen vielfach die Eigenverantwortung für die von ihnen entwickelten Ideen (was sich auch als Lernziel formulieren lässt). Als Challenge sind engere oder offenere Fragestellungen möglich. Kleinere Problemstellungen lassen sich tendenziell schneller und mit konkreteren Ergebnissen bearbeiten, während weiter gefasste Problemstellungen umfangreichere Analysen und Komplexitätsreduktionen und damit mehr Zeit erfordern.
Es lohnt sich also, wenn Sie die Vorbereitung Ihres Design Thinking-Kurses damit starten, jemanden zu suchen, der/die ein (passendes) Problem hat.
Welche Lehrhaltung und Rollenverständnis sind sinnvoll?
Machen Sie sich gern bewusst, dass Ihre Rolle als Lehrende*r im Design Thinking primär die Prozess- und Methodenexpertise ist. Es ist eher selten die Rolle der Lehrenden, die Qualität einer Idee für die Auftraggebenden zu bewerten, sondern, die Studierenden sicher und orientiert durch einen komplexen Prozess zu führen! Dafür müssen Sie i.A. wiederholt und kontrolliert die Rolle wechseln und instruieren, coachend-beraten oder moderieren. Vielfach werden Sie als Lehrende*r neue Inhalte, z.B. Design Thinking Prozessschritte oder Methoden einführend erklären. Während die Studierenden ihre Ideen erarbeiten, werden Sie als Coach und Feedbackgeber*in gebraucht. Wann immer Sie die Studierenden durch den Design Thinking-Ablauf führen, sollten Sie im Blick haben, wo sich die Studierenden gerade befinden, damit Sie orientieren und passende Vorschläge anbieten können. Da sich die Gruppen iterierend an unterschiedlichen Punkten innerhalb des Prozesses befinden können, ist das anspruchsvoll. Durchgängig stellt sich für Sie die Frage: wie stark strukturiere ich die Arbeit der Studierenden, wie viele Freiheiten lasse ich (dazu auch: Wiesche et al. 2018: 4f.). Es ist hilfreich, wenn Sie Ihre Studierenden regelmäßig dabei unterstützen, die Qualität ihrer Konstruktionen und Ideen zu steigern, insbesondere durch häufiges, offenes, kritisch-konstruktives Feedback. Planen Sie dazu gerne „Sprechstunden“ mit ein. Nutzen Sie dazu auch regelmäßiges Peer-Feedback der Studierendengruppen untereinander.
Es empfiehlt sich, den Studierenden auf Augenhöhe zu begegnen und eine unterstützende Haltung einzunehmen. Nutzen oder entwickeln Sie neben dem souveränen Umgang mit dem Design Thinking Ansatz selbst Kompetenzen und Methoden in den Themenfeldern
- Coaching, Moderation und Prozesssteuerung,
- konstruktives Feedback (Ich-Botschaften, Gewaltfreie Kommunikation),
- Kreativitätstechniken (deutlich über den souveränen Umgang mit Brainstorming hinaus),
- Problemanalysetechniken,
- Gruppendynamik,
- Projektmanagement (klassisch und agil),
- persönliche Kommunikation (Fragetechniken),
- Empathie und Selbstreflexion;
also ganz wesentlich das Set, dass Ihre Studierenden auch benötigen, um sinnvolle Ideen zu erarbeiten. Und, falls Sie das einschüchtern sollte: es ist eine große Erleichterung, Design Thinking im Team zu unterrichten und Rollen wie Tätigkeiten aufzuteilen. In der transdisziplinären Design Thinking Lehrveranstaltung „Creative Lab Ruhr“, die von UDE und RUB gemeinsam angeboten wird, übernehmen zwei Lehrende die Lehre und Betreuung der ca. 30 Studierenden über den gesamten Seminarzeitraum gemeinsam. Zwei weitere Kolleg*innen kommen für Spezialthemen, z.B. Pitching, und als „Critical Friends“ punktuell hinzu, um den Studierendengruppen während der Ausarbeitung der Ideen differenziert Feedback zu geben.
Wie kann ein Design Thinking-Kurs ablaufen?
Sinnvoll starten Sie mit einer gruppendynamischen und einführenden Formationsphase, bevor Sie in Design Thinking einsteigen und den Studierenden den Ansatz entlang der Phasen vermitteln (Wiesche et al. 2018). Bewährt haben sich warm-up Übungen aus Erlebnispädagogik (z.B. Gilsdorf/Kistner 1995), Seminar-Methodik (z.B. Rachow 2000), oder Impro-Theater (z.B. Improwiki.com/de/uebungen). Zentral ist neben dem allgemeinen Kennenlernen (Namen lernen), eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle (!) anspannungsfrei und auf Augenhöhe bewegen können. Dazu zählt auch die Grundhaltung, auf Seniorität und Hierarchien zu verzichten.
