Praxisbeispiel zur Beratung und Begleitung Studierender
Wie können Lehrende die Betreuung studentischer Abschlussarbeiten organisieren? Welche Haltung ist dabei zielführend? Welche Tools sind hilfreich? Wie können Lehrende Feedback zum Schreibprozess geben und wie können Studierende Feedback zur Betreuung geben? Was sind Tipps für die Beratung Studierender?
Sven Maihöfer vom Lehrstuhl für Industrial Sales and Service Engineering der Fakultät für Maschinenbau an der RUB gibt in diesem Videointerview viele praktische Tipps, berichtet von seinen Erfahrungen, und stellt sein Konzept zur Beratung und Begleitung Studierender in der Studienabschlussphase vor. Als erste Orientierung sowohl für die Studierenden als auch für Betreuer*innen empfiehlt er sein Coaching Canvas:
Darin gibt es Felder für die Lehrperson, Felder für die Person, die die Abschlussarbeit schreibt, und gemeinsame Felder. Kern des Canvas sind die Qualitätsmerkmale, die sich aus dem Thema ableiten und die Voraussetzung für die Erwartungshaltung und Herausforderungen sind. Dadurch ist es möglich, in der Begleitung der Studierenden die jeweiligen Qualitätsmerkmale als Grundlage für die weitere Diskussion zu nutzen.
Sven Maihöfer stellt ein Beispiel für ein ausgefülltes Coaching Canvas und eine Coaching Canvas Vorlage bereit. Weitere hilfreiche Materialien sind auf Anfrage bei ihm erhältlich.
Transkript zum Video
Eingeblendete Frage: Wie sieht Ihr Konzept zur Begleitung Studierender aus?
Sven Maihöfer: Ich habe im Prinzip drei Säulen. Die erste Säule ist, sich zu vernetzen mit den anderen Studierenden, die ich betreue. Die zweite Säule ist 1:1-Coaching und das Dritte ist, dass ich Wissen den Studierenden zur Verfügung stelle. Und die Vernetzung läuft so ab, dass wir uns einmal zusammensetzen, virtuell, im Moment per Zoom, per Slack. Also jedes Tool ist da möglich. Und alle Studierenden, die bei mir eine Abschlussarbeit schreiben, haben im Prinzip ein Exposé. Und ich versuche, dass die Studierenden selbst in die Rolle des Betreuers oder Betreuerin schlüpfen, die Sachen des anderen Studierenden kommentieren. Ich kommentiere dann meistens die Kommentare und gemeinsam besprechen wir dann die Exposés, den ich glaube, sie können voneinander und miteinander lernen.
Die zweite Säule ist die Betreuung 1:1-Gespräch, weil ich glaube, dass viele Studierende trotzdem auch sehr spezifische Fragen haben. Und da treffe ich mich mit denen einmal die Woche oder alle zwei Wochen, unterschiedlich. Aber sie schreiben keine E-Mails oder kommen ins Büro, sondern sie haben ein Tool wie Moodle oder Slack, wo sie eigene kleine Einträge einstellen können. Und dann mache ich an einem Donnerstagnachmittag 15-Minuten-Gespräche und wir können einzelne Punkte klären. Und das Dritte, Wissen zur Verfügung zu stellen, bedeutet für mich: Ich gucke welche Arbeiten in dem Bereich wurden schon geschrieben, welche vielleicht auch Masterarbeiten und Dissertationen. Welche Paper, wissenschaftlichen Veröffentlichungen, sind interessant und ich stelle meistens so zehn zusammen und schicke ihnen das, damit sie dann auch irgendwo Erfahrungswerte sammeln können.
Eingeblendete Frage: Was ist Ihnen wichtig bei der Betreuung studentischer Abschlussarbeiten?
