Lehrveranstaltung im Projektformat zum Thema „Urban Gardening“
Ein Interview mit Frau Dr. Astrid Seckelmann, Geographisches Institut, durchgeführt von Aleksandra Penkala & Stefanie Füchtenhans
Frage: Welche Veranstaltung haben Sie als „projektförmige Lehre“ umgesetzt und wie ist sie im Studium verortet?
Kern:
Es handelt sich um ein forschungsbezogenes Seminar, bei dem die Studierenden in Teams kleine Forschungsprojekte zum Thema „Urban Gardening“ durchführen. Die Veranstaltung hat im Wintersemester 2014/15 begonnen und läuft über zwei Semester
Umsetzung:
Ich führe seit Jahren Projekte in der Lehre durch. Das Seminarbeispiel, das ich in diesem Beitrag näher erläutern will, ist ein Projekt, das ich aktuell begleite. Wie meistens bei uns in der Geographie ist die Seminargröße auf maximal 15 Plätze begrenzt und es nehmen derzeit 13 Studierende teil.
Nach den Empfehlungen des Studienverlaufsplans sind die Studierenden im fünften Semester, wenn sie damit anfangen. Sie schließen das Projekt parallel mit ihrem Bachelorstudium ab. Es ist so ein bisschen die Krönung dessen, was sie bisher gelernt haben, da hier Theorie, Methodik und Empirie miteinander verbunden werden.
Deshalb ist Voraussetzung für die Teilnahme, dass die Studierenden bestimmte Grundlagenseminare und einen Methodenkurs besucht haben. Diese formale Eingangsbedingung wird geprüft. Die Studierenden können aus verschiedenen Studienprojekten dasjenige auswählen, dass sie am meisten interessiert. So gab es neben meinem Kurs zu „Urban Gardening“ auch noch andere Projekte, z. B. zur Höhlenklimatologie oder Entwicklung und Bewertung von Fließgewässern.
Frage: Wie haben Sie die Veranstaltung konkret durchgeführt?
Kern:
Das Projektseminar ist – wie meist bei uns in der Geographie – zweisemestrig, wobei im ersten Teil ein theoretischer Input erfolgt. Auf dieser Grundlage werden dann die Forschungsfragen entwickelt, die im zweiten Teil bearbeitet werden. Es ist ein regelmäßig stattfindendes Seminar und hat für die Studierenden auch in der vorlesungsfreien Zeit nicht pausiert. In dieser Zeit mussten sie selbst organisiert ihre Projekte voranbringen.
Umsetzung:
Das Seminar startete anfangs mit einer Phase von theoretischem Input, in dem mit Hilfe von Literatur und Exkursionen der fachliche Kontext zu „Urban Gardening“ erarbeitet wurde. In diesem Zeitraum haben sich die Studierenden auch untereinander kennengelernt, so dass sie anschließend Teams bilden konnten. In diesen Teams haben sie dann in der zweiten Phase auf Grundlage des theoretischen Wissens eigene Forschungsfragen erarbeitet und sind nun gerade dabei, die Empirie für die Untersuchungen zu entwickeln.
Frage: Wie wurden die einzelnen Teams informiert und organisiert? Gab es bestimmte Rollen innerhalb der Teams?
Kern:
In diesem Seminar haben sich die Studierenden nach Forschungsinteressen in Teams zusammengefunden. Innerhalb der Teams wurden Rollen für verschiedene Aufgaben vergeben, jedoch keine Hierarchien erstellt. Deshalb liegt die Verantwortung für das Gelingen des Projektes bei allen Teammitgliedern gleichermaßen.
Umsetzung:
Im Vorfeld, während der theoretischen Einarbeitung, hatten die Studierenden in kleineren Gruppenarbeiten die Möglichkeit sich kennenzulernen und mit unterschiedlichen Teilnehmern zu arbeiten, sodass sich Teams nach Interessen, Sympathie oder Arbeitsweise bilden konnten. Pro Team haben sich 3 bis 4 Personen zusammengetan. Dann haben sie ihre Projektziele formuliert. Ein Team behandelt z.B. das Teilprojektthema „Integration durch Urban Gardening“, ein anderes die Möglichkeit neue Gartenformen auf dem RUB-Campus zu etablieren, wieder ein anderes befasst sich mit solidarischer Landwirtschaft.