Gerade mit unerfahrenen Studierenden ist auch das einmalige Durchlaufen des gesamten Design Thinking-Prozesses zeitaufwändig. Nach Erfahrung des Autors sind 2SWS/3 ECTS bzw. eine Blockwoche mit fünf bis sechs Volltagen gut machbar, erfordern aber eine disziplinierte Zeitplanung, um nach einem einmaligen Durchlaufen aller Phasen überhaupt zu iterieren und sich so einem qualitativ akzeptablen Ergebnis anzunähern. Das CLR ist als fünftägiges Blockseminar wie folgt strukturiert:
Abb. 02: Ablaufplan Creative Lab Ruhr (Altenschmidt et al. 2019)
Alle angesprochenen Bestandteile finden sich in diesem Ablaufplan wieder. Dieser Ablauf zielt sehr stark auf ein gleichverteiltes Erproben aller Phasen des Design Thinking sowie auf die Entwicklung grundlegender Präsentationskompetenzen (Pitching). Bestandteil sind am zweiten Seminartag (Di) sowie ab dem dritten Tag (Mi) Recherche- und Testphasen, in denen die Studierenden selbstorganisiert auch außerhalb der Hochschule Kontakt zu Nutzer*innengruppen aufnehmen. Am letzten Tag (Fr) ist eine Reflexionsphase ergänzt, in der die Studierenden ihre Erfahrungen mit Design Thinking bewerten sollen.
Wenn Sie den Schwerpunkt mehr auf die unterschiedlichen Konkretisierungsschritte im Lösungsraum legen möchten, bietet es sich an, den Problemraum mehr zu verkürzen, die Arbeit im Lösungsraum differenzierter anzugehen (vgl. Wiesche et al. 2018) und die instruktiven Anteile zum Pitching auszulassen.
Welchen Raum und Ausstattung brauchen Sie?
Design Thinking stellt andere Anforderungen an Raum- und Materialnutzung, als sie die Hochschullehre standardisiert bereitstellt. Nutzen Sie nach Möglichkeit große Seminarräume mit beweglichem Mobiliar (für Gruppentische) und Flipcharts, Whiteboards oder beweglichen Arbeitswänden, die mit Moderationskarten, Post-It’s oder andersweitig flexibel genutzt werden können. Berücksichtigen Sie bei der Raumgestaltung den häufigen Wechsel zwischen instruktiven und Freiarbeitsphasen, d.h. schaffen Sie nach Möglichkeit Platz für einen Stuhlkreis mit freiem Blick zur Leinwand und Gruppentische. Halten Sie im Kopf, dass die Studierenden im Sinne von Recherchen und User-Testings Zeit und Möglichkeit (Verkehrsanbindung) für Vor-Ort-Aufenthalte brauchen. Es empfiehlt sich, diese ggfs. über eine Anmeldung von Exkursionen formal abzusichern. Schließlich: stellen Sie Material für das Prototyping zur Verfügung (s.u.). An der RUB bietet der Makerspace auf Mark 51°7 (O-Werk) für Hochschulangehörige und Unternehmen verschiedene Werkstätten sowie Coworking-Flächen und Seminarräume, um Design Thinking unmittelbar mit ihren Praxisprojekten zu verknüpfen. Dort finden Sie auch Möglichkeiten zum (anspruchsvollen) Prototyping. Und falls all das nicht geht: mit online-Meetings, Gruppenräumen/Breakout-Sessions, virtuellen Boards (Miro, Mural, Conceptboard) und Chatgruppen lässt sich Design Thinking virtuell organisieren.
Welche Rolle spielen multidisziplinäre Teams?
Wenn Sie Studierende aus mehreren Fächern und/oder eine sehr heterogene Studierendenschaft in ihren Kursen haben, ist das (nicht nur) für Design Thinking sehr wertvoll und ermöglicht den Studierenden Erfahrungen mit anderen Denkweisen, Perspektiven und Expertisen. Mischen Sie die Teams nach Studienphasen und Studiengängen. Bei Versuchen, darüber hinaus nach mehreren Diversitätsdimensionen, z.B. Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, Bildungserfahrungen, aufzuteilen, *müssen* Sie unbedingt darauf achten, dass solche Informationen persönlich und sensibel sind und freiwillig geteilt werden.
Wie halten Sie die Bedürfnisorientierung im Blick?
Vor allem, wenn Sie mit Challenge-Gebenden oder in komplexeren Stakeholder-settings arbeiten, lohnt es sich, die relevanten Nutzer*innen-Perspektiven zu klären, zu berücksichtigen und immer wieder zu hinterfragen. Das heißt praktisch vor allem: „Persona“ ist ein Hilfskonstrukt und kein Selbstzweck. Sie verliert ihren Wert, wenn entweder kluge Denkansätze verbogen werden, um kategorisch vermeintlich identifizierte Nutzer*innenbedürfnisse zu bedienen, oder Personae auf eine Lösungsidee hin konstruiert werden. Insgesamt sollten Sie darauf achten, mit dem Persona-Konzept sensibel umzugehen: es zielt darauf, sich Nutzende möglichst konkret und empathisch vorzustellen, führt in der Praxis jedoch häufig zu oberflächlichen, stereotypen bis klischeehaften Konstrukten. Gerade hier ist wiederholtes und kritisches Feedback durch Peers und Sie als Lehrende*n wesentlich.
