Kompetenzbegriff

Ausgangspunkte

Was bedeutet eigentlich „kompetenzorientiertes Prüfen“? Kurz gesagt, geht es darum, Aufgaben, Fälle oder Problemstellungen in Prüfungen in einer Weise zu gestalten, dass deren Beantwortung oder Bearbeitung durch die Studierenden erfordert, dass diese ihre erlernten Kompetenzen anwenden. Es geht also um mehr als nur um das Abfragen von Wissen oder Darstellen von Konzepten und Prozessen.

Um dies als Lehrende*r an einer Hochschule sinnvoll tun zu können, bietet es sich für einen ersten Einstieg ins Thema an, mit folgenden didaktischen Konzepten grob vertraut zu sein:

  • Kompetenzbegriff: Zunächst sollte klar sein, was eine „Kompetenz“ eigentlich zu einer „Kompetenz“ macht – im Gegensatz zu „Wissen“ oder „Fähigkeiten“.
  • shift from teaching to learning: Dieser Begriff umschreibt eine Entwicklung weg von der Lehrenden-zentrierten Wissensvermittlung hin zu einer studierendenzentrierten Lehre, bei der das Lernen als aktiver Vorgang im Vordergrund steht (konstruktivistische Perspektive).
  • Constructive Alignment: Darüber hinaus können kompetenzorientierte Prüfungen nicht losgelöst von der Veranstaltung (dem Lehr-Lernprozess) und von den Lernzielen der Veranstaltung (wie sie beispielsweise in Modulhandbüchern zu finden sind) gedacht werden.
  • Lernzieltaxonomien: Aus der Lernpsychologe gibt es Erkenntnisse, wie Tätigkeiten des Geistes (kognitives Wissen) aber auch Werte (Grundhaltungen) und Fertigkeiten („Können“) hierarchisch in einfache und anspruchsvolle Tätigkeiten geordnet werden können. So ist „Auswendiglernen und Wiedergeben“ etwas grundsätzlich anderes als „situatives Problemlösen in komplexen Zusammenhängen“. Dazwischen gibt es aber eine Reihe von Abstufungen. Solche Taxonomien helfen, klare Lernziele für Lehrveranstaltungen zu definieren und entsprechend kompetenzorientierte Prüfungen zu gestalten.

Dieser Beitrag liefert einen sehr knappen Überblick über das Thema „kompetenzorientiert prüfen“ und wird zu diesem Zwecke diese drei Konzepte kurz darstellen. Die Konzepte werden beispielhaft erläutert, am Ende finden sich Literaturhinweise und Links zu weiteren Informationsquellen.

Kompetenzbegriff

Weinert definiert Kompetenzen als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernten kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“ (Weinert 2001, S. 27 f., Hervorhebungen nicht im Original).

Was ist damit gemeint?

1) Anwendungsbezug: Es geht im Gegensatz zum „reinen Wissen“ darum, Probleme zu lösen, also das Wissen zielgerichtet zu einem Zwecke anzuwenden. Diesen „Zweck“ sollte man nun nicht mit „Employability“ verwechseln, vielmehr geht es darum, kein träges Wissen (vgl. exemplarisch Dubs 2007, S. 20; Gruber et al. 1999) aufzubauen.

2) Trias von Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten: Kompetenzen sind mehr als nur „Wissen“. Sie verbinden immer Wissen (kognitive Fähigkeiten), Fertigkeiten (also Können, oder das handhabend-gestaltende Wirken) sowie Werte und Einstellungen. Eine Kompetenz hat somit immer Anteile von Kopf, Herz und Hand (oder „Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten“ oder „Geist, Seele und Körper“). Diese Trias ist grundsätzlich nicht neu, erfährt in der Debatte um den Kompetenzbegriff jedoch Bedeutung: Wo immer Menschen situativ Probleme lösen, nutzen sie ihr Wissen („kognitive Fertigkeiten“/“Kopf“), um ihr Handeln gezielt zu gestalten („Fertigkeiten“/“Hand“), und dieses Handeln ist immer von Werten („Haltungen“/“Herz“) getragen – Haltungen sind so etwas wie die Grammatik des Verhaltens. Dementsprechend ist es für die Lehrveranstaltung sinnvoll, Lernziele auf allen drei Ebenen zu formulieren. Zuweilen geschieht das bereits bewusst, wenn beispielsweise Medizin vor dem Hintergrund eines hippokratischen Eides unterrichtet wird. An einigen Hochschulen und Fakultäten sind diese Dimensionen weniger klar reflektiert, aber es gibt auch Gegenbeispiele: so weist das Modulhandbuch 2009 für das Bachelor- und Masterstudium Informatik der Universität Paderborn die klare „Vermittlung von normativ-bewertender Kompetenz“ aus (Fakultät für Elektrotechnik 2014, S. 89 ff.). Ein Beispiel, aus dem Bereich der Rechtswissenschaft, wäre das folgende:

Tabelle 1: Beispiele für Teilkompetenzen nach Dimensionen und Bereichen (Walzik 2012, S. 26).
Dimensionen / Bereiche Wissen Einstellungen Fertigkeiten
Sachkompetenzen Gesetzestexte und ihre Auslegung kennen, dieses Wissen anwenden, Gesetzestexte entwerfen demokratische Grundhaltung Sorgsamkeit bei der Interpretation (Subsumtion) von juristischen Texten Verteidigungsstrategie entwickeln und vor Gericht umsetzen
Sozialkompetenzen kommunikationspsychologische Grundlagen und Theorien kennen, verstehen, anwenden, reflektieren Konflikte als etwas Notwenidiges und Förderliches für den zwischenmenschlichen Umgang erachten Gespräch mit einem schwierigen Mitarbeiter führen
Selbstkompetenzen Selbstmorivationstechniken beherrschen, Techniken der Emotionskontrolle kennen Grundhaltung der Eigenverantwortung im Umgang mit Emotionen entwickeln Lerntechniken oder Techniken der Selbstmotivation gezielt einsetzen und nutzen

3) Kompetenz-Performanz-Problematik: Dabei besteht grundsätzlich das Problem, dass Kompetenzen nur Dispositionen oder Potenziale von Menschen sind und folglich als solche nicht beobachtet werden können. Im einfachsten Falle beherrscht jemand eine Sprache, will sie aber nicht sprechen. Aus der Beobachtung, dass er*sie nicht oder schlecht spricht, lässt sich nicht folgern, dass er*sie keine diesbezügliche Kompetenz hat. Im Zusammenhang mit Prüfen muss dieser Problematik Rechnung getragen werden. Die Aufgaben müssen so gestellt sein, dass aus der beobachtbaren Performanz relativ valide auf die nicht beobachtbare Kompetenz geschlossen werden kann. Eine Herausforderung, die Abfragetests, womöglich noch mit Multiple Choice, schwer erfüllen.