Forschendes Lernen: Begriff, Begründungen und Herausforderungen
1. Zum Begriff des Forschenden Lernens
1970 hat die Bundesassistentenkonferenz in ihrer viel zitierten Schrift „Forschendes Lernen – Wissenschaftliches Prüfen“(1970) das Forschende Lernen, ein Kernelement der Humboldt’schen Universitätskonzeption, als ein maßgebliches hochschuldidaktisches Prinzip auch für eine moderne, demokratische Hochschule neu konzipiert und herausgestellt. Seitdem ist dieses Konzept in zahllosen Texten und Programmen beschworen und in verschiedenen Kontexten, in den letzten Jahren wieder zunehmend, ansatzweise umgesetzt worden. Naturgemäß sind Begriff und Abgrenzung dabei undeutlich geworden. Es ist daher bei jeder Diskussion und Implementation nötig, sich zunächst darüber zu verständigen, was gemeint ist. Trotz der unaufhebbaren Vielfalt der institutionellen und fachlichen Kontexte und der Auffassungen und Gestaltungen von Forschendem Lernen stelle ich hier den Versuch einer Definition an den Anfang.
1.1 Definition
„Forschendes Lernen zeichnet sich vor anderen Lernformen dadurch aus, dass die Lernenden den Prozess eines Forschungsvorhabens, das auf die Gewinnung von auch für Dritte interessanten Erkenntnissen gerichtet ist, in seinen wesentlichen Phasen – von der Entwicklung der Fragen und Hypothesen über die Wahl und Ausführung der Methoden bis zur Prüfung und Darstellung der Ergebnisse in selbstständiger Arbeit oder in aktiver Mitarbeit in einem übergreifenden Projekt – (mit)gestalten, erfahren und reflektieren“ (Huber 2009, S.11).
Daraus sei hier nur die Bestimmung „auf die Gewinnung von auch für Dritte interessanten Erkenntnissen gerichtet“ noch einmal hervorgehoben. Wenn Kritiker des Konzepts fordern, dass Forschendes Lernen, wenn es den Namen Forschung verdienen solle, auch Ergebnisse hervorbringen müsse, die im universalen Rahmen „neu“ sind oder „die Disziplin verändern“, erheben sie einen Anspruch, den studentische Arbeiten selten erfüllen werden. Allerdings stehen dann m.E. auch große Teile dessen in Frage, was Lehrende und Mitarbeiter im wissenschaftlichen Alltagsbetrieb als Forschung betreiben. Die Bundesassistentenkonferenz hat als gemeinsamen Kern der Forschung und des Forschenden Lernens nicht die Neuheit des Ergebnisses, sondern den Prozess der ständigen Befragung jeder vorliegenden Aussage und der methodisch-systematischen Anstrengung, sie zu überholen, herauszustellen versucht (1970, Textziffer 4.14). Deren Ergebnis sollte folglich auch für Dritte von Interesse sein, sei es für die „scientific community“ auf einer Tagung, sei es für eine Fachbereichs- oder Hochschulöffentlichkeit auf einem Forum oder in anderen ähnlichen Formen. In jedem Fall sollte als Ergebnis nicht nur der Lerngewinn oder die Lernleistung für den Lernenden zählen.
Forschendes Lernen unterscheidet sich eben dadurch von anderen, durchaus verwandten hochschuldidaktischen Konzepten; es hat von jedem dieser Ansätze etwas, setzt aber auch jeweils einen spezifischen Akzent.
1.2 Verwandte Konzepte: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Idealtypisch gesehen gehört zweifellos zu Forschendem Lernen, dass die Studierenden selbst eine sie interessierende Frage- bzw. Problemstellung entwickeln (insofern: lernerzentriert) oder sich für eine solche durch die Lehrenden gewinnen lassen. Aber diese Fragestellung sollte nicht nur zufällig subjektiv bedeutsam (insofern nicht nur an den Studierenden orientiert) sein, auch nicht nur als methodisches Prinzip („entdeckendes Lernen“) angewandt werden, sondern, wie wissenschaftliche Arbeit überhaupt, auf die Gewinnung neuer Erkenntnis gerichtet, d.h. im oben genannten Sinne: für Dritte von Interesse sein. Diese Suchbewegung kann von einem konkreten Problem oder Fall ausgehen, gleicht also darin dem Problem-based Learning (PBL), aber anders als bei jenem sollte dies ein selbst gefundenes oder gewähltes Problem sein, und auch im weiteren wird in der Entwicklung eigener Methoden und weiterer Untersuchungen über PBL hinausgegangen. Forschendes Lernen könnte sich zwar auch unabhängig von Lehrenden und Lehrveranstaltungen (independent learning) vollziehen; nach dem alten Ideal der Universität aber sollte es in der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden betrieben werden; nach den neuen Zielsetzungen soll es auch soziales Lernen zur Entwicklung sozialer Kompetenzen fördern. Im Forschenden Lernen soll Wissenschaft gerade als sozialer Prozess erfahren werden. Insofern reicht die Ermöglichung Forschenden Lernens über die Einrichtung einer Lernumgebung, in der Studierende individuell lernen und evtl. forschen (Individualisierung), hinaus.
