Voraussetzungen für Learning Analytics
Insbesondere die technologischen Voraussetzungen für Learning Analytics sind hoch. Greller und Drachsler (2012) haben die vielfältigen Dimensionen, die den Einsatz von Learning Analytics beeinflussen und für den Einsatz geklärt werden müssen, zusammengefasst (Abbildung 2). Entsprechend des Modells ist auch von Ihnen als Lehrperson zu klären,
- mit welcher Zielsetzung Sie Learning Analytics einsetzen möchten,
- ob Sie als Lehrperson, Ihre Studierenden oder weitere Personen für dieses Ziel die Daten liefern („Data Subjects“),
- ob Sie als Lehrperson, Ihre Studierenden oder weitere Personen die Analyseergebnisse erhalten („Data Clients“),
- welche Daten Sie für die durchzuführenden Analysen benötigen,
- wie Sie die Daten auswerten möchten,
- und welche externen und internen Limitationen Sie berücksichtigen und ggf. überbrücken müssen?
Ausgangspunkt der durch Sie zu klärenden Fragen ist somit immer die Zielsetzung des Einsatzes. Die Antworten auf alle weiteren Fragen leiten sich von dieser Antwort ab. Beginnen Sie also mit der Fragestellung, mit welcher Zielsetzung Sie Learning Analytics in Ihrer Lehre einsetzen möchten. Welchen Mehrwert erhoffen Sie sich durch den Einsatz für sich oder Ihre Studierenden?
Abbildung 2: Dimensionen für Learning Analytics (Greller & Drachsler, 2012, S. 44)
Technologie und statistische Zusammenhänge
Sofern Sie Learning Analytics technologiegestützt umsetzen möchten, bedingt dies im Allgemeinen eine große Einstiegshürde. Als Lehrperson müssen Sie zu Beginn entscheiden, welchen Einsatz von Learning Analytics Sie sich wünschen bzw. Sie für Ihre Lehre oder zur Unterstützung des Lernens Ihrer Studierenden benötigen. Ihre Bedarfe müssen dann entweder durch Sie selbst oder eine unterstützende Stelle technisch umgesetzt werden. Bei existierenden Learning-Analytics-Softwarelösungen und den Learning-Analytics-Funktionalitäten in den Learning Management Systemen, wie Moodle oder ILIAS, werden zumeist vordefinierte und allgemeine Auswertungen angeboten. Diese können allerdings nur bedingt und eher „zufällig“ Ihren individuellen Bedarf an Analysen und Darstellungen adressieren.
Diese Zufälligkeit liegt darin begründet, dass es unzählige Kombinationen aus didaktischen Designs, Lerninhalte und Rahmenbedingungen gibt, sodass jede Lehrveranstaltung und jede Lernsituation von Studierenden einzigartig ist. Entsprechend gibt es auch für jede Lehrveranstaltung individuelle Bedarfe an Analysen. Das von Ihnen als Lehrperson entwickelte individuelle didaktische Design des Lernangebots erfordert daher zumeist auch individuelle Datenauswertungen in Learning Analytics.
Zu dieser Einzigartigkeit kommt die Herausforderung der technischen Umsetzung hinzu, dass akademisches Lernen im Allgemeinen nicht direkt beobachtbar ist, also ein latentes Konstrukt darstellt. Lernen kann durch vielfältige bewusste und unbewusste Einflüsse angeregt werden und die Effekte dieser Einflüsse auf den Lernprozess können sich individuell unterscheiden. Dadurch sind die kausalen Zusammenhänge von Interventionen auf das Lernergebnis auch in wissenschaftlichen Studien nur schwierig messbar. Forschungsergebnisse, insbesondere aus Einzelstudien, sind daher an den jeweiligen Kontext gebunden und die situativen Varianzen lassen sich nur durch sehr große Metastudien zumindest teilweise egalisieren. Die gleiche Herausforderung besteht beim Einsatz von Learning Analytics und muss bei der Interpretation der Analyseergebnisse berücksichtigt werden. Im Allgemeinen werden Sie durch Learning Analytics Korrelationen und keine Kausalitäten feststellen können.
Die Aussagekraft heutiger Metastudien über den Einfluss von Learning Analytics auf das Lernen ist aufgrund der fehlenden Standards im Bereich Learning Analytics, bspw. was ein Learning-Analytics-System leisten können muss oder welches Begriffsverständnis von Learning Analytics überhaupt angelegt wird, eingeschränkt (zuletzt Bergdahl et al., 2024). Das Problem der Wirkung von Learning Analytics wird umso komplexer, sobald durch Learning Analytics nicht nur Aussagen über eine Kohorte gemacht werden sollen, sondern über einzelne Studierende. Denn wenn Aussagen über einzelne Lernende gemacht werden sollen, sind die Wirkzusammenhänge des Lernprozesses immer auch durch die individuellen Voraussetzungen, die externen Lernbedingungen und das (metakognitive) Lernverhalten beeinflusst. Diese individuellen Zusammenhänge sind in quantitativen, statistischen Analysen nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand verlässlich abbildbar.