Sven Maihöfer: Mir sind zwei Aspekte wichtig: einmal, dass ich die Erwartungen kläre, und die Erwartungen lassen sich natürlich unterteilen in meine Erwartungen und die Erwartungen der Studierenden und wie wir zusammenarbeiten. Und gehen wir zurück zu den Erwartungen. Ich glaube, das war mir auch als Studierender selbst wichtig. Wie werde ich eigentlich bewertet? Ich glaube, für viele Studierenden ist nicht klar, was eigentlich eine gute wissenschaftliche Arbeit ausmacht. Und das sollte nicht, nachdem die abgegeben worden ist, besprochen werden, sondern am besten sogar, bevor sie überhaupt angemeldet ist. Einfach durchgehen: Was sind die Kriterien an eurem Lehrstuhl? Und das ist ja wirklich von Disziplin zu Disziplin unterschiedlich, von Fakultät zu Fakultät. Das wäre die Erwartung für mich als Betreuer, dass ich das wirklich kläre.
Und ich würde auch immer versuchen zu klären: Was ist eigentlich mein Ziel, dich zu betreuen? Ist das eine Arbeit, die ich verwenden werde für meine eigene Dissertation? Ist das etwas, was ich einfach nur aus Spaß mache? Einfach transparent machen. Das gibt den Studierenden, glaube ich, die Sicherheit zu wissen, wo sie gerade stehen. Und die Erwartungen, die ich an Studierenden habe, ist, dass sie selbstständig Fragen formulieren. Zum Beispiel nicht fragen: “Welche Paper soll ich lesen?” Sondern vielmehr: “Hey Sven, welche Paper kann ich lesen? Ich habe rausgefunden, das Paper ist interessant, was würdest du zuerst stellen?” Also im Prinzip nicht nach Lösungen fragen, sondern vielmehr nach Herangehensweisen.
Und die Zusammenarbeit wäre dann der zweite Punkt. Ich glaube, da ist einfach wichtig zu klären, dass man einen Workflow gemeinsam definiert. Ich habe einen Workflow in meinem Kopf, versuche den aber im Prinzip schrittweise mit den Studierenden selbst zu arbeiten. Dass wir im Prinzip ein Agreement haben, wo der Studierende und ich auch beide sagen: “Okay, das ist jetzt so, wie wir arbeiten möchten. Du lädst Montag die Texte hoch. Wir treffen uns Donnerstag zum Gespräch.” Und das kann natürlich von Studierenden zu Studierenden variieren, aber ich glaube es ist wichtig, das gemeinsam erarbeitet zu haben. Und manchmal muss man sie auch zu ihrem Glück zwingen und ihnen sagen, wie man es sich vorstellen möchte, aber trotzdem das Gefühl geben, dass das ihre Arbeit ist.
Eingeblendete Frage: Mit welcher Haltung betreuen Sie Ihre Studierenden?
Sven Maihöfer: Wichtig ist, authentisch zu bleiben. Ich würde immer empfehlen, auf Augenhöhe trotzdem zu kommunizieren. Das kann mit Distanz, auch ohne Distanz funktionieren. Also man kann sich duzen, man kann sich auch siezen, hat nichts mit Augenhöhe zu tun. Ich glaube ich versuchen ihnen zu vermitteln: Wir sitzen im gleichen Boot. Du bist der Captain, aber ich versuche dich da zu der Insel, wo du möchtest hinfahren möchtest, zu begleiten. Ich glaube, das wäre mir wichtig. Und ich habe mir das Bild von einem Sparringpartner im Kopf. Also wie wie im Kampfsport, als Betreuer oder Betreuerin teilt man oft aus. Man kritisiert sehr häufig, aber wenn man fällt, dann steht man auch gemeinsam wieder auf. Und ich glaube, den Studierenden das Gefühl zu geben, dass es auch voll in Ordnung ist, Mist abzugeben, und zu sagen: “Hey, dieser Entwurf ist immer ein Prototyp einer Bachelorarbeit und bis zur finalen Abgabe ist es ein Prototyp und wir arbeiten da gemeinsam dran. Und ich versuche dich dabei zu unterstützen.”
Eingeblendete Frage: Wie organisieren Sie die Betreuung?