Am engsten ist es benachbart zum Projektstudium, nur dass es bei Forschendem Lernen nicht notwendig um praktische Ergebnisse (Produkte), sondern zunächst um theoretische Einsichten geht. Auch die Partizipation von Studierenden an größeren Forschungsprojekten eines Instituts kann diesen Zielen dienen, selbst wenn das nur durch irgendeine Teilarbeit möglich ist. Voraussetzung ist, dass sie Gelegenheit bekommen, den Zusammenhang des Projekts, an dem sie mitwirken, zu begreifen und auch den gesellschaftlichen Kontext und die Verantwortung der Wissenschaft mit zu diskutieren.
Denn das Wichtige am Prinzip des Forschenden Lernens ist die kognitive, emotionale und soziale Erfahrung des ganzen Bogens, der sich von der Neugier oder dem Ausgangsinteresse aus, von den Fragen und Strukturierungsaufgaben des Anfangs über die Höhen und Tiefen des Prozesses, Glücksgefühle und Ungewissheiten, bis zur selbst (mit-)gefundenen Erkenntnis oder Problemlösung und deren Mitteilung spannt. Schneider/Wildt (2009) beschreiben diesen Bogen als „Forschungszyklus“ ausführlicher und zeigen auf, wie er sich mit dem allgemeineren grundlegenden Lernzyklus (des Lernens durch Erfahrung) verbinden lässt.
2. Begründungen und Herausforderungen
Wer sich der Aufgabe, ein offensichtlich so komplexes und anspruchsvolles Lehr-Lern-Konzept wie das Forschende Lernen umzusetzen, stellen will oder soll, wird gute Gründe dafür verlangen. Im Folgenden seien drei Begründungsstränge, die sich durch die ganze Diskussion des Forschenden Lernens wie auch der verwandten Konzepte hindurchziehen, kurz zusammengefasst (ausführlicher vgl. Huber 1998, 2009).
2.1 Begründungen
2.1.1 Bildung durch Wissenschaft
Die erste Begründung, eine bildungstheoretische, beruft sich auf die Tradition des Nachdenkens über die neuzeitliche Universität.
Für die geistigen Väter der „Idee der Universität“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts war klar: Wenn Wissenschaft bildet, dann nur Wissenschaft, die man – als unabgeschlossene – selbst „treibt“, nicht die, die man – als abgeschlossene – vermittelt bekommt:
„Es ist ferner eine Eigentümlichkeit der höheren wissenschaftlichen Anstalten, dass sie die Wissenschaft immer als ein noch nicht ganz aufgelöstes Problem behandeln und daher immer im Forschen bleiben …. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler wird daher durchaus ein anderes als vorher … Denn nur die Wissenschaft, die aus dem Innern stammt und ins Innere gepflanzt werden kann, bildet auch den Charakter um …“(Humboldt 1809 – 10/ 1956, S. 377 f., 379; vgl. auch Schleiermacher 1808/1956, S. 238).
Vorgestellt war dabei eine philosophierende Wissenschaft, die dem Ziel der Aufklärung verpflichtet und mit Selbstreflexion verbunden ist (ohne die ja auch „Bildung“ nicht denkbar ist). Dieser Reflexion sind auch schon bei Humboldt drei Dimensionen vorgegeben: die Selbstreflexion der Wissenschaft als Erkenntnismodus, die Selbstreflexion des Subjekts mittels der Wissenschaft und die Reflexion auf das Allgemeinwohl, das durch sie gefördert werden soll. Eigenverantwortlichkeit und Sozialverantwortlichkeit gehören hier als Ziele zusammen (vgl. Euler 2005, S. 255, 263f.). In jeder der drei Dimensionen sind aber Probleme auch unserer gegenwärtigen Wissenschaft zu bedenken (vgl. Benner 1990).