Ich habe die Teams gebeten, in Eigenregie Rollen festzulegen. Z. B. die Rolle des Protokollanten bei den Teamsitzungen oder die der „Kommunikation nach außen“, wobei „nach außen“ jetzt erst einmal nicht mich als Lehrende als Adressatin meint, sondern die Personen, die die Studierenden dann für ihre jeweiligen Projekte in der Stadt oder anderswo ansprechen müssen. Ich habe mich explizit gegen die Empfehlung ausgesprochen, die Rolle „Projektleiter“ im Sinne eines hierarchischen Leiters zu vergeben. Ich fand es sinnvoller, gleichwertige Rollen zu vergeben und zu sehen, wie es läuft. Ich wollte deutlich zu machen, dass alle Teammitglieder gleichermaßen für den Erfolg des Projektes verantwortlich sind.
Meine eigene Rolle ist die der Leiterin der Lehrveranstaltung und mein Projekt ist die Lehrveranstaltung. Dieses Projekt leite ich. Aber innerhalb der Teams müssen sich die Studierenden selbst organisieren und absprechen. Wie sich die die Studierenden innerhalb der Gruppe organisieren, machen sie untereinander aus. Die Personen z. B., die mich kontaktieren, variieren, da sich einige Studierende im Praktikum befinden oder aus anderen Gründen nicht vor Ort sind und dadurch verändern sich bei ihnen im Team automatisch die Rollen. Das finde ich persönlich nicht schlimm. Aber wichtig ist für mich, dass deren „Kommunikation nach außen“ einheitlich geregelt ist, denn das wäre für außenstehende Ansprechpartner sonst zu verwirrend.
Frage: Welche Kompetenzen können/konnten die Studierenden erwerben?
Kern:
In der Geographie werden Projekte schon seit vielen Jahren angeboten, da speziell in diesem Studium eine starke Praxisnähe vermittelt werden soll. Es wird nicht nur ausschließlich gelehrt, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert, sondern es werden auch Fähigkeiten vermittelt, die im Beruf und für das weitere Studium von Relevanz sind. Die Studierenden lernen neben Fachlichem und Methodischem, wie sie sich selbst und die Aufgaben innerhalb des Teams organisieren. Sie erlernen die Grundprinzipien des Projektmanagements und sie üben unterschiedliche Präsentations- und Dokumentationsmethoden wie z. B. Protokolle und Portfolios ein.
Umsetzung:
Es steht in dem Kurs nicht nur das Fachliche im Vordergrund, sondern wichtig sind auch das Methodische und natürlich die Soft Skills. Die Studierenden lernen – und das ist das Entscheidende – die Überbrückung von der Theorie zur Empirie. Zu den Aufgaben der Studierenden gehören u.a. die Formulierung von Thesen, die Entwicklung von Indikatoren, die Entwicklung von Fragebögen oder anderen Methoden, mit denen sie empirisch arbeiten wollen. Sie müssen ihre Zeitpläne selbst erstellen, Kontakte zu Institutionen herstellen und immer wieder schriftlich und mündlich über ihren Arbeitsstand berichten. Wir haben auch darüber diskutiert, wie Teamarbeit organisiert werden kann und wie man sich bei Problemen im Team verhalten kann. Die Studierende üben, Feedback zu geben und Feedback zu bekommen und sie müssen moderieren, präsentieren und diskutieren. Sie können Fehler machen, solange – das ist jetzt wieder das Entscheidende – sie diese reflektieren und sie für sich daraus lernen.
Im Idelfall werden die Studierenden mit diesem Projekt auch auf ihre Bachelorarbeit vorbereitet. Wenn Sie am Ende z. B. Forschungsbedarfe benennen und problemorientierte Untersuchungsziele formulieren können. Wenn sie zumindest eine, vielleicht auch mehrere Methoden des empirischen Arbeitens verstanden und eingeübt haben. Ihnen werden in dem Kurs die Grundprinzipien des Projektmanagements vorgestellt und ganz konkret auch Hilfsmittel zur Projekt- und Zeitplanung an die Hand gegeben.
Frage: Wie haben Sie die Veranstaltung vorbereitet? Worauf sollen Lehrende bei der Planung achten?
Kern:
Studienprojekte erfordert einen höheren Aufwand seitens der Lehrenden als bei einer anderen Lehrveranstaltungsform. Allerdings kann man nach einmaliger Durchführung eines Studienprojektes ein paar Dinge auf nachfolgende Projektveranstaltungen übertragen und „wiederverwerten“. Mittlerweile habe ich eine gewisse Grundstruktur und weiß z.B., wie viel Zeit ich zur theoretischen Einarbeitung zur Verfügung stellen darf und wann ich zur Praxis überleiten muss. Das überlege ich mir nicht jedes Mal neu. Aber alles Fachbezogene und die daraus resultierenden Arbeitsschritte, Zeitvorgaben usw. werden jedes Mal neu entwickelt. Das Wichtigste sind klare Strukturen.
