How to: Effektive Gruppenarbeit gestalten
Um lernförderlichen Interaktionsmuster zwischen den Gruppenteilnehmern anzuregen, stehen uns Lehrenden zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Die gezielte Gestaltung der Struktur der Lernaufgabe und der Einsatz gezielter pädagogischer Unterstützung.
Zuvor ist es allerdings nötig, das Lernziel festzulegen, das durch Gruppenarbeit erreicht werden soll. Auf Basis des Lernziels kann dann darüber reflektiert werden, welche Gestaltungsentscheidungen gemacht werden müssen. Denn: die Gestaltung der Lernumgebung dient dazu, Lernprozesse zu ermöglichen und anzuregen, die es den Lernenden möglich machen, das Lernziel zu erreichen.
Lernziel für die Gruppenarbeit festlegen
Der erste Schritt bei der Gestaltung von Gruppenarbeit ist es, das Lernziel oder die Lernziele möglichst konkret festzulegen. Zudem ist es wichtig, die Lernziele mit den Studierenden zu teilen. Wie bereits angesprochen, ist kooperatives Lernen dafür geeignet, neues Fachwissen oder Kooperationsfertigkeiten zu erwerben. Hier sollten Sie weiter differenzieren: Was genau sollen die Studierenden lernen?
Häufig wird Gruppenarbeit eingesetzt, damit die Studierenden neues Fachwissen erwerben. Dies könnte bedeuten, eine Theorie verstehen und anwenden zu können, Problemlöseschritte einzuüben und zu verstehen, wie diese helfen, das Problem zu lösen, oder verschiedene Argumente für und gegen eine These oder Perspektive kennenzulernen.
Darüber hinaus kann Gruppenarbeit auch gezielt dafür eingesetzt werden, dass die Studierende Kooperationsfertigkeiten, also domänenübergreifende Fertigkeiten erwerben. Hierunter fallen etwas die Fertigkeit, ein geteiltes Verständnis aufzubauen und aufrecht zu erhalten, argumentieren zu lernen, Informationen zu teilen und für gemeinsame Entscheidungen heranzuziehen, oder auch die Zusammenarbeit in der Gruppe kritisch beobachten und wenn nötig verändern (Regulation).
Diese Trennung in Erwerb von Fachwissen und Erwerb von Kooperationsfertigkeiten ist in der Praxis nicht so streng, wie wir es hier darstellen. Wenn eine Gruppenarbeit erfordert, zu argumentieren, um verschiedene Perspektiven kennenzulernen, erlangen die Studierenden auch Wissen darüber, wie argumentiert wird. Denn: Lernen kann kaum vermieden werden. Allerdings können Sie mit einer gezielten Gruppenarbeit zum Argumentieren sicherstellen, dass Ihre Studierenden das Argumentieren systematisch erlernen. Wir plädieren daher dazu, bei der Planung von Gruppenarbeitsphasen bewusst einen Schwerpunkt für ein Lernziel zu setzen.
Lernförderliche Interaktionsmuster anregen
Sobald Sie sich entschieden haben, welches Lernziel, oder welche Lernziele Ihre Studierenden erreichen sollen, können Sie die Lehr-Lern-Situation so gestalten, dass die Studierenden in Situationen kommen, in denen sie das nötige Wissen erwerben können. Die Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern ist das Vehikel für Lernen in und durch Kooperation. Um die Lernziele erreichbar zu machen, gilt es folglich, Gelegenheiten für Lernen durch Interaktion zu schaffen. Interaktionsmuster, wie zuvor beschrieben, können Sie durch die Aufgabenstruktur, durch den Einsatz von digitalen Medien und durch gezielte pädagogische Unterstützung fördern.
Aufgabenstruktur: Positive Interdependenz durch “Split where interaction should happen”
Ein häufiges Problem bei Gruppenarbeiten ist, dass die gestellten Aufgaben oft lediglich auf Arbeitsteilung abzielen. Beispielsweise besteht bei der Erstellung eines Referats oft keine echte Notwendigkeit zur Zusammenarbeit, da die Aufgabe leicht in Einzelteile zerlegt und unabhängig voneinander bearbeitet werden kann. Zum einen besteht die Zusammenarbeit (cooperation) darin, Lernmaterial und Aufgaben untereinander aufzuteilen und zu koordinieren. Lernförderliche Interaktionsprozesse wie die oben beschriebenen sind hier kaum notwendig.
Zum anderen ist der limitierende Faktor lediglich die zur Verfügung stehende Zeit. Mit hinreichend Zeit könnte eine Einzelperson das Referat allein erstellen. Die Kooperation mit anderen bringt keinen Mehrwert, der über eine Zeitersparnis hinausgeht.