2.1.2 Allgemeine Kompetenzen – Schlüsselqualifikationen
Der zweite Begründungsstrang, ein qualifikationstheoretischer, folgt aus dem bemerkenswerten Wandel der formulierten Erwartungen an jegliche Berufsausbildung, auch die in den Hochschulen, in den letzten Jahren. Sie verdichten sich in der Forderung, die gerade von den „Abnehmern“ der Hochschulabsolventen selbst kommt, sie solle „Schlüsselqualifikationen“ bzw. allgemeine Kompetenzen vermitteln (vgl. Orth 2000). Solche Forderungen sind inzwischen weitverbreitet. In seinen „Empfehlungen zur Einführung neuer Studienstrukturen und -abschlüsse (Bakkalaureus/ Bachelor – Magister/ Master) in Deutschland“ hat sie sich der Wissenschaftsrat (2000, S. 21f.) auch für diese zu eigen gemacht. Die „Tugend-Kataloge“ variieren nach Zahl und Formulierung der erwünschten Qualifikationen erheblich – Zeichen der noch unsicheren Theoriebildung und Empirie. Im Grundsatz geht es jedoch immer wieder um: breite Orientierung und Überblickswissen, systemisches (oder: vernetzendes) Denken, divergentes Denken, Kreativität, methodische Flexibilität, Ausdauer, Ambiguitätstoleranz, Kommunikations-, Kooperations- (oder Team-)fähigkeit, Führungs- (oder Durchsetzungs-) fähigkeit und Verantwortungsbereitschaft.
Eben um die Chancen zur Entwicklung dieser Fähigkeiten zu erhöhen, wird Forschendes Lernen gefordert (sowohl allgemein wie auch speziell für die Lehrerbildung, vgl. Wissenschaftsrat 2001, S. 47), weil es über Arbeitssituationen verläuft, die solche Fähigkeiten schon fordern und dadurch auch fördern bzw. einüben. Selbstverständlich sichert die bloße Form „Forschendes Lernen“ so wenig wie irgendeine andere Lehrform schon als solche, dass diese Wirkungen eintreten; das hängt von der Ausgestaltung ab. Aber diese Form des Lernens macht sie wahrscheinlicher. Pasternack plädiert deswegen am Ende einer Diskussion der Trends in der gegenwärtigen Hochschulreform für die Wiederherstellung der Einheit von Forschung und Lehre und speziell für Forschendes Lernen, weil die Kernkompetenzen für Berufsfähigkeit in hochqualifizierten Berufen bzw. Professionen (Umgang mit Unbestimmtheit) genau die sind, die im Forschen gebraucht und geübt werden (Pasternack 2008, S. 203, 205). Auch international wird es in diesem Zusammenhang gesehen und gefordert (vgl. auch Tremp 2005; Brew 2006, S.8ff.)
2.1.3 Lerntheoretische Begründung
Beide Zielvorstellungen verlangen komplexe Lernsituationen! Die Frage im besonderen, wie denn Schlüsselqualifikationen erworben werden könnten, treibt über traditionelle Vermittlungsformen entlang der Fachsystematik weit hinaus. Das gilt inhaltlich, insofern selbstständiges forschendes Fragen leicht die Disziplingrenzen überschreitet; es gilt aber auch didaktisch-methodisch: kreativitätsfordernde und -fördernde Settings, komplexe Simulationen, individuelle selbständig durchgeführte Arbeitsvorhaben (Recherchen, Konstruktionsaufgaben usw.), kooperative Projekte, Mitgestaltung von Lernplan und -kontext werden dafür verlangt. Das trifft mit den Schlussfolgerungen der jüngeren kognitiven Lerntheorie zusammen: Lernen, das nachhaltig ist und nicht nur „träges“ Wissen hinterlässt, muss „tiefes“ Lernen (deep level learning) sein, d.h. eines, bei dem der Lernende aktiv tätig ist und u.a. die Strukturierungsleistungen selbst vollzieht. Das Studium muss dafür geeignete Lern-Situationen bieten. Mandl/ Reinmann-Rothmeier (1998, S. 198; vgl. auch Reinmann 2009, S. 37ff.)) z.B. charakterisieren diese so:
„(1) Situiert und anhand authentischer Probleme lernen …
(2) In multiplen Kontexten lernen …
(3) Unter multiplen Perspektiven lernen …
(4) In einem sozialen Kontext lernen …
Ein solcher „shift from teaching to learning“ hat inzwischen sogar in Beschlüsse des Wissenschaftsrates (s.o.) und der HRK (2008) Eingang gefunden. Alles spricht aus lerntheoretischer Perspektive dafür, als Lernsituationen auch Forschungssituationen zu suchen (oder: „Forschungsformate als Lernformate“ zu kreieren, vgl. Schneider/Wildt 2009).
