Beurteilungskriterien festlegen

Unterschiedliche Studien legen nahe, dass es sinnvoll ist, Prüfungsleistungen anhand einer überschaubaren Zahl von Kriterien zu beurteilen. So konnten Hartog und Rhodes bereits 1936 nachweisen, dass eine Beurteilung anhand von 700 Einzelkriterien genauso wenig intersubjektiv vergleichbare Ergebnisse liefert (Hartog/Rhodes 1935) wie eine anhand eines reduzierten Kriterienkatalogs von drei Einzelkriterien (Grzesik/Fischer 1985, S. 241). Arbeiten Sie also mit ca. zehn bis 15 Kriterien. Bei Prüfungsformen, bei deren Bearbeitung Studierende einen größeren Freiraum haben (z. B. Klausuren in Textform, Hausarbeiten, Essays) können Sie Ihren Beurteilungsspielraum erweitern, indem Sie eine Rubrik für „Unvorhergesehenes“ aufnehmen.

Kriterien ergeben sich zum einen aus den fachlichen Inhalten, deren Beherrschung geprüft wird (lernzielbezogene Kriterien), zum anderen aus der Beherrschung der jeweilig angemessenen Darstellungsform:

Lernzielbezogene Kriterien

Viele der Kriterien für die Beurteilung einer Prüfungsleistung ergeben sich unter Berücksichtigung der Lernziele der entsprechenden Veranstaltung bzw. des Moduls oder – bei Examensarbeiten – des jeweiligen Studiengangs. Kriterien zu formulieren fällt umso leichter, je präziser Lernziele formuliert wurden.

Beispiel:

Mit einem Seminar wurde das Lernziel verfolgt, Probleme betrieblicher Praxis vor dem Hintergrund theoretischer Lerninhalte zu analysieren und auf dieser Grundlage Lösungsansätze zu entwickeln. Geprüft wurden diese Lernziele durch eine Textklausur, in deren Rahmen ein Problem der betrieblichen Praxis mithilfe einer selbst gewählten Theorie analysiert und auf dieser Grundlage eine Handlungsempfehlung formuliert werden sollte. Sinnvolle Beurteilungskriterien wären demnach:

  • Wurde aus den im Seminar vermittelten Theorien eine Theorie ausgewählt, mit der das ausgewählte Problem sinnvoll analysiert werden kann?
  • Wurde die Theorie korrekt dargestellt?
  • Wurde die Theorie sinnvoll auf das Problem angewendet?
  • Ist der Bezug zwischen den Ergebnissen der Analyse und der Handlungsempfehlung nachvollziehbar?
  • Ist die Handlungsempfehlung aus praktischer und theoretischer Sicht sinnvoll, d.h. beispielsweise zielführend und praktikabel?

Weil lernzielbezogene Kriterien auf inhaltliche Aspekte abzielen, gelten sie immer nur für eine konkrete Prüfung. Sie sollten Sie daher immer dann neu formulieren, wenn Sie mit einer Prüfung andere Lernziele verfolgen.

Tipp: Nutzen Sie die Lernzieltaxonomie von Bloom (1976), um sich die verschiedenen Ebenen potentieller Lernziele zu vergegenwärtigen und um die Lernziele auszuformulieren.

Allgemeine Kriterien bei schriftlichen Arbeiten

Bei schriftlichen Arbeiten kommen zu den lernzielbezogenen Beurteilungskriterien textsortenbezogene Kriterien hinzu. Sie betreffen zum einen die Einhaltung der Konventionen, die für die jeweilige Textsorte gelten (z.B.: Ist bei einer Hausarbeit an jeder Stelle der Ursprung einer Information erkennbar?). Zum anderen geht es um typische textbezogene Kriterien wie die der sprachlichen Eindeutigkeit, der korrekten Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung oder auch der angemessenen Formatierung. Insbesondere die Einhaltung solcher Kriterien wird während des Studiums nicht vermittelt und Studierende benötigen daher hier vielfältige Lernanlässe.

Übersicht allgemeiner Kriterien bei schriftlichen Arbeiten:

  • Zur Bearbeitung des Themas
    • Das Thema wurde so eingegrenzt, dass es in der gegebenen Seitenzahl detailliert bearbeitet werden kann.
    • Die zentralen Aspekte des Themas wurden behandelt.
    • Es wurden keine Aspekte dargestellt, die nicht zur Beantwortung der Fragestellung beitragen.
    • Die Argumentation ist nachvollziehbar.
    • Die Argumentation ist schlüssig.
  • Zur Struktur der Arbeit
    • Der Arbeit liegt eine klar erkennbare Fragestellung zugrunde.
    • In der Einleitung wurden alle relevanten Aspekte bearbeitet (Relevanz des Themas, Ziel der Arbeit/Fragestellung, Themenein- und -abgrenzung, ggf. besondere Untersuchungsmethodik, Material, Aufbau der Arbeit samt Begründung).
    • Im Fazit wurden alle relevanten Aspekte bearbeitet (Beantwortung der Fragestellung, Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse, Ausblick).
    • Alle Teile der Arbeit sind vorhanden (Deckblatt, Inhaltsverzeichnis, Textteil, Literaturverzeichnis, ggf. Anhang).
    • Die einzelnen Kapitel leisten einen sichtbaren Beitrag zur Beantwortung der Fragestellung/zur Bearbeitung des Themas.
    • In den Kapiteln sind Absätze sinnvoll gebildet (d.h. > als ein Satz, < als ein Gedankengang, = ein Hauptgedanke).
  • Zur sprachlichen Gestaltung der Arbeit
    • Es wurde wo nötig Fachsprache benutzt.
    • Es wurde keine Umgangssprache benutzt.
    • Die zentralen Begriffe sind definiert.
    • Der Text ist präzise und eindeutig formuliert.
    