Begriffliche Annäherung

Bei einer grundlegenden Betrachtung von Interdisziplinarität müssen verwandte Begriffe betrachtet werden. In Anlehnung an Michael Jungert (2013 (2), S. 2-4) können einige Begriffe angeführt werden:

Begriffsabgrenzungen (nach Jungert 2013 (2), S. 2–4)

Zunächst existiert Multidisziplinarität. Unter diesem Konzept werden Probleme auf verschiedene Aspekte hin untersucht, es erfolgt jedoch keine Gesamtschau oder disziplinäre Verzahnung, sondern es bringt lediglich mehrere „Teilansichten, die allerdings zueinander in bestimmten Zuordnungen und Ergänzungen stehen“ (Heckhausen 1987, S. 138) zusammen; jede Disziplin widmet sich nur den sie selbst betreffenden Teilaspekten des Themas.
Ganz ähnliche Argumentationen finden sich im Hinblick auf Pluri- oder Crossdisziplinarität. So schreibt Heckhausen: „Sie (die Pluridisziplinarität, SL) vermag einen Gegenstand gemeinsamen Interesses […] unter den fachwissenschaftlichen Aspekten der einen oder der anderen Disziplinarität zu beleuchten und in Beziehung zu setzen. Sie vermag nicht, die verschiedenen Perspektiven ineinanderzuführen oder zu vereinigen.“ (ebd., S. 137) Interdisziplinarität meint in dieser Auslegung, dass zwar ein Bewusstsein für die jeweiligen anderen Disziplinen besteht, sie jedoch kaum ernsthaft aufgenommen werden. Crossdisziplinarität (vgl. Balsiger 2005) bezeichnet dagegen eine erste Stufe der Zusammenarbeit, welche die Übernahme und Nutzung fremder Erkenntnisse, Methoden und Programme für die eigene Disziplin beinhaltet. Zwar herrscht nur ein kleiner gemeinsamer Nenner der Verständigung von und über Interdisziplinarität vor (vgl. Jungert 2013, S. 2; vgl. auch Defila/Di Giulio 1998, S. 114), aber es gibt ein Bewusstsein für die Relevanz anderer Disziplinen.

Dieser Aspekt ist generell für ein interdisziplinäres Arbeiten grundlegend und auch für die Ausbildung bzw. Förderung von interdisziplinärem Verstehen, Sehen und Arbeiten zentral. Denn nach der Wahrnehmung von Besonderheiten des eigenen Fachs ist die Einordnung in die Grade der Interdisziplinarität (unter anderem über Fragestellungen, Gegenständen oder Methoden anderer Disziplinen) ein wichtiger Schritt interdisziplinären Arbeitens. So ist der Bau einer pädagogischen Einrichtung ein aus sich heraus begründeter interdisziplinärer Prozess, an dem Personen aus Erziehungswissenschaft, (Innen-)Architektur, Bauingenieurwesen usw. beteiligt sein können. Der Gegenstand bedingt folglich eine interdisziplinäre Herangehensweise. Notwendig wird dadurch, dass die jeweiligen Akteurinnen und Akteure, die unterschiedliche Fachkulturen erleben, bestimmte Herangehensweisen favorisieren oder über verschiedene begriffliche, theoretische und sprachliche Welten verfügen, in einen gemeinsamen Austausch treten müssen.

Um den Aspekt des gemeinsamen Forschens und Arbeitens weiter zu vertiefen, lohnt ebenfalls ein Blick in die von Jungert in Anschluss an Heckhausen entworfene Ordnung von Interdisziplinarität. Er unterscheidet dabei (vgl. Jungert 2013 (2), S. 5f.):

 

  Merkmal Beispiel
unterschiedslose Interdisziplinarität Nebeneinander verschiedener Einführungen Bearbeitung eines Krankheitsbilds aus medizinischer und statistischer Sicht
Pseudo-Interdisziplinarität Nutzung derselben Modelle durch verschiedene Disziplinen ohne Verbindung zueinander Bezugnahme auf Eriksons Stufenmodell in Psychologie und Erziehungswissenschaft
Hilfs-Interdisziplinarität Gebrauch ‚fremder‘ Methoden für eigene Disziplin Verwendung von Methoden qualitativer Sozialforschung im Bereich des Software-Engineerings
zusammengesetzte Interdisziplinarität Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen zur Lösung eines allgemein Problems Analyse komplexer Themen wie soziale Gerechtigkeit
ergänzende Interdisziplinarität in den Grenzgebieten einer Disziplin entwickelt Etablierung von Schnittmengen (u.a.Psycholinguistik)
vereinigende Interdisziplinarität Annäherung der theoretischen Integrationsniveaus und Methoden verschiedener Disziplinen Entwicklung eines computergestützten Programms zur Übersetzung/Einordnung einer alten Sprache durch Informatik und Sprachwissenschaft
Ordnungen von Interdisziplinarität (vgl. Jungert 2013 (2), S. 5f)

Mit einer Definition von Balsiger (1999, zit. nach Defila/di Gulio 1998, S. 117) kann ein für Lehre, Forschung und Praxis anschlussfähiges Verständnis von Interdisziplinarität angeführt werden, welches für überfachliches Lehren und Lernen gültig ist. Sie kann skizziert werden „als eine Form wissenschaftlicher Kooperation in Bezug auf gemeinsam zu erarbeitende Inhalte und Methoden, welche darauf ausgerichtet ist, durch Zusammenwirken geeigneter Wissenschaftler/-innen [bzw. Studierender, SL] unterschiedlicher fachlicher Herkunft das jeweils angemessenste Problemlösungspotential für gemeinsam bestimmte Zielstellungen bereitzustellen.“

Tipps für Lehren und Lernen

  • Es ist wichtig, immer wieder alle beteiligten Personen (z. B. Studierende und Lehrende) daran zu erinnern, welches Verständnis von Interdisziplinarität jeweils zugrunde liegt und welche Chancen und Grenzen mit diesem verbunden sind.
  • Ein solches Reflektieren ist dabei nicht nur ein wichtiges Instrument zur Beteiligung und Einbindung aller Personen, sondern es unterstützt über eine begriffliche, methodische und inhaltliche Auseinandersetzung das Suchen und Finden eines eigenen interdisziplinären (Selbst-) Verständnisses.