Damit kooperatives Lernen im Sinne von collaborative learning auftreten kann, muss zwischen den Gruppenmitgliedern eine positive soziale Abhängigkeit (social interdependence, Johnson & Johnson, 2009) entstehen. Dies bedeutet, dass die Aufgabe so gestaltet sein muss, dass jedes Gruppenmitglied seine individuellen Ziele während des Lernens nur erreichen kann, wenn die anderen Gruppenmitglieder ebenfalls ihre Ziele erreichen. Auf diese Weise sind Gruppenmitglieder motiviert, sich gegenseitig beim Lernen zu unterstützen (beispielsweise, sich gegenseitig Inhalte zu erklären). Hierbei ist besonders wichtig, dass jedes Gruppenmitglied weiß, dass seine Beiträge für den Erfolg der Gruppe relevant sind und dass jedes Gruppenmitglied seine Beiträge zum Gruppenerfolg auch identifizieren kann (individual accountability). Mit wachsender Gruppengröße nimmt das Gewicht der Beiträge jedes einzelnen Gruppenmitglieds ab und für jedes Gruppenmitglied wird es schwieriger zu erkennen, was es selbst beitragen hat. Aus diesem Grund sollten Gruppen nicht zu groß sein. Eine Gruppengröße von 2-5 Personen hat sich bisher als effektiv herausgestellt (Johnson & Johnson, 2009; Nokes-Malach et al., 2015).
Ein Ansatz zur Förderung dieser Art von Zusammenarbeit ist das Prinzip „split where interaction should happen“ (SWISH, Dillenbourg & Jermann, 2007) bei dem die Aufgabe so aufgeteilt wird, dass Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern erforderlich wird. Metaphorisch gesprochen erzeugt die Aufgabenstruktur eine „Kluft“ zwischen den Gruppenmitgliedern, die diese durch (lernförderliche) Interaktion überwinden müssen.
Ein anschauliches Beispiel für das SWISH-Prinzip ist das Gruppen- oder Expert*innenpuzzle (jigsaw-puzzle, Aronson, 2002; für ein moderneres Beispiel siehe Deiglmayr & Schalk, 2015). Ziel eines Expertenpuzzles ist es, gemeinsam eine Lösung für ein Problem (beispielsweise einen medizinischen Fall) zu finden. Das Problem ist allerdings komplex und erfordert die Expertise aller Gruppenmitglieder. Dieses Szenario ist angelehnt an Anforderungen in interdisziplinären Arbeitszusammenhängen. In der Hochschule sind die Gruppenmitglieder häufig jedoch Studierende im selben Fach und unterscheiden sich daher selten stark in ihrem Fachwissen in Bezug auf das Problem. Daher wird ein didaktischer „split“ erzeugt, indem jedes Gruppenmitglied exklusive Ressourcen, wie etwa Fachwissen, erhält, was nur es selbst hat. Während der Zusammenarbeit müssen die Gruppenmitglieder nun als Expert*innen fungieren und ihr individuelles Wissen teilen, um das gemeinsame Problem zu lösen. Der „split” (verteilte Expertise) wird folglich durch Interaktionsmuster wie Erklären, Argumentieren, kognitives Modellieren etc. überwunden.
Eine weitere Möglichkeit zur Generierung eines „split“ besteht in der Distribution von Rollen oder Perspektiven innerhalb einer Gruppe. Dies kann beispielsweise durch die Präsentation divergierender, einander widersprechender theoretischer Standpunkte erfolgen. Diese lösen dann einen „Konflikt“ zwischen den Gruppenmitgliedern aus, der durch Argumentation und Erklärungen bearbeitet wird.
Einsatz von (digitalen) Medien
Auch der Einsatz von digitalen Medien sollte vor dem Hintergrund der lernförderlichen Prozesse, die sich aus der Interaktion zwischen den Lernenden entspinnen, betrachtet werden. Egal, welches Tool verwendet wird, es sollte die Frage im Vordergrund stehen: Welche der förderlichen Interaktionsprozesse können durch dieses Tool ausgelöst oder begünstigt werden? Dies ist die Idee der Affordanzen für computerunterstütztes kooperatives Lernen (CSCL), wie sie von Jeong and Hmelo-Silver (2016) beschrieben wird. Affordanzen bezeichnen die Möglichkeiten, die ein Tool bietet, bestimmte Interaktionsmuster zu ermöglichen und zu unterstützen. Als Affordanzen, die von digitalen Tools eröffnet werden, nennen Jeong and Hmelo-Silver (2016):
- Eine gemeinsame Aufgabe etablieren (z.B. eine digitale Simulation)
- Kommunikation mit Partner*innen (z.B. durch Videokonferenzen)
- Ressourcen gemeinsam nutzen (z.B. durch gemeinsame Cloudspeicher oder gemeinsames Annotieren von Texten)
- Lernförderliche kooperative Prozesse anregen (z.B. durch Kooperationsskripts)
- Erleichterung der Ko-Konstruktion von Wissen (z.B. durch ein Diskussionsforum oder visuelle Tools zur gemeinsamen Erstellung von Concept-Maps)
- Überwachung und Regulation der Zusammenarbeit (z.B. durch Learning Analytics Anwendungen)
- Gruppenfindung und -aufbau (z.B. durch Moodle Plugins wie „Gruppensuche“ oder „Peer-Review“)
Eine umfangreichere Zusammenstellung verschiedener digitaler Tools, die die Gruppenarbeit unterstützen können, enthält dieser Beitrag im LEHRELADEN.