Sven Maihöfer: Ich glaube, die Betreuung ist anstrengend und ich glaube, wir sollten uns das Leben einfacher machen als komplizierter. Deswegen habe ich E-Mails verbannt von meiner Kommunikation mit den Studierenden. Sie können mir eine Nachricht schreiben, da geht eigentlich jedes Kommunikations-Tool. Ich glaube aber, E-Mail ist für externe Kommunikation. Wenn wir aber ein Team sind, dann muss es auch einen anderen Kommunikationskanal geben. Das wäre ein Punkt. Und ich glaube auch, irgendwie müssen mir dann auch keine Dokumente per E-Mail schicken, sondern sie nutzen Dropbox, Google Drive, auch da hat jeder Präferenzen. Aber einen Ort zu haben, wo man gemeinsam zugreifen kann. Und dann muss ich auch nicht die ganzen Dokumente irgendwo auf den USB-Stick ziehen und denen geben, sondern wir können es gemeinsam hochladen und haben dann diese Orte dort. Und das dritte ist dieses Tool zu haben, wo man Kalender-Einträge gemeinsam verwalten kann. Für alle, die Abschlussarbeit schreiben, wo man im Prinzip einfach per Termin-Auswahl das organisieren kann. Und das hilft extrem. Und ich bin nicht mehr gefragt, sondern der Studierende kann selbstständig einen Termin mit mir vereinbaren. Ich habe einfach nur das eingestellt. Jeden Donnerstag von 16 bis 18 Uhr können die Leute Termine buchen und so nehme ich mir schon sehr viel dieser Krimskrams-Aufgaben aus meinem Alltag raus, was einfach auch mehr Spaß in der Betreuung bringt.
Ich habe heute noch mit einer Studierenden gesprochen und die hat mir erzählt, dadurch, dass sie sich in meinem Kalender Termine buchen kann, nimmt es viel vom Druck weg. Sie hatte früher immer das Gefühl “Ah, jetzt muss ich wieder den Sven anschreiben. Ich weiß gar nicht, ob er Zeit hat, möchte sich überhaupt mit mir treffen.” Und das war für sie belastend, weil sie weiß auch nicht, wie sehr ist das eigenständig, wenn sie mich jetzt anschreibt? Oder ist das nicht eigenständig? Weil oft ist das ein Kriterium, wie Bachelorarbeiten bewertet werden. Dadurch, dass ich ihr das Tool zeige, “so frei bin ich”, kann sie eigenständig Termine buchen und weiß einfach “Oh, diese Woche ist er ziemlich beschäftigt. Dann habe ich auch noch eine halbe Stunde und nächste Woche buche ich mir eine ganze Stunde”, und das passt. Ich gehe morgen ins Büro, ganz entspannt. Inbox Zero. Ich habe keine E-Mails. Ich gucke in meinen Kalender und sehe, ich spreche mit der Studierenden jetzt am Mittwoch für eine Stunde und nächste Woche nur halbe Stunde. Und ich muss keinen Klick mehr machen. Und das fühlt sich für mich auch gut an, weil ich ja auch gerne an meiner eigenen Diss schreiben möchte.
Eingeblendete Frage: Worauf achten Sie beim Feedback an die Studierenden?
Sven Maihöfer: Das Erste: Ich würde es gar nicht Feedback nennen, sondern vielleicht einfach erst mal den Studierenden vermitteln, dass Feedback sehr ausführlich ist und ich mir Zeit nehmen müsste und ehrlicherweise viele von uns haben während des Schreibens keine Zeit für echtes Feedback geben, wo wir uns eine Stunde Zeit nehmen. Also versuche ich ihnen erst mal einfach zu sagen. “Hey, ich versuche euch Kommentare zu eurer Bachelorarbeit zu geben und dann zu vermitteln, wenn wir ein Feedback-Gespräch machen, machen wir das unabhängig von der Bachelorarbeit oder Masterarbeit, wir treffen uns in einem neutralen Raum und sprechen dann nur über die letzten Wochen und Monate.” Und da gibt es diese schöne Regel mit: Was finde ich gut? Worauf möchte ich hinweisen? Was kann ich nicht so gut? Was möchte ich eigentlich noch sagen? Und was kommt zu kurz? Wie waren die letzten Wochen für mich und auch für dich? Was haben wir gelernt und wie wollen wir die Zukunft gestalten? All das trenne ich extrem von den Gesprächen, wo es darum geht, “wen zitieren, soll ich da noch was schreiben?” Weil ich glaube, dann durchmischt sich das und man kritisiert vielmehr wieder den Text. Aber Feedback ist, finde ich, viel mehr über die Zusammenarbeit und wie man ein*e bessere*r Abschlussarbeiter*in wird.
