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Kompetenzorientiert Prüfen an der RUB: Im Gespräch mit einer Lehrenden

Im folgenden Interview mit Juniorprofessorin Dr. Grit im Brahm (Institut für Erziehungswissenschaften der Ruhr-Universität Bochum) erläutert sie den Begriff der Kompetenz, berichtet von ihren Erfahrungen mit dem Einsatz kompetenzorientierter Prüfungsformate, spricht über Bewertungskriterien, betrachtet Vor- und Nachteile kompetenzorientierter Prüfungen, und gibt Ihnen Tipps für eine kompetenzorientierte Prüfungskultur. [Aufnahme: 2012]

© Dr. Grit im Brahm

 

Transkript zum Video

Interview zu kompetenzorientiertem Prüfen mit Grit im Brahm, Juniorprofessorin für Unterrichtsentwicklung und Empirische Bildungsforschung an der RUB zum Thema Kompetenzorientiertes Prüfen

Was heißt kompetenzorientiertes Prüfen für Sie?
[Grit im Brahm, 00:12 – 01:41] Für mich heißt kompetenzorientiertes Prüfen, dass man den Studierenden im Studium, während des Studiums und auch am Ende, Prüfungen anbietet, die über das reine Abprüfen von reproduktivem Wissen hinausgehen. D.h. dass ich Prüfungen mache, die natürlich zum einen überprüfen, ob sie das Wissen erworben haben, aber für mich ist natürlich interessant, dass sie das Wissen flexibel erworben haben und deshalb muss dieser Wissenserwerb an Handlungsoptionen geknüpft sein. Demnach werden Kompetenzorientierte Prüfungen, die über das Abprüfen von Wissen hinaus Anwendungsfunktion haben und damit mehr Kompetenzen abprüfen als das alternative Prüfungen getan haben. Kompetenzorientierte Prüfungen haben für mich insgesamt einen deutlich erweiterten Lernbegriff in der Lehre, d.h. auch die Lehre, die der Prüfung natürlich immer vorangeht, hat nicht alleine nur das Ziel Wissen zu erwerben – das möglicherweise auch nur auf einem relativ geringen Level, nämlich im Sinne von Kenntnissen erwerben oder Wissen erwerben, Verständnis vielleicht noch – sondern kompetenzorientierte Prüfungen haben, zumindest gedacht, immer ein Handlungselement mit in der Prüfung.

Können Sie Beispiele dafür geben, wie Sie kompetenzorientiert prüfen?
[Grit im Brahm, 01:46 – 03:32] Ich mach beispielsweise in den Hauptseminaren, die ich anbiete, regelmäßig kleine Forschungsaufträge, d.h. die Studierenden gehen, während des Semesters mit einem klaren Auftrag los und recherchieren entweder im Internet Informationen zu beispielsweise einem Schulprogramm – ich arbeite ja in der Unterrichtsforschung – d.h. die Studierenden bekommen möglicherweise den Auftrag, Schulprogramme von Schulen sich anzuschauen, und die miteinander zu vergleichen, d.h. für die Studenten dass sie die Schulprogramme entweder im Internet recherchieren können, oder aber auch zu den Schulen hingehen, sich die Schulprogramme holen, die dann eigenständig miteinander vergleichen, und die Daten die sie da oder die Informationen die sie da sammeln zusammen aufbereiten, systematisch aufbereiten und dann auch präsentieren. Damit haben sie ein ganzes Projekt durchgeführt, von der Recherche über die Erarbeitung, Systematisierung, Aufbereitung und nachher auch die Verschriftlichung und das ist beispielsweise eine Leistung, die bei mir in die Note, in die Abschlussnote mit eingeht des Hauptseminars. Eine andere Form von kompetenzorientierter Prüfung biete ich gerade bei der Modulanschlussprüfung an, in Form von Fallbeispielen. D.h. die Studenten bekommen nicht wie vorher eine Aufgabe, in der sie reproduktiv theoretische Konzepte aufbereiten müssen, sondern sie bekommen von vornherein ein Fallbeispiel, anhand dessen sie das, was sie vorher an theoretischem Wissen erworben haben, direkt anwenden können. Und damit hat dann das theoretische Wissen wieder einen direkten Praxisbezug und ist handlungsorientiert auszuwerten.