Gezielte pädagogische Unterstützung der Interaktion
Neben der sorgfältigen Strukturierung von Aufgaben spielt die pädagogische Unterstützung eine entscheidende Rolle, um lernförderliche Interaktionsmuster im kooperativen Lernen zu aktivieren. Studien (z.B., Rummel et al., 2009) zeigen, dass lernförderliche Interaktionsmuster nicht immer spontan entstehen, selbst wenn die Aufgabe collaborative learning erfordert. Daher ist es wichtig, dass Sie als Lehrperson zusätzlich pädagogische Unterstützung anbieten, um die Zusammenarbeit gezielt zu fördern. Dies kann vor allem notwendig sein, wenn Ihre Lernenden noch wenig Erfahrung mit Gruppenarbeit haben oder bestimmte Kooperationsfertigkeiten (z.B., Argumentieren) vertiefen sollen.
Kooperationsskripte
Ein bewährtes Mittel zur Unterstützung des kooperativen Lernens sind Kooperationsskripte (für einen Überblick siehe etwa Kiemer et al., 2020). Kooperationsskripte geben den Lernenden explizite Anweisungen, wie sie während der Interaktion vorgehen sollen. Die Wirksamkeit solcher Skripte ist in mehreren Metaanalysen belegt (Radkowitsch et al., 2020; Vogel et al., 2017). Kooperationsskripte strukturieren die Gruppenarbeit analog zu einem Theaterstück, indem sie den Lernenden bestimmte Szenen, Rollen oder Abläufe vorgeben. Ein Beispiel für ein Kooperationsskript könnte sein, dass Lernende in einer Gruppe für eine argumentative Diskussion Rollen übernehmen, wie etwa „Argumentgeber“ und „Gegner“, die jeweils auf bestimmte Weise miteinander diskutieren sollen. Kooperationsskripte können auch in Form von Satzanfängen gestaltet sein, die die Studierenden nutzen sollen, um ihre Interaktionen zu strukturieren. Zum Beispiel könnten in einer Diskussion zur Argumentation Satzanfänge wie „Ich stimme dir zu, weil…“ oder „Ich denke, ein weiterer wichtiger Punkt ist…“ vorgegeben werden, um die Diskussion anzuregen und auf die sachliche Ebene zu lenken.
Dozierende als unterstützende Begleiter
Während die Studierenden in Kleingruppen miteinander lernen und arbeiten, sollten wir Dozierende uns möglichst zurückziehen. Es ist häufig kontraproduktiv, sich als Dozent*in direkt in Gruppeninteraktionen einzuschalten, sich in die Gruppe zu setzen oder „mitzuhören“. Dies unterbricht die selbstorganisierte Interaktion der Gruppe und kann eine Bewertungssituation erzeugen, in der die Lernenden sich beobachtet fühlen und nicht mehr frei interagieren. Stattdessen sollten Sie die Gruppen von außen unterstützen, indem Sie nur dann eingreifen, wenn Hilfe benötigt wird. Anregungen und konkrete Beispiele, wie Sie Ihre Rolle als Lernbegleitung ausfüllen können, finden Sie in diesem Leitfaden (OER).
Im letzten Abschnitt finden Sie konkrete Kooperationsszenarien, die Sie in Ihren Lehrveranstaltungen einsetzen können.
Tipps auf einen Blick
- Entscheiden Sie sich bewusst für ein Lernziel, das Ihre Studierenden in der Gruppenarbeit erreichen sollen.
- Entwerfen Sie Aufgaben für Gruppen auf eine Weise, dass sich jedes Gruppenmitglied einbringen muss, dass jedes Gruppenmitglied sehen kann, was es zum Erfolg der Gruppe beigetragen hat und dass sich jedes Gruppenmitglied für den Erfolg der Gruppenarbeit verantwortlich fühlt.
- Setzen Sie digitale Medien und Tools so ein, dass sich lernförderliche Interaktionsmuster entfalten können.
- Unterstützen Sie spezielle lernförderliche Interaktionsmuster gezielt.
- Bringen Sie sich nur bei Problemen in Gruppe ein. Versuchen Sie, die Gruppe beim selbstgesteuerten Lernen zu unterstützen.