Lernen in Kleingruppen: Welche Lernziele können durch kooperatives Lernen erreicht werden?
Fachwissen erwerben
Mit Blick auf die Ziele von kooperativem Lernen kann zwischen domänenspezifischem Wissen und domänenübergreifendem Wissen unterschieden werden. Häufig steht bei Gruppenarbeit der Erwerb von domänenspezifischem Wissen (Fachwissen) im Vordergrund (collaborating to learn). Metaanalysen (z.B., Pai et al., 2015; Talan, 2021; Tenenbaum et al., 2020) zeigen dabei deutliche positive Effekte auf den Wissenserwerb, auch über verschiedene Domänen hinweg (Informatik, Mathematik, verschiedene Natur- und Sozialwissenschaften sowie Sprachen).
Hierbei ist zu beachten, dass kooperatives Lernen besonders dafür geeignet ist, neue inhaltliche Zusammenhängen zu erschließen, etwa grundlegende Konzepte zu verstehen, verschiedene Perspektiven auf eine Frage oder Lösungen für ein Problem zu entwickeln und diese gegeneinander abzuwägen. So können etwa grundlegende naturwissenschaftliche Prinzipien wie der pH-Wert (Schwarz et al., 2020) oder die Struktur von Atommodellen (Rau et al., 2017) erschlossen, gesellschaftliche Prozesse wie die globale Bankenkrise erarbeitet werden (Carrió-Pastor & Skorczynska, 2015), oder pädagogische Positionen in Hinblick auf das notwendige Ausmaß von expliziter pädagogischer Unterstützung beim Lernen vor dem Hintergrund empirischer Befunde bearbeitet werden (Anwendungskontext in meiner eigenen Lehre).
Wenn es lediglich darum geht, Fakten zu erlernen und zu memorieren (historische Daten, Definitionen, Vokabeln, etc.) oder standardisierte Abläufe (z.B., Laborprotokolle, Bewegungsmuster) zu verinnerlichen, sind individuelle Abrufübungen wirksamer. Beispiele hierfür sind das Lernen mit Karteikarten und der Einsatz von Übungsquizzen.
Kooperationsfertigkeiten erwerben
Bisher weniger systematische Beachtung hat der Erwerb von Kooperationsfertigkeiten (learning to collaborate) gefunden, wenngleich Kooperation als eine der wichtigsten Fertigkeiten für das 21. Jahrhundert beschrieben wird (etwa in PISA 2015, siehe Graesser et al., 2018; im Rahmenwerk der 21st Century Skills, siehe Hesse et al., 2015; im OECD Learning Framework 2030, siehe OECD, 2024; der UNESCO Bildungsagenda 2030, siehe UNESCO, 2017; oder auch im Future of Jobs Report 2023 des World Economic Forum, siehe World Economic Forum, 2023).
Welche Fertigkeiten im Einzelnen darunterfallen, wird in einigen dieser Bildungsprogramme dargestellt (z.B., PISA 2015, oder im Framework zu den 21st Century Skills, (Graesser et al., 2018; Hesse et al., 2015). Auch wissenschaftliche Studien müssen Fertigkeiten beschreiben, wenn sie diese untersuchen oder gezielt fördern möchten (z.B., Meier et al., 2007 oder Saab et al., 2007). Unter den Begriff Kooperationsfertigkeiten fallen die gemeinsame Verständnissicherung, das Teilen von Informationen oder das Argumentieren (z.B., Strauß et al., 2024). Darüber hinaus gibt es Modelle, die Fertigkeiten für sehr spezifische Kooperationssettings beschreiben. Ein Beispiel für die notwendigen Fertigkeiten für interdisziplinäre Kooperation im medizinischen Bereich findet sich bei Witti et al., 2023.
Betrachtet man die verschiedenen Sammlungen von Kooperationsfertigkeiten, finden sich bestimmte Fertigkeiten immer wieder:
1.) Ein gemeinsames Verständnis aufbauen und dieses aufrechterhalten. Dieses gemeinsame Verständnis (common ground, Baker et al., 1999; Clark & Brennan, 1991) umfasst etwa das geteilte Verständnis der gemeinsamen (Lern-)Ziele und der Methoden, wie diese erreicht werden können, und ein gemeinsames Verständnis von (Fach-)Begriffen. Gerade letzteres klingt trivial, doch zeigt die Erfahrung, dass schon vermeintlich gemeingeläufige Begriffe in verschiedenen Disziplinen, verschiedenen Kohorten oder Kulturen unterschiedlich verstanden werden und es notwendig ist, sich darüber zu verständigen.
2.) Ungeteilte Informationen teilen (information pooling, Deiglmayr & Spada, 2011; Stasser & Titus, 1985). Das Lernen in heterogenen Gruppen hat den Vorteil, dass Gruppenmitglieder vom Wissen ihrer Lernpartner*innen profitieren können. Doch muss dieses Wissen auch geteilt und gemeinsam verarbeitet werden. Dieser Prozess ist sowohl lernförderlich für die Erklärenden als auch für diejenigen, die die Erklärung erhalten.
3.) Gemeinsam Entscheidungen finden (Brodbeck et al., 2007). Hier geht es darum, auf Basis der ausgetauschten Informationen Argumente gegeneinander abzuwägen (argumentative knowledge co-construction, Vogel et al., 2022) und gemeinsam Schlussfolgerungen zu ziehen.
Welche Lernprozesse treten idealerweise in Gruppenarbeiten auf – und welche Schwierigkeiten kann es geben? Darum geht’s im nächsten Abschnitt.