Kompetenzen prüfen im Kontext Forschenden Lernens
Ausgangspunkte
Das Prüfen von Kompetenzen im Kontext Forschenden Lernens verlangt zunächst einmal nach einer Standortbestimmung. Was versteht man unter Forschendem Lernen, welche Kompetenzen werden hier vermittelt, die geprüft werden sollen?
Forschendes Lernen
Gewöhnlich werden mit dem Schlagwort „Forschendes Lernen“ mindestens drei Aspekte verbunden: das Lernen von Forschung, das Lernen mit Bezug auf möglichst aktuelle Forschungsergebnisse und -methoden sowie Lernen im „Format der Forschung“. Dem Lernen im „Format der Forschung“ (Wildt, 2009; Schneider / Wildt 2009) kommt in diesem Dreiklang eine besondere Bedeutung zu. Als Unterrichtsform und curriculares Prinzip umfasst es nämlich die beiden anderen Aspekte. Plastisch spiegelt dies eine Definition von Reiber und Tremp aus dem Jahre 2007 wider: „Forschendes Lernen meint die Einführung in die Wissenschaft im Medium wissenschaftlicher Reflexion und Arbeitsformen. Gelernt wird Forschungshandwerk ebenso wie disziplinäres Wissen. Eingeübt wird eine Haltung, welche wissenschaftliches Tun auszeichnet: etwas wissen wollen, mit kritischer Distanz einen Sachverhalt und eigene Anschauungen infrage stellen. Forschendes Lernen lässt sich dadurch charakterisieren, dass das akademische Fach nicht als fertiges und festes Lehrgebäude behandelt, nicht als statischer Besitz bestimmter Kenntnisse präsentiert, sondern durch Fragen erarbeitet wird, auf die die Forschung Antworten sucht.“ (Reiber / Tremp, 2007, S. 3). Der Prozess des Forschenden Lernens, verstanden als Lernen im Format der Forschung, ist analog dem Prozess der Forschung strukturiert – beide Prozesse können „mit Kategorien des Forschungshandelns übereinstimmend beschrieben werden“ (Schneider / Wildt, 2009, S. 54). Der Generierung von Wissensbeständen, Fertigkeiten und Praxis, die einer Disziplin neu sind, entspricht auf der persönlichen Ebene der individuelle Lerngewinn (vgl. Wildt, 2009; Schneider / Wildt, 2009).
Kompetenzen und Forschendes Lernen
Forschendes Lernen ist damit seinem Wesen nach kompetenzorientiert. Für die Lernenden steht dabei der Prozess von Forschung im Zentrum, wobei sie sich schrittweise in den Prozess der Produktion, Darstellung und Verbreitung von Wissen und Praxis einarbeiten. Forschendes Lernen vollzieht sich im Curriculum der Studierenden auf unterschiedlichen Niveaus, wobei die etablierten Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten einer Disziplin in ihrer Prozesshaftigkeit fokussiert und schließlich überschritten werden (vgl. dazu das Kompetenzstufenmodell von Schneider / Wildt, 2009, und die Überblicke bei Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich, 2007, S. 14, und Ruschin, 2010, S. 116). Dem trägt beispielsweise auch das Leitbild Lehre der Ruhr-Universität Bochum Rechnung. Im Vergleich zu älteren Ausbildungskonzepten bedeutet Forschendes Lernen nicht nur für die Lernenden, sondern auch für die Lehrenden eine veränderte Situation. Die Lernenden betreten ein für sie oft ungewohntes Terrain, in dem Lernprozesse offen verlaufen, die Freiheiten eher groß und die Vorgaben eher klein sind, zudem ein neuer Umgang mit „Fehlern“ und „Umwegen“ notwendig ist. Die Lehrenden sind etwa aufgefordert, ihre Rolle als „Lehrer“ im Sinne eines klassischen Experten für ihr Fachgebiet immer wieder zu verlassen und etwa als Lernbegleiter Teil des Lernprozesses zu werden (vgl. etwa Beneker, 2010).