Eingeblendete Frage: Wie holen Sie sich Feedback von den Studierenden ein?
Sven Maihöfer: Feedback einholen ist glaube ich extrem wichtig, wenn man immer nur jemanden anderes kritisiert und tatsächlich verbessert, das tut das, dann vergisst man relativ schnell, dass das auch wehtun kann. Weil viele Studierende möchten sich Mühe geben und man wird sehr lapidar mit seinen Aussagen und denkt sich “Ach, das ist okay, das schon verstehen”. Selbst Feedback einzuholen bedeutet, dass man auch angreifbar geworden ist. Und das hilft mir, mich selbst zu reflektieren. Und deswegen bitte ich eigentlich alle Studierenden am Ende der Betreuung auch anonym Feedback zu geben. Ich habe einmal bei Google Forms eine Tabelle eingerichtet, so eine Umfrage. Und dann warte ich mal, bis ich zehn Abschlussarbeiten habe, dann habe ich den Fragebogen vorbereitet. Wie erreichbar bin ich? Was hat mir besonders gut gefallen? Was kann ich verbessern? Und dann setze ich mich auch tatsächlich mit Studierenden zusammen, die vielleicht noch Lust haben und gehe das alles durch und überlege: Welche Konzepte kann ich weiterentwickeln? Und jedes Mal lerne ich was Neues dazu. Und ich glaube, dadurch wird es auch stetig besser. Aber man muss auch manchmal sagen: Klar, wenn die Studierenden kritisieren, dass man nicht erreichbar ist. Manchmal ist es dann auch einfach so. Aber das auch bewusst zu haben, hilft ein, besser einzuschätzen, wie man in der Zukunft sein möchte.
Eingeblendete Frage: Welche Tipps haben Sie für andere Lehrende, die das Konzept übernehmen wollen?
Sven Maihöfer: Mein Tipp wäre: Schreib mich einfach gerne an. Wir können uns gerne treffen, ich glaube, solche Konzepte sind anwendbar auf den Einzelfall, aber die Details sind wichtig und da können wir gerne mal drüber sprechen. Ich selber habe mir immer auch versucht, selbst Sparringpartner wieder zu suchen, also Menschen, die schon länger promoviert sind oder haben und mir dann Tipps geben können und so eine Art “Ältestenrat” für mich gebildet. Das müsste keine alten Menschen sein, sondern einfach eine Gruppe von vier, fünf Leuten, mit denen ich meine Ideen besprechen kann und die mir dann helfen, die Konzepte auch umzusetzen. Ich schicke ihnen dann meine Ideen auf einer Seite, und bitte sie, “schreibt in fünf Minuten einfach eure Kommentare hin”, und das hat mir immer extrem geholfen. Ich glaube, wir denken immer, wir müssen das Rad neu erfinden und sind alleine. Aber ganz oft hilft einfach der Austausch mit anderen Menschen. Deswegen schreibt mich gerne an. Wir können uns auch gerne treffen.
Und: Nutzt die Ressourcen, die wir als Uni anbieten. Ihr fangt an als Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und wisst gar nicht wo ihr starten sollt. Wir haben das Zentrum für Wissenschaftsdidaktik. Da gibt es viele Kurse, viele Seminare, besucht einige und schaut einfach: Was bringt euch was? Und mal nehmt ihr mehr mit, mal weniger. Aber ich glaube man ist dann so im Flow und hat das Gefühl “Okay, ich habe Anker, wo ich mich festhalten kann.” Und dann baut man sein Wissen auf und ich glaube, dann kann man nach außen noch seine Fühler ausstrecken, wie andere Lehrstühle, andere Disziplinen usw., sich anschauen, wie die das machen. Ich glaube, dann kriegt man ein Gefühl dafür, wie man selber machen möchte. Aber am Ball bleiben und einfach sich so einen Weg aufzeichnen ist gut.