Was verändert sich durch kompetenzorientiertes Prüfen?
[Grit im Brahm, 03:37 – 04:52] Was sich definitiv ändern muss, ist, wenn ich kompetenzorientiert prüfen will, muss ich vorher kompetenzorientiert lehren. Und wenn ich das vorher nicht getan habe, dann muss ich als Prüfer meine Lehrveranstaltung umstellen. Wenn ich kompetenzorientiert prüfen möchte, kann ich keine Veranstaltung machen, die das vorher nicht mit berücksichtigt. Es ändert sich natürlich das, was bewertet wird. Wenn ich Kenntnisse bewerte, fällt es möglicherweise noch verhältnismäßig leicht auch sich einen kriterialen Maßstab zu überlegen, anhand dessen ich die Leistungen bewerten möchte. Wenn ich handlungsorientiert prüfe muss ich mir als Prüfer vorher Gedanken machen, welche Bestandteile ich prüfen möchte und wie ich diese Bestandteile auch bewerten möchte. D.h. man muss sich eigentlich schon während der Planung des Seminars Gedanken machen, wie die Prüfung dazu aussehen kann und damit es eine faire Prüfung für die Studierenden ist, muss man zu dem Zeitpunkt auch schon wissen, wie man die bewerten möchte, damit die Studenten auch wissen, was sie leisten müssen in der Prüfung.

Welche Bewertungskriterien legen Sie bei kompetenzorientierten Prüfungen zugrunde?
[Grit im Brahm, 04:57 – 06:48] Das kommt natürlich auf die Form der Prüfung an, die ich mache. Bei einem Fallbeispiel habe ich sicherlich, sowie bei der klassischen Klausur auch, das Bewertungskriterium des Umfangs des reproduktiven Wissens. Darüber hinaus werde ich den Transfer bewerten und überprüfe, in welchem Maße es den Studierenden gelungen ist, die Hinweise die im Fallbeispiel aufgegriffen wurden mit der Theorie zu verknüpfen. Ein weiteres Kriterium ist, inwiefern es den Studierenden gelingt, aus dem, was im Fallbeispiel geschildert wurde, eigene Handlungskonsequenzen theoriegeleitet zu entwickelt. Dazu eignet sich ein Fallbeispiel viel besser als eine klassische Aufgabe, weil es den Studenten einfach auch leichter macht, sich in die Situation des Lehrenden hineinzuversetzen. Bei solchen Forschungsaufträgen die ich in meinen Seminaren fast immer anbiete, ist ein Kriterium natürlich die Vollständigkeit der Recherche. Aber die Studenten geben auch immer noch eine Rückmeldung darüber, wie sie selber den Arbeitsprozess strukturiert haben, d.h. die Lernziele eines solchen Projekts sind ja auch viel umfassender. Es geht mir ja darum, dass die Studierenden sich ihre projektbezogenen Lernprozesse selbst vergegenwärtigen und im Rückblick sich Gedanken darüber machen, ob das gute Arbeitsprozesse gewesen sind. Und wenn sie das auch gut reflektieren, dann ist auch die diese Reflexionsleistung eigener Lernprozesse ein Prüfungsgegenstand.

Worin besteht der Gewinn von kompetenzorientiertem Prüfen?
[Grit im Brahm, 06:53 – 08:47] Der erste Gewinn, der mir einfällt von kompetenzorientierten Prüfungen, ist, dass es der Universität besser gelingt auf den Alltag, also auf das, was nach der Uni kommt, vorzubereiten. Ich muss mal kurz überlegen wie ich es formuliere… Wenn wir früher Klausuren geschrieben haben mit einem reinen Abtesten reproduktivem Wissens, war es natürlich immer schon so, dass wir in der Lehre uns darüber klar waren, dass das, was wir da getestet haben, irgendwas mit der späteren Welt zu tun hat, das war immer schon die Aufgabe von Lehrenden den Alltagszusammenhang herzustellen. Das, was traurig daran ist, ist war, dass den Studenten das noch nie klar war, warum sie das für den Alltag brauchen. Bei kompetenzorientierten Prüfungen wissen das dies Studenten in der Regel schon. Also die Chancen von Kompetenzorientierten Prüfungen liegen für mich zunächst klar auf der Hand, weil kompetenzorientierte Prüfungen meiner Meinung nach sowohl für den Prüfer als auch für den Prüfling Motivationsgehalt hat. Und zwar deshalb, weil es eine Prüfung ist die mit realen Situationen verknüpft ist, die Komplexität nicht zu sehr reduziert und bei der die Studierenden eigentlich immer ein bisschen mehr aus sich rausholen müssen, als sie es allein bei der Reproduktion machen müssen. Ich muss auch sagen ich freue mich zum allerersten Mal in meinem Leben auf eine Klausur, weil ich hoffe, dass die Klausur auch spannender zu lesen ist, dass muss man ja auch als Prüfer wissen, wir lesen so viele Hausarbeiten, da ist es auch mal schön wieder was Spannendes zu lesen.