Kompetenzarten
Forschendes Lernen verläuft in einem Curriculum also stufenweise. Schritt für Schritt eignen sich die Studierenden Forschungskompetenzen auf immer „höherem“ Niveau an. Wichtige Zielpunkte sind hier sicherlich die sogenannten Fachkompetenzen, die je nach Disziplin spezifisch strukturiert sind. Von großer Bedeutung sind aber auch die allgemeinen, sogenannten überfachlichen oder Schlüsselkompetenzen, wie sie üblicherweise in der allgemeinen Kompetenzdiskussion unterschieden werden: Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Selbstkompetenz (vgl. die Überblicke bei Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich, 2007, S. 12, und bei Kopf / Leipold / Seidel, 2010, S. 2 – 5). Insofern ist die Diskussion um Prüfungen von Kompetenzen im Kontext forschenden Lernens ein Teil der allgemeinen Diskussion um Kompetenzen und ihrer Prüfung (vgl. dazu Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich, 2007; Huber 2008; Reis / Ruschin, 2008; Kopf / Leipold / Seidel, 2010).
Formen des Forschenden Lernens
Die Stufen des Forschenden Lernens, von der „eigenständigen Recherche von Forschungsbefunden zu einer Frage und ihrer strukturierten Aufarbeitung für bestimmte Zwecke bis zur „Reflexion, kritischen Analyse und Bewertung des eigenen Forschungshandelns und anderer Personen“ (vgl. Reiber / Tremp, 2007, S. 11, und die dort zitierte Literatur) korrelieren mit Formen des Forschenden Lernens.
Prüfungen und Prüfungsformen
Da beim Forschenden Lernen Kompetenzen im Mittelpunkt stehen, sind für „Prüfungen“ im Kontext Forschenden Lernens einige klassische Formate, wie etwa MC-Klausuren, primär weniger geeignet. Zur Prüfung von Lernzielen, die Teil der zu vermittelnden Kompetenzen sind, etwa Wissensbestände, kann ihr zusätzlicher Einsatz dennoch sinnvoll sein. Sie sollten aber behutsam eingesetzt werden, um die Lernanstrengungen der Studierenden nicht auf unerwünscht starke Weise in diese Richtung zu lenken. Für die Prüfung der Kompetenzen, die durch Forschendes Lernen erlangt werden, gilt dasselbe wie für die Prüfung von Kompetenzen allgemein: Sie werden nicht in einem klassischen Arbeitsergebnis allein sichtbar, da sie – etwa im Unterschied zu Lernzielen – aus komplexen Handlungsabläufen bestehen, in denen verschiedene Einzelleistungen koordiniert angewendet werden. Als angemessen werden aber begleitende Dokumentationen von Arbeitsverläufen (etwa in Form von Portfolios), Forschungsprodukte mit Kommentaren der Autoren und die Simulationen komplexer Situationen (etwa von Präsentationen mit Diskussion) angesehen (Huber, 2009, S. 25 – 26, vgl. auch Brinker / Schumacher, 2008, S. 182). Insgesamt kann man sich hier an den allgemeinen Erfahrungen mit der Prüfung von Kompetenzen orientieren und auf die bewährten Prüfungsformate zurückgreifen, unter denen man je nach anvisierten Kompetenzen und Kompetenzstufen auswählt (praktische Überblicke mit Kommentaren zu den einzelnen Prüfungsformen findet man z.B. bei Kopf / Leipold / Seidel, 2010, und Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich, 2007). Von besonderer Wichtigkeit ist es, dass gleichzeitig die Entscheidung für angemessene Veranstaltungsformate (von Vorlesung und Seminaren über Projektseminare, Übungen und Tutorien bis zu Praktika) und passende hochschuldidaktische Methoden fällt (vgl. den Überblick bei Kopf / Leipold / Seidel, 2010). Außerdem muss die Frage beantwortet werden, welche Rolle summative und formative Aspekte bei der Prüfung spielen sollen.