Umsetzung:
Klare Strukturen sind zum einen für mich und zum anderen für die Studierenden wichtig. Es muss allen Beteiligten klar sein, auf welcher Ebene dieses Projektes ich – als Lehrende – mich und wo sich die Studierenden befinden. Geht es gerade um die wissenschaftliche Forschungsfrage, geht es um das Projektmanagement oder geht es um die Reflektion des Arbeitsprozesses? (s. Abb.)
Transparenz ist immer wichtig und sollte bei jeder Lehrveranstaltung gegeben sein. Was ich bei Studienprojekten enorm relevant finde ist, dass die Studierenden zu den einzelnen Arbeitsschritten regelmäßig Feedback erhalten. Denn die Arbeitsschritte bauen aufeinander auf. Nach ein paar Arbeitsschritten sollte ein Feedback erfolgen.
Ich bin zunehmend begeistert vom „Peer Reviewing“. Damit meine ich hier, dass die Gruppen beispielsweise ihre verschiedenen Fragebögen untereinander austauschen und die eine Gruppe den Fragebogen der anderen Gruppe liest. Ich selbst habe nie so viel über wissenschaftliches Arbeiten gelernt, wie seitdem ich studentische Hausarbeiten lesen muss und sehe, was „toll“ oder was „nicht so toll“ ist. Ich will damit den Studierenden ermöglichen, einfach einmal einen Einblick darein zu bekommen, wie die anderen das machen und daraus zu lernen.
Und was ich außerdem seitens der Lehrenden sehr wichtig finde, ist ein gutes Zeitmanagement, um das Zeitmanagement der Studierenden im Auge zu behalten und da ganz klar Meilensteine zu setzen und zu sagen: „Wenn ihr bis zu dem Termin eure ersten Aufgaben nicht geschafft habt, dann reicht der Rest des Semesters nicht mehr für die Arbeiten, die ihr noch vor euch habt.“
Ich setze also nur die großen Meilensteine, z. B.: „Jetzt müsst ihr anfangen, euren empirischen Teil zu entwickeln oder bis dann müsst ihr euch in die Theorie soweit eingelesen haben, dass ihr eure Fragebögen entwickeln könnt.“ Dazwischen und danach organisieren die Studierenden ihr Zeitmanagement und setzen ihre eigenen Meilensteine, die projektabhängig sind. Ich mache nur so grobe Etappen deutlich, einfach um zu verhindern, dass das ein oder andere Team zurück bleibt.
Frage: Wie werden Sie die studentische Leistung bewerten?
Kern:
Ich werde die Leistung der Studierenden anhand eines von ihnen erstellten Portfolios bewerten. Zu dem Portfolio gehören ein Endbericht und eine Reflektion des Lernprozesses sowie Dokumente, die die einzelnen Arbeitsschritte der Teams verdeutlichen. Der Endbericht wird schriftlich, möglichweise zudem auch mündlich sein. Ob es einen mündlichen Bericht gibt, richtet sich nach dem Interesse der externen Partner. Darüber hinaus hängt die genaue Ausgestaltung des Portfolios damit zusammen, dass die Leistungen in den einzelnen Arbeitsphasen, die für die Fertigstellung eines Projektes erbracht werden müssen, sehr unterschiedlich sind. Zurzeit sind die Studierenden zum Beispiel dabei, zu versuchen, aus der Theorie heraus Thesen abzuleiten, von denen aus sie zu Indikatoren kommen, die dann zu Fragestellungen für einen Fragebogen führen. Das hat viel mit Theorieverständnis, Argumentation und Logik zu tun. Das ist eine andere Anforderung, als hinterher einen Bericht zu schreiben. Ich finde, dass unterschiedliche Anforderungen in die Bewertung eingehen dürfen und müssen.
Umsetzung:
Aktuell habe ich mich mit den Studierenden darauf geeinigt, dass sie im Portfolio mitentscheiden können, aus welchen Phasen sie welche Dokumente oder Belege für ihre Arbeit beilegen. Es ist so, dass ich nicht alles sehen will, was im Verlauf ihres Arbeitsprozesses geschieht.
Also wenn sie jetzt zum Beispiel von jedem ihrer Treffen ein Protokoll erstellen, möchte ich nicht hinterher alle Protokolle sehen. Aber es steht ihnen dann frei zu sagen: „Wir möchten aber auch mal eines unserer Protokolle beispielhaft in dieses Portfolio einfügen.“ Oder sie arbeiten mit Tabellen, um den Übergang von der Theorie zur Empirie zu schaffen. Und das sind Inhalte, die hinterher im Bericht so nicht stehen. Die Studierenden könnten aber sagen: „So, da steckt aber unsere ganze logische Überlegung drin und deswegen möchten wir diese Tabelle in das Portfolio einstellen.“ Die Qualität der empirischen Arbeit kann auch dann belegt werden, wenn Befragungen durchgeführt und die Transkripte der Interviews beigefügt werden.