… und sehen Sie auch für Studierende Vorteile des kompetenzorientierten Prüfens?
[Grit im Brahm, 08:53 – 09:33] Die Erfahrung, die ich mit den Prüfungen mache, ist, dass die Studenten die Prüfung nicht immer als Prüfungen wahrnehmen, wenn man sie kompetenzorientiert anlegt, sondern dass es einfach auch Aufgaben sind, die aufgrund der Tatsache, dass sie mit komplexen Aufgaben konfrontiert werden, die ja auch realitätsnah sind. Die Studenten werden, wenn sie in die Schule kommen, auch nicht mit reduzierten Problemen konfrontiert, sondern sie werden mit komplexen Aufgaben konfrontiert in der Schule und deshalb sagen viele Studierende, diese kompetenzorientierte Form von Prüfung hat häufig wenig Prüfungscharakter, sondern das ist etwas was für sie Sinn macht, was für sie Spaß macht.

Ergeben sich auch Nachteile durch das kompetenzorientierte Prüfen?
[Grit im Brahm, 09:40 – 10:14] Der Einwand, kompetenzorientierte Prüfungen würden mehr Korrekturaufwand bedürfen, den würde ich kritisch sehen, weil das, was den Prüfungsaufwand macht, ist die Prüfungsform Klausur, offene Klausur, geschlossene Klausur die Beurteilung von Projekten – das ist das, was den Arbeitsaufwand bestimmt. Ob die Klausur jetzt kompetenzorientiert ist oder nicht, das macht für den Bewertungsaufwand keinen Unterschied mehr.

Was würden Sie Lehrenden raten, die kompetenzorientiert prüfen möchten?
[Grit im Brahm, 10:20 – 13:27] Zunächst mal würde ich sagen, für alle, die Lust haben kompetenzorientiert zu prüfen, und für alle, die sich das vornehmen wollen kompetenzorientiert zu prüfen, die würde ich in jedem Falle unterstützen und darin bekräftigen, das zu tun. Dann würde ich als nächstes mich hinsetzen und mir Gedanken machen, welche Prüfungen ich bisher angeboten habe – und ich bin ganz sicher, in den Prüfungen, die sie schon angeboten haben, finden Sie schon kompetenzorientierte Elemente – und dann können Sie sich überlegen, wenn Sie diese gefunden haben, können Sie die für sich beschreiben. Und dann würde ich mir Gedanken machen, in den Veranstaltungen, die ich anbiete, was sind eigentlich Kompetenzen, die in der Nähe dieser Veranstaltung angesiedelt sind. Das ist natürlich sehr vielfältig und hat keine Grenzen. Die Kompetenzen sind wahrscheinlich in den naturwissenschaftlichen Fächern andere als in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern. Aber die Berufe, auf die wir unsere Studierende vorbereiten, die sind ja alle mit tatsächlichen Handlungen verbunden. So gesehen hat jede Veranstaltung, wenn Sie legitimiert auf das Berufsfeld vorbereitet, notwendigerweise Handlungsbezug. Und diesen Handlungsbezug, den würde ich mich vergegenwärtigen und würde mir dann Gedanken machen, wie kann ich diesen Handlungsbezug, am besten erstmal nur einen, damit man sich nicht übernimmt, in die Veranstaltung mit einbezieht, dann würde ich mir Gedanken machen, wenn ich den so einbeziehe, wie kann ich diese Fähigkeit durch mein Seminar fördern, und daran verknüpft ist eigentlich unmittelbar die Frage, wie kann ich das nachher abprüfen. Fällt mir eine gute Idee ein, wie ich diese Kompetenz abprüfen kann? Das kann ja in Form eines Abschlussexperiments sein. Beispielweise kann man einen Studierenden ein Experiment vorbereiten lassen und das Experiment auch vorführen lassen mit den Worten, wie es vorbereitet wurde. Das wäre vielleicht was Naturwissenschaftliches. In den geisteswissenschaftlichen Fächern bieten sich kleine Forschungsaufträge an, kleine Fragebogenstudien die vorbereitet, ausgewertet werden. Eigentlich hat jedes Berufsfeld Möglichkeiten, kompetenzorientiert zu prüfen. Und dann würde ich mir wie gesagt eine Kompetenz raussuchen, überlegen, wie ich die zum Lernziel in meiner Veranstaltung mache. Und wenn ich das durchgeführt habe, wenn ich das in meiner Veranstaltung durchgesetzt habe, kann ich mir Gedanken machen, ob ich das in Form von einer Abschlussprüfung oder prozessbegleitend einbinde. Bei kompetenzorientierten Prüfungen bietet sich eher eine formative Form der Evaluation an, meiner Meinung nach. Und dann ist es natürlich wichtig, auch unter dem Gesichtspunkt von Fairness, dass man sich bemüht, die Transparenz der Bewertungskriterien relativ schnell herzustellen, dass man den Studierenden relativ schnell auch vermittelt, das und das ist mir auch für die Bewertung wichtig. Das sind die Tipps, die mir so einfallen.