Leistungsnachweise | Fachkompetenz | Überfachliche Kompetenzen | ||
---|---|---|---|---|
Methoden- kompetenz | Sozial- kompetenz | Selbst- kompetenz | ||
1 Falls zu zweit oder in der Gruppe durchgeführt | ||||
Schriftliche Prüfungen | ×× | × | ||
Mündliche Prüfungen | ×× | × | ||
Referate / mündliche Präsentationen | ×× | × | ×1 | × |
Schriftliche Arbeiten | ×× | × | ×1 | × |
Posterpräsentationen | ×× | × | ×1 | × |
Wissenschaftspraktische Tätigkeiten | ×× | × | ×1 | × |
Studientagebücher / Lernjournale | ×× | × | × | |
Portfolios | ×× | × | × | |
Protokolle | ×× | × | ||
Gruppenprüfungen | ×× | × | × | |
Parcours (z.B. OSCE) | ×× | × | ||
Forumsbeiträge | ×× | × | × | |
Gruppenpuzzle | ×× | × | × | × |
Herausforderungen
Die besonderen Herausforderungen des Forschenden Lernens bestehen gewöhnlich besonders in der Kontrolle des induzierten Arbeitspensums (für die Lernenden und die Lehrenden) und einer erfolgreichen zeitlichen Organisation, in der Berücksichtigung der unterschiedlich weit gespannten Heterogenität der Studierenden und in der Auswahl geeigneter Prüfungsformen (vgl. etwa die Übersicht bei Huber, 2009, S. 22 – 28). Die folgenden allgemeinen Tipps sollen helfen, diese Problemfelder zu kontrollieren und schließlich auch Kompetenzen im Kontext forschenden Lernens erfolgreich zu prüfen. Dabei wird der Bogen bewusst über den Bereich der Prüfungen im engeren Sinne hinaus gespannt: Die Prüfungen sind ja nur ein Teil einer Veranstaltung bzw. eines Ausbildungsabschnitts oder eines Curriculums.
Tipps
- Planungen von A – Z, inkl. Prüfungsplanung, unbedingt vor Ankündigung einer Veranstaltung abschließen.
- Zielkompetenzen und Lernziele, Unterrichts- und Prüfungsformen für die Studierenden früh und transparent kommunizieren.
- Die Einbindung einer Lehrveranstaltung in das Gesamtcurriculum der Studierenden beachten und Antworten auf folgende Fragen suchen:
- Mit welchen Kompetenzen starten die Studierenden in meiner Lehrveranstaltung?
- Welche Lernziele, die Bestandteil oder Basis der Zielkompetenzen sind, haben sie schon erreicht?
- Ist meine Veranstaltung Basis für zukünftige andere Veranstaltungen?
- Wie viele Teilnehmer sind zu erwarten?
- Handelt es sich um eine Pflicht-, Wahlpflicht- oder Wahlveranstaltung? Welche Möglichkeiten bestehen, falls nötig die Teilnehmerzahlen zu begrenzen?
- Welcher Zeitaufwand wird für die Lernenden und Lehrenden induziert?
- Lernziele und Zielkompetenzen schriftlich fixieren, dabei die Lernziel- und Zielkompetenzstufen berücksichtigen und dabei nicht nur fachspezifische, sondern auch überfachliche Kompetenzen sowie curriculare Vorgaben berücksichtigen.
- Das Niveau der Zielkompetenzen behutsam festlegen sowie den anvisierten Kompetenzgewinn während einer Veranstaltung kritisch hinterfragen.
- Die anvisierten Kompetenzen konkret auf Handeln und dessen Bedeutung für Dritte formulieren, z.B. „die Studierenden können wichtige Literatur zu einem Problem / einer Fragestellung recherchieren und das Ergebnis einer Arbeitsgruppe in angemessener Form präsentieren“ oder „die Studierenden können einen Text auf eine Ziel- oder Fragestellung hin analysieren und für eine Zielgruppe oder Diskussionssituation präsentieren“.
- Die Ziel-Kompetenzen eng an explizit benannte hochschuldidaktische Methoden koppeln und auf angemessene und realisierbare Veranstaltungsformate achten.
- Die Prüfungsformen passend zu den Zielkompetenzen und Lernzielen sowie den ausgewählten hochschuldidaktischen Methoden und Veranstaltungsformaten auswählen.
- Frühzeitig an mögliche Schwierigkeiten bei der Bewertung und Korrektur der Prüfungsleistungen denken und folgende Fragen beantworten:
- Welche Erfahrungen habe ich bei der Bewertung und Korrektur der anvisierten Prüfungsform?
- Gibt es Beurteilungsschemata, die bei der Bewertung und Korrektur helfen können?
- In welcher Form sollen die Bewertung und die Korrektur den Studierenden mitgeteilt werden und welche Funktion sollen die Prüfungen erfüllen? Handelt es sich um summative oder formative Prüfungen? Soll sich eine weitergehende Beratung anschließen?