Die technische Entwicklung von Learning-Analytics-Systemen ist entsprechend herausfordernd und fertige Softwarelösungen bieten aus den zuvor genannten Gründen häufig nur deskriptive Grafiken an. Sobald durch das System auch didaktische Interventionen automatisiert vorgenommen werden sollen, müssen Sie als Lehrperson diese Interventionen technisch in das System implementieren. Einige Systeme halten hierfür direkte Möglichkeiten vor, die von Ihnen als Lehrperson keine umfassenden informatischen Kompetenzen voraussetzen.
Individuelle Auswertungen bedingen allerdings nicht nur technische Vorarbeiten, sondern insbesondere eine didaktische Begründung (dazu Leschke & Salden, 2024) sowie die datenschutzrechtliche (dazu Lentzsch & Loser, 2024) und ethische Vertretbarkeit (dazu Simis & Weydner-Volkmann, 2024) der vorgesehenen Analysen. Auf die didaktischen Vorüberlegungen gehe ich im folgenden Kapitel ein.
Didaktische Vorüberlegungen
Falls Sie sich als Lehrperson damit auseinandersetzen, Learning Analytics in der eigenen Lehre einzusetzen, müssen Sie sich aus didaktischer Perspektive unter anderem die Frage stellen, wie Sie „Actionable Insights“ (Susnjak et al., 2022), also konkrete Handlungsempfehlungen, aus den Analysen ableiten und Ihren Studierenden darbieten können. In den meisten Learning-Analytics-Dashboards werden deskriptive Analysen über den bisherigen Lernverlauf der Studierenden angezeigt. Häufig ist dabei ein (visueller) Vergleich zu der eigenen individuellen Entwicklung, der eigenen Entwicklung zu der Entwicklung anderer Lernenden oder ein Vergleich mit den zu erreichenden Lernzielen eingefügt. Es wird also eine individuelle, soziale oder normative Bezugsnorm dargestellt.
Doch wie helfen diese Diagramme Ihren Lernenden für den Lernerfolg und wie können Sie als Lehrperson Ihre Lernenden dabei unterstützten, eine Missinterpretation der Darstellungen der Analyseergebnisse zu verhindern? Denn wie zuvor beschrieben, können Lernzusammenhänge, insbesondere außerhalb von kontrollierten Laborbedingungen, kaum kausal beschrieben werden. Zudem können Sie als Lehrperson nur verfügbare digitale bzw. digitalisierte Lerndaten in Ihrer Auswertung berücksichtigen und so laterale kognitive Verarbeitungsprozesse, bspw. bei Gesprächen der Lernenden mit Peers oder beim Nachdenken über Lerninhalte während außeruniversitärer Aktivitäten, wie beim Sport oder beim Einkaufen, nicht in Ihren Auswertungen berücksichtigen.
Um Studierende mit dieser Reflexion nicht allein zu lassen und Missinterpretationen vorzugreifen, wird in der Literatur für Lehrende empfohlen „Actionable Insights“ zu entwickeln. Dafür entwickeln Sie als Lehrperson in Abhängig des deskriptiven Ergebnisses konkrete Handlungsempfehlungen für Ihre Studierenden, bspw. was für sie nächste Lernhandlungen aufgrund ihres Lernstandes sein können. Dies erfordert von Ihnen zusätzlich zur deskriptiven Analyse des Systems eine Prognose über den weiteren Lernverlauf Ihrer Studierenden. Je nachdem, welche Möglichkeiten das Learning-Analytics-System anbieten, können Sie diese Rückmeldungen Ihren Studierenden dann direkt über das System darbieten oder die Rückmeldungen ohne technische Unterstützung in Ihre kommende Sitzung Ihrer Lehrveranstaltung integrieren.
Es braucht also eine umfassende didaktische Reflexion im Sinne der potenziellen Wirkkette von Analyseergebnis, über Prognose des weiteren Lernverlaufs zur didaktischen Intervention, um Learning Analytics lernunterstützend in die eigene Lehre zu integrieren. Im folgenden Abschnitt finden Sie daher Handlungsempfehlungen, wie Sie in die Umsetzung kommen und dadurch (erste) praktische Erfahrungen sammeln können.