Wie können Sie die Design Thinking Phasen vermitteln?
Die folgenden Zielformulierungen und Achtungspunkte helfen, die Studierenden verständig durch die Phasen zu führen und die entsprechende Zielstellung und Haltung zu verinnerlichen. Als Weg von der Challenge zum Produkt sind die zugehörigen gedanklichen Schritte zudem an einem Beispiel verdeutlicht, wie sie der Autor den Studierenden in seiner Lehrveranstaltung zeigt:
1. Verstehen
Ziel: Problemstellung („Challenge“) und Problemraum (Auftraggeber, Markt, Rahmenbedingungen, Einschränkungen…) verstehen.
Worauf Studierende in diesem Schritt achten sollten: genau zuhören, die Herausforderung verstehen wollen, Bewertungen zurückstellen, nicht vorschnell auf Lösungen festlegen.
Abbildung 03: Schritt 1. Quelle: Altenschmidt/UNIAKTIV
2. Beobachten
Ziel: Nutzer*innenperspektiven durchdringen, Empathie aufbauen, Bedürfnisse erkennen.
Worauf Sie in diesem Schritt achten sollten: empathisch und offen sein, eigene Perspektive zurückstellen/reflektieren, nicht vorschnell auf Lösungen festlegen. Beobachtungen dokumentieren.
Abbildung 04: Schritt 2. Quelle: Altenschmidt/UNIAKTIV
Anmerkung: in diesem Beispiel werden die wesentlichen Schritte des Empathieaufbaus radikal verkürzt. Auch zeigt sich hier, dass Nutzer*innen nicht notwendig Endnutzende sein müssen. Bei anders gelagerter Frage hätten hier auch im Mittelpunkt stehen können:
- Yvonne, die über die Nutzung von Foodsharing ökologisch nachhaltig leben möchte oder
- Yvonne, die Foodsharing nutzt, um Geld zu sparen oder
- Yvonne, die gerne backt und deshalb abgibt
Und natürlich hätte Yvonne in dieser Verkürzung ohne Konsequenzen Seyma, Jürgen, Hassan heißen können.
3. Standpunkt/Sichtweise definieren
Ziel: gemeinsam geteilte Perspektive auf die Aufgabe herstellen; Synthese der Analysen.
Worauf Studierende in diesem Schritt achten sollten: unterschiedliche Sichtweisen zulassen, aber transparent machen – gemeinsames Bild finden; Perspektive (Persona) nicht konstruieren, um die bereits bevorzugte Lösung zu legitimieren.
Abbildung 05: Schritt 3. Quelle: Altenschmidt/UNIAKTIV
4. Ideen finden
Ziel: ungewöhnliche Ideen finden.
Worauf Studierende in diesem Schritt achten sollten: im Lösungsraum bleiben, Kritik zurückstellen; Methoden nutzen; Punkt für nächsten Schritt abpassen („groan zone“ – nicht zu oberflächlich, nicht zu tief).
5. Prototypen entwickeln
Ziel: schnelle, auch vorläufige Verbildlichung der zentralen Eigenarten der Idee.
Worauf Studierende in diesem Schritt achten sollten: Kernpunkte der Idee treffen; als Mittel zum Zweck begreifen; offen für Varianten bleiben; umbauen; iterieren; nicht verlieben.
Abbildung 06: Schritte 4 und 5. Quelle: Altenschmidt/UNIAKTIV
6. Testen
Ziele: Prototypen verbessern; kritische Rückmeldungen zu Bedürfnisangemessenheit, Innovationsgrad, Umsetzbarkeit u.a. bekommen.
Worauf Studierende in diesem Schritt achten sollten: Nutzergruppen finden; Reflektieren, was getestet werden soll; Widersprüche aushalten; Ergebnisse dokumentieren.
7. Iterieren
Abbildung 07: Schritte 6 und 7. Quelle: Altenschmidt/UNIAKTIV
Wie können Sie das studentische Prototyping unterstützen?
Prototyping ist ein besonderer Schritt im Design Thinking, weil er die Konkretisierung der Innovation durch (haptisches) Gestalten fördern soll. Insbesondere bei technischen Lösungen können die Studierenden gut und bequem auf eine Vielzahl von virtuellen, teils branchenüblichen Prototyping-Lösungen zur Erstellung von Mock-Ups, Click-Dummies etc. zurückgreifen. Als niedrigschwellige Alternative können Sie hier Spielzeug (insbes. Lego, Playmais) oder Bastelmaterial (Kleber, Schere, buntes Papier, Knete, Pfeifenreiniger) anbieten. Im Unterschied zu häufig auf professionelle Anmutung ausgelegten Softwarelösungen fördern gebastelte Protoypen, sich auf die wesentlichen Eigenschaften zu konzentrieren. Und sie machen deutlich, dass Prototypen vorläufig und ein Zwischenschritt sind: Find ihn gut, bau ihn um, schmeiß ihn weg (in Anlehnung an Lewrick et al. 2018).