2.2 Probleme der Umsetzung – Herausforderungen an Lehrende und Lernende
Mit ganz pragmatischen Hindernissen und Schwierigkeiten hat man heute bei fast jeder Lehrveranstaltung zu kämpfen, zumal wenn man „gute“ Lehre machen möchte: Mangel an geeigneten Räumen, Kollisionen der Zeiten, Höhe der Teilnehmerzahlen und deren Begrenzung. Sie sind nicht spezifisch für Forschendes Lernen und werden deswegen hier nicht weiter behandelt.
Anders die folgenden, die man in der Diskussion für und wider Forschendes Lernen immer wieder angesprochen findet:
- Konflikte durch Abweichung von Stoffplänen in Curricula und Prüfungen
- Konflikte mit Vorgaben der Prüfungsordnungen für Formen und Durchführung von Prüfungen oder deren Benotung versus Notwendigkeit der Entwicklung bzw. Anerkennung geeigneter Prüfungsformen für Forschendes Lernen, die dessen Kompetenzzielen angepasst wären;
- Erhöhung des Zeit- und Arbeitsaufwandes für Lehrende – und Studierende (erstmalige und neuartige Planung so komplexer Arbeitsformen; Pionierarbeit in Erschließung von und Kooperation mit neuen Praxisfeldern; hoher Bedarf an individueller Beratung)
- Schwierigkeiten der Koordination von Teams der Lehrenden, zumal interdisziplinären (Mühe und Aufwand der Verständigung)
- Motivation der Studierenden, noch fehlende Überzeugung, dass Forschendes Lernen sich lohnt.
- Vorbereitung der Studierenden in Kenntnissen und Methodenkompetenz, auch z.B. bezüglich Zeitmanagement, Verbindlichkeit/Disziplin in der Teamarbeit
- Vorbereitung der Lehrenden auf ihre veränderte Rolle im Forschenden Lernen, vor allem als Berater/innen.
Die ersten beiden signalisieren Dilemmata, für die keine Methoden als Lösung angegeben werden können. Vielmehr hilft da nur eine Güterabwägung und Verständigung im Fachbereich darüber, was mehr gelten soll: Bezogen auf das Curriculum: Breite oder Tiefe des Lernens, Fachkenntnisse oder Methodenkompetenz? Bezogen auf die Prüfungen: Standardisierung, Vergleichbarkeit usw. oder Offenheit und Vielfalt, damit die spezifischen Kenntnisse und prozessbezogenen Kompetenzen gezeigt werden können?
2.3 Lösungsansätze
Für die anderen Probleme haben sich in bisherigen Versuchen einige Lösungsansätze als bewährt erkennen lassen, z.B. aus den Hamburger Projekten (s. Hubert u.a. 2009; das Folgende nach Julia Hellmer 2009). Hier nur eine Auswahl:
- Raum für Projektideen und Entwicklung von Fragen geben: neugierig zu werden, eigenes Interesse zu entdecken, ein Gespür für Fragen an den Gegenstand zu entwickeln.
- Orientierungsrahmen klären: Transparenz der Anforderungen und ihrer Verbindlichkeit, überschaubare Zeiteinheiten für die jeweiligen Phasen bzw. Arbeitsschritte, organisatorische Vorkehrungen für den Austausch der Studierenden untereinander und Rückmeldungen zum Forschungsprozess.
- Begleitung und Beratung für die Studierenden intensivieren: Eigenarbeit der Studierenden ist das Ziel, Beratung bleibt aber notwendig. Wichtig: Beratungssituationen, in denen die Studierenden sich gegenseitig beraten. Sie bieten Anlass, über den Forschungsprozess zu reflektieren, soziale Kompetenzen zu üben und Verantwortung für die gemeinsamen Lernprozesse zu übernehmen.
- Methodentraining: in engem Zusammenhang mit der Veranstaltung, vor, in oder neben ihr . Dies auch schon, damit die Studierenden eine begründete Auswahl treffen können.