Ich werde meine Bewertung wahrscheinlich für drei Teile vornehmen, nämlich
- die Bearbeitung des Forschungsprojektes mit Theorie und Empirie,
- die Dokumentation der Ergebnisse,
- die Reflektion des eigenen Lernprozesses.
Zu diesen drei Teilen werden von den Studierenden unterschiedliche Bestandteile in das Portfolio gelegt. Das Portfolio wird von dem jeweiligen Team erstellt und es gibt auch eine Teamnote.
Wenn ich als Leitung des Projekts merke, dass die Teamarbeit im Teilprojekt nicht gut funktioniert, dann bitte ich die Studierenden mir das mitzuteilen. Dann benote ich das Portfolio nicht insgesamt, sondern die jeweiligen Arbeitsteile separat und der/die jeweilig/e Studierende erhält seine/ihre individuelle Note.
Frage: Worauf muss man bei der Durchführung einer Veranstaltung in Projektform aus Ihrer Sicht besonders achten? Was könnten mögliche Stolpersteine sein?
Kern:
Der größte Stolperstein ist aus meiner Sicht die Komplexität dieses Lehrformates. Es muss stets darauf geachtet werden, auf welcher Ebene und in welcher Phase die Studierenden gerade arbeiten und welche Rolle ich dabei habe.
Umsetzung:
Die drei Projektebenen (wissenschaftliche Fragestellung theoretisch und empirisch bearbeiten – Projektmanagement erproben – Arbeitsprozess reflektieren) muss man ständig parallel zueinander beachten. Das ist für mich nicht einfach und für die Studierenden noch schwieriger. Außerdem würde ich die Studierenden mit der Zeitplanung nicht ganz allein lassen. In gewissem Rahmen setzen sie ihre Zeitplanung, aber ich versuche, sie dabei zu beraten. Ich weise sie z .B. darauf hin, dass nicht jeder Ansprechpartner sofort zur Verfügung stehen wird und dass manches einen längeren Vorlauf braucht, als sie erwarten.
Eine Aufgabe der Studierenden ist es, am Ende ihren Projekterfolg zu evaluieren. Dazu müssen sie von Anbeginn Indikatoren entwickeln, mit denen sie am Ende überprüfen können, inwieweit sie ihre Ziele erreicht haben. Das ist sehr schwierig, weil es sich auf einer Metaebene abspielt und der Erfolg des Projektes unabhängig von der Qualität der Forschungsergebnisse beurteilt werden kann. Ich kann z.B. sagen: „Ich habe den richtigen Projektpartner gewählt“, aber trotzdem kann es sein, dass meine grundlegende Fragestellung irgendwie nicht gut war. Das sind zwei unterschiedliche Bezugsgrößen, über die wir gerade immer wieder sprechen und die derzeit unsere größte Herausforderung sind.
Ein weiterer Stolperstein ist, dass man als Lehrende nicht immer genug Zeit dafür einplant, mitzuverfolgen, woran die Teams gerade arbeiten. Ich muss mich z. T. echt überwinden, mich immer wieder in die Detailplanungen der einzelnen Teams einzudenken. Und die Versuchung, das nicht zu tun, ist in Anbetracht der anderen Arbeit, die man noch zu erledigen hat, relativ groß.
Als Lehrende ist es auch eine Herausforderung zu entscheiden, wie stark man die Arbeit der Studierenden beeinflusst. Einerseits muss in den einzelnen Teams nicht alles perfekt laufen und die Studierenden sollen gerade durch die Reflektion ihrer eigenen Fehler lernen. Andererseits muss ich aber auch verhindern, dass ein Projekt vor die Wand fährt und auch dafür sorgen, dass das Geographische Institut nach außen gut vertreten wird. Wenn die Studierenden beispielsweise im Namen des Geographischen Institutes Befragungen durchführen, dann könnte ich sie nicht mit einer mangelhaften Vorbereitung der Fragebögen losschicken. Vor allem nicht, wenn es sich bei den Befragten um Experten handelt, die uns als Kooperationspartner wichtig sind. Alles in allem ist die Frage nach dem Eingreifen in den an sich selbständigen Arbeitsprozess der studentischen Teams eine ständige Gratwanderung.