Formativ und summativ

20. November 2020

Was bedeutet der Begriff „summativ“? In der Literatur finden sich unterschiedliche Beschreibungen. „Summative Prüfungen sind alldiejenigen Prüfungen, die zum Crediterwerb zwingend notwendig sind. Im Bachelor/Master-System sind dies zum größten Teil benotete Prüfungen am Ende einer Lehrveranstaltung oder Modulabschlussprüfungen.“ (Frölich-Steffen/ den Ouden 2019, 18) Dabei werde „das Potenzial von Prüfungen, den Lernprozess zu unterstützen und selbst konstruktiver Teil des Lernprozesses zu werden“ selten genutzt (Müller/ Schmidt 2009, 30).

Unter formativen Prüfungen werden unbenotete Leistungen verstanden. Sie haben den Charakter von Lernkontrollen und „verstehen sich eher als fortlaufende Begleitungen und Unterstützung des Lernprozesses, (…) haben keine Selektionsfunktion, sondern beziehen sich auf die Lehr- und Lernaktivitäten der Studierenden und nutzen verschiedene Arten der Rückmeldung, um den Studierenden ihren Lernfortschritt zu verdeutlichen.“ (Frölich-Steffen/ den Ouden 2019, 18) Formativ geprüft wird also während des Lernens. Der Vorteil hinsichtlich der Lernprozesssteuerung liegt auf der Hand: „Wenn sich dabei zeigt, dass Studierende wichtige Inhalte nicht verstanden haben, kann danach im Rahmen der Lehrveranstaltung nicht mehr darauf eingegangen werden, weil diese bereits zu Ende ist. Um das Problem zu vermeiden, erheben formative Tests den Kenntnisstand der Studierenden zu Beginn oder im Verlauf einer Lehrveranstaltung, sodass sowohl Studierende als auch Dozierende die Testergebnisse als Feedback nutzen können, um den weiteren Lernprozess daran anzupassen.“ (Schneider/ Mustafic 2015, 130)

Beispiele für formative Assessments sind Gespräche, Diskussionsrunden, das Lösen von Aufgaben, das Lernportfolio oder die studentische Selbsteinschätzung genauso wie formelle Lernstandserhebungen (Tests, Probeklausuren, Lösungen von Übungsaufgaben) und moderierte Gruppendiskussionen. Zum Teil findet sich auch die Bezeichnung ‚formative Evaluation‘ statt ‚formatives Prüfen‘ in der Literatur: „Die formative Evaluation findet prozessbegleitend während des Semesters statt. Hallet beschreibt dies als Rückmeldungs- und Verstärkungsfunktion. Sie ermöglicht das Formen (Anpassen) von Lehr- oder Lernprozess.“ (Dainton 2018, 47)

Die in formativen Assessments enthaltene Entwicklungsperspektive können Sie als Lehrende aktiv nutzen. Wenn durch unbenotete Prüfungsleistungen der aktuelle Lern- und Kompetenzstand der Studierenden erfasst wird, können Sie als Lehrende das studentische Entwicklungspotential ableiten, was dem Geist der lernendenzentrierten Lehre entspricht.

2008 hielt der Wissenschaftsrat bereits kritisch fest, dass angesichts der durch die Bologna-Reform stark im Fokus stehende summative Funktion von Prüfungen an den Hochschulen Handlungsbedarf hinsichtlich der Frage, wie die geforderten Kompetenzen ausgebildet werden, besteht. Deshalb finden sich in vielen hochschuldidaktischen Publikationen Forderungen nach (mehr) formativen Prüfungen im Studienverlauf. Einschränkend ist zu sagen, dass die didaktischen Funktionen von Prüfungen stets nur ein Aspekt der Prüfungen an Hochschulen sein können. Es brauche in der Entwicklung eines Curriculums „eine Prüfungsstruktur, die beide Prüfungsformen mit Blick auf den Kompetenzerwerb kombiniert.“ (Reis & Ruschin 2007, 9)

Die Forderung, die Kompetenzentwicklung nicht nur aus Sicht der Herrschafts- und Sozialisierungs- sowie der Rekrutierungsfunktion zu betrachten, bekommt umso mehr Gewicht, je stärker das Lernen als kognitiver Prozess in den Blick genommen wird. Wissen ist kein Objekt, das von der Lehrperson an die Studierenden übergeben werden kann, sondern Wissen wird aktiv und situations- sowie kontextgebunden konstruiert, und insbesondere Kompetenzen werden aufgebaut statt einfach weitergegeben.

Sippel bezeichnet den „bisher dominante[n] strukturorientierte[n] Ansatz in der Hochschullehre“ als „Assessment of Learning“ (2009, 5), und grenzt formative Prüfungen als „Assessment for Learning“ davon ab. Es habe „keinen Selektionscharakter, sondern ist integraler Bestandteil des Lernprozesses und hat die bestmögliche Förderung der Lernenden im Blick. Das Was und Wie des Lernens werden somit positiv beeinflusst.“ (Sippel 2009, 7f)