- Ausrichtung der Tätigkeit auf „echte“ Bewährungssituationen: „Stehen die forschenden Tätigkeiten in Zusammenhang mit realen Praxis-/Problemfeldern und/oder werden die Ergebnisse zur Weiterentwicklung der Praxis genutzt oder im Rahmen der „scientific communitiy“ veröffentlicht, dann ist das für die Studierenden motivationsfördernd“ (Hellmer 2009, S. 220).
- Studentische Tutoren, möglichst mit eigener Forschungserfahrung einsetzen: als erste Ansprechpartner/innen, eventuell auch als „Modell“ für die jüngeren Studierenden.
Neben oder besser: vor all diesen Faktoren ist das Interesse an Themen und Untersuchungsfeldern selbst das Wichtigste, um die Schwierigkeiten nicht aufzuheben, aber zu relativieren: wenn die Studierenden ihre Fragen verfolgen, Neues entdecken, eigene Erfahrungen mit der Erkundung, Systematisierung und Dokumentation von Problemen, Fällen und Fragestellungen machen können. Das gilt ähnlich auch für die Lehrenden: ihr eigenes Interesse an dem jeweiligen Fragefeld dürfte die beste Voraussetzung für die Meisterung der oben genannten Probleme sein.
2.4 Phasen des Forschenden Lernens
Wie sich eben schon andeutete, ist ein wesentliches Mittel zur Bearbeitung bzw. Verringerung der bekannten Schwierigkeiten des Forschenden Lernens die sorgfältige Planung und Ausgestaltung der Phasen (vgl. wiederum Hellmer 2009, aus deren Bericht ich hier viel übernehme).
- Einführung: etwa in Form einer Informationsveranstaltung, bei der die didaktische Grundkonzeption erläutert wird, oder als forschungsmethodische Vorbereitung der Studierenden oder wenigstens durch eine sehr ausführliche und deutliche Veranstaltungs-Ankündigung.
- Finden einer Fragestellung oder Konkretisierung eines Problems: zumeist ja innerhalb eines schon vorgegebenen bzw. bekannten Oberthemas oder Rahmenprojekts, aber auch dann als ein eigener Abschnitt, in dem die Studierenden Zeit haben, ihre je eigenen Fragen bzw. Zugänge zu finden und zu formulieren.
- Informationserarbeitung zur Sache bzw. zum Inhalt des Projektthemas. Zeitpunkt und Dauer dieser Phase variieren stark, ebenso die Form: Vermittlung notwendigen Vorwissens durch Lehrende (z.B. in Form von Vorlesungen), Erarbeitung durch die Studierenden selbst und Austausch unter ihnen (z.B. auf elektronischer Plattform).
- Erwerb von Methodenkenntnissen zur Bearbeitung der Forschungsfrage (s.o.) : in vielen Projekten als eigene Phase systematisch in die Konzeption der Veranstaltung integriert, sonst vorausgesetzt oder nebenher organisiert.
- Entwicklung eines Forschungsdesigns: zentrales Moment in den Projekten, weitestgehend in die Hand der Studierenden gelegt.
- Die Durchführung einer forschenden Tätigkeit : Diese Phase kann u.U. außerhalb der Vorlesungszeit liegen und an andere Orte als die Hochschule selbst führen (Praktika, Exkursionen, Feldstudien)
- Erarbeitung der Ergebnisse. Sie kann in die Zeitstruktur der Veranstaltung integriert sein oder ihr nachgelagert werden (z.B. in Form von Seminar- oder Abschlussarbeiten bzw. Artikeln zur Veröffentlichung).
- Mitteilung der Ergebnisse: Bericht, Dokumentation, Präsentation oder Publikation innerhalb der Veranstaltung, auf Foren des Fachbereichs, der Hochschule oder auf Tagungen, in internen oder externen Organen …
- Reflexion des Vorgehens, des Arbeits- und des Gruppenprozesses, des Status und der Relevanz der Ergebnisse usw.
3. Wirkungen des Forschenden Lernens
Es wäre wünschenswert, wenn man die beschriebenen hohen Erwartungen an das Forschende Lernen auf eine breite Basis tragfähiger Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen stützen könnte. Die gibt es jedoch noch nicht, erst recht nicht in der Form von Vergleichsmessungen. Sie ist leider auch nicht so bald zu erwarten: zu spezifisch ist nach Fachgebiet, Anlage, Durchführung und Rahmenbedingungen jede einzelne Veranstaltung, in der Forschendes Lernen stattfinden soll, und zu komplex und daher schwierig zu messen sind die Ziele (Kompetenzen) und erhofften nachhaltigen Wirkungen, die erst längere Zeit nach der Veranstaltung feststellbar wären.
