Theorie und Praxis überprüfbar machen: Parcours-Prüfung in der Medizin (OSCE)
Worum geht’s?
Seit dem Sommersemester 2004 wird im Modellstudiengang Medizin regelmäßig der „OSCE“ (Objective Structured Clinical Examiations“) durchgeführt. Die OSCE-Prüfung ist eine Parcours-Prüfung, bei der die Prüflinge simultan im Rotationsverfahren eine Anzahl von bis zu 20 Prüfungsstationen durchlaufen, an denen sie unterschiedliche Aufgaben lösen müssen. Die Prüfungsaufgaben können einen rein theoretischen Inhalt haben oder sich auf eine praktische Problemlösung beziehen. Sie können als Befragung, Diskussion, als Fallvorstellung oder als Mischung dieser Formen stattfinden; dies muss im Vorfeld der Prüfung festgelegt werden.
Wie läuft die Prüfung ab?
Die Prüflinge durchlaufen in einer Gruppe simultan in einem rotierenden Verfahren die Prüfungsstationen. Die Gruppengröße richtet sich nach der Anzahl der Prüfungsstationen. In diesen finden sie unterschiedliche Aufgaben vor, die sie in einer vorab definierten Zeit (zwischen 5 und 15 Minuten) zu lösen haben. An jeder Prüfungsstation befindet sich ein*e Prüfer*in, der*die die Leistung des Prüflings anhand einer Checkliste dokumentiert.
Die Prüfungsaufgaben
Die Stationen sind als Prozedurstation und Fragestation entwickelt: An Prozedurstationen lösen die Kandidat*innen eine praktische Aufgabe, an Fragestationen beantworten sie schriftliche Fragen, die häufig im Zusammenhang mit der vorhergehenden Prozedurstation stehen. So könnte eine Aufgabe an einer Prozedurstation, an der ein Simulationspatient auf Studierende wartet, lauten: Bitte messen Sie den Blutdruck des Patienten. In der nachfolgenden Fragestation wären dann Fragen zu Blutdrucknormalwerten und zu möglichen Therapeutika in einem strukturierten Fragebogen zu beantworten.
Nach der Prüfung werden die ausgefüllten Checklisten von den Prozedurstationen und die Antwortblätter von den Fragestationen nach einem im Voraus festgelegten Schema (Checklisten) ausgewertet.
Was ist das Ziel Ihrer Prüfung? Welche Kompetenzen überprüfen Sie?
Neben der Überprüfung der Kenntnisse und des Anwenden von Fachwissens, nach den Dimensionen Verständnis, Beurteilung, Problemlösung und Planung des Vorgehens, werden weiterhin die sprachliche Ausdrucks- und die Kommunikationsfähigkeit erfasst und können in die Bewertung einfließen. Beurteilbar sind vor allem verbale, interaktive und praktische Fertigkeiten oder Verhaltensweisen von Kandidat*innen, sofern dafür im Vornherein Kriterien festgelegt wurden.
Was sind Bewertungskriterien für studentische Leistungen?
Die in der Prüfung gezeigten studentischen Leistungen werden anhand von im Vorfeld der Prüfung entwickelten Kriterien bewertet. Dafür werden Checklisten genutzt, die auf der Grundlage der Kriterien erstellt werden und die weiterhin eine differenzierte Beobachtung und Bewertung für Einzelaspekte der gestellten Aufgaben ermöglichen. Die Bewertungskriterien unterscheiden sich in den einzelnen Fachbereichen und können ihren Schwerpunkt hinsichtlich praktischer und auch technischer Fertigkeiten, sprachlicher und/oder kommunikativer Kompetenz, der Entwickelung von Problemlösungsstrategien etc. haben.
Die Kriterien werden in einem fächerübergreifenden Review geprüft, um eine ausreichende Validität der Bewertung der geprüften Inhalte, sowohl des theoretischen Wissens als auch der professionellen Fähigkeiten und Fertigkeiten, zu gewährleisten.
Was gilt es bei dieser Prüfungsform zu beachten?
… hinsichtlich der Prüfungskonstruktion:
- Der zeitliche Aufwand der Entwicklung einer Parcours-Prüfung darf nicht unterschätzt werden. Mit Entwicklung der Prüfungsaufgaben, Review und Schulung der Prüfer*innen sollte mit mindestens einem halben Jahr an Vorbereitungszeit gerechnet werden. Aber – steht der Prüfungsparcours erst einmal, ist die Prüfung – verglichen mit der mündlichen Prüfung durch eine Kommission, der mehrere Prüfer angehören – zeiteffektiver und bietet darüber hinaus eine hohe Prüfungszuverlässigkeit.
- Wenn die Entscheidung für dieses mündliche Prüfungsformat gefallen ist, ist ein Zeitrahmen für die Entwicklung aufzustellen, der verbindlichen Charakter hat.
- Da idealerweise mehrere Lehrstühle einer Fakultät mit ihrer Prüfung an einem Parcours beteiligt sind, ist der Entwicklungsprozess von einer erfahrenen Person zu begleiten und zu moderieren.
- Zum Erreichen einer akzeptablen Prüfungszuverlässigkeit müssen die Prüflinge mindestens acht Stationen absolvieren.
- Die Prüfungsstationen werden auf der Grundlage einer im Voraus erarbeiteten Prüfungsmatrix (Blueprint), die die einzelnen Prüfungsthemen nach der Gewichtung in der Lehre bestimmt, entwickelt. Die Prüfungsaufgaben prüfen jeweils eine bis zwei Kompetenzkomponenten, wie z.B. ie Fertigkeit, den Blutdruck zu messen und den professionellen Umgang mit Patient*innen sowie an der nächsten Station das Wissen um die Therapie des Bluthochdrucks.
… hinsichtlich der Vorbereitung der Prüfer*innen:
Die Prüfenden müssen sorgfältig vorbereitet und die Kriterien unterschiedlicher Bewerter miteinander abgestimmt werden, um die Einflüsse individueller Prüfungsstile und Beurteilungstendenzen zu reduzieren. Die Schulung schließt die Protokollierung der Prüfung ein. Um auch nonverbale Interaktionen möglichst auszuschalten, sollen die Prüfer in der Schulung für dieses Problem zumindest sensibilisiert werden.
…hinsichtlich der Durchführung:
Um die Prüfung so fair wie möglich zu gestalten, muss darauf geachtet werden, dass…
- die Kandidat*innen an jeder Station von jeweils einem*r anderen Prüfer*in geprüft werden, um so den Einfluss von Sympathie bzw. Antipathie zu reduzieren.
- jede*r Studierende die gleiche Prüfungssituation vorfindet und sich die Bedingungen nicht unterscheiden. Dies gilt besonders bei komplexeren Prüfungssituationen.
- die Interaktion Prüfer*in-Kandidat*in bei der Verwendung von Checklisten vergleichsweise klein ist, sodass dann keine verbale Interaktion stattfindet/stattfinden sollte.
… hinsichtlich der Nachbereitung und Evaluation
- Um dieses (neue) Prüfungsformat ständig zu verbessern, hat sich eine Evaluation durch Prüfende und Geprüfte bewährt. Diese Evaluation kann in mündlicher und/oder schriftlicher Form erfolgen (z. B. ob die Stationen die gelehrten Inhalte abdeckten, ob die Prüfungsinhalte und die Prüfer*innen fair waren).
Zusätzlich sollte nach jedem Durchlauf die Übereinstimmung der Prüfenden in der Beurteilung überprüfen werden (Interraterreliabilität).