Wohl aber gibt es Anhaltspunkte, die zu den Erwartungen an das Forschende Lernen berechtigen:
Das sind zum einen, wie schon erwähnt (s.o. 2.1.3) die in der kognitiven und speziell konstruktivistischen Lerntheorie der letzten Jahrzehnte immer mehr gefestigten Erkenntnisse über den generellen Vorzug, den Formen des Lernens, bei denen die Lernenden selbst aktiv (in jedem Sinne) tätig sind, Wissen selbst suchen und strukturieren und zur Lösung von Problemen oder komplexen Aufgaben einsetzen und so handelnd Erfahrungen machen (deep level learning), vor jenen Formen verdienen, in denen die Lernenden Wissen nur im Wesentlichen rezipieren und auf Abfrage reproduzieren können (surface level learning). Zum ersteren Typ gehört der Intention nach das Forschende Lernen wie ebenso potentiell andere Formen von „high impact activities“ – Projekte, service learning, bestimmte Praktika usw. – auch (vgl. Kuh 2008).
Diese Annahmen werden zum anderen dadurch gestützt, dass zwar nicht für das Forschende Lernen als Ganzes, wohl aber für einzelne seiner Elemente empirische Bestätigungen vorliegen: Von den evidenzbasierten Merkmalen für „gutes“ Lehren und Lernen, die Winteler/Forster (2007) in ihrer Sichtung des internationalen Forschungsstandes identifizieren, gehören sehr wichtige zu den Elementen des Forschenden Lernens: Zeit für eigenes Nachdenken, Hinweise für das Weiterlernen zu geben, experimentierendes Suchen, Forschen (experimental inquiry) sowie bestärkendes und korrigierendes Feedback (reinforcement/corrective feedback).
Schließlich darf es auch als eine Bestätigung dienen, dass weltweit engagierte Hochschullehrende auf diesen Weg zur Verbesserung von Lehren und Lernen verfallen. Bain (2004) hat aus seinen Fallstudien zu 63 preisgekrönten Lehrenden an Colleges und Universitäten als eines der wesentlichen ihnen gemeinsamen Charakteristika herausgeschält, dass ihre Annahmen über Lernen erstaunlich mit den oben schon genannten Erkenntnissen der modernen Lernforschung übereinstimmen: Wissen werde konstruiert, nicht rezipiert; solches Lernen verlange Konfrontation mit Problemen, kognitiven Diskrepanzen oder Konflikten, die zum Umstrukturieren mitgebrachter oder überlieferter Modelle veranlassen, aber auch einen geschützten Raum (safe space) für die Entwicklung neuer Ideen (Bain 2004, 27ff.). Entscheidend dafür seien Fragen, am besten eigene, und „Caring“ des Lehrenden im Sinne von „Für-wichtig-halten“ des jeweiligen Themas (ebd. S. 31), Erfahrung der Selbstwirksamkeit /Bewusstsein der eigenen Kontrolle (locus of causality), wachzuhalten durch verbales, aufgabenbezogenes feed back (ebd. S. 27ff.).
Solchen Ergebnissen aus den USA entspricht, was Brown/ McCartney bei ihrer Sichtung der internationalen (genauer: der englischsprachigen) Literatur gefunden haben: „Where changes have been made by teachers in higher education […] in an attempt to promote a deep approach to learning […], what they have actually done is to make their courses (typically undergraduate courses) more like research.“(1998, p. 126; Hervorhebungen L.H.). Als eine Bestätigung dafür kann die umfangreiche Sammlung von Beispielen von Jenkins u.a. (2007) dienen.
Das beruhigende Wissen, mit vielen Lehrenden weltweit in die gleiche Richtung zu gehen, kann allerdings nicht von der Pflicht entbinden, sich im eigenen Kontext so gut als möglich auch empirisch Rechenschaft über die tatsächlichen Wirkungen der Projekte Forschenden Lernens zu geben. Neben der Aufgabe, seinen Zielen angemessene Formen der Leistungsmessung (Prüfung) zu finden, steht, nicht minder schwierig, die Aufgabe einer über die Messung der Ergebnisse noch hinausgehenden Evaluation des Prozesses in Relation zu Anlage und Kontext des Vorhabens.
Aber das ist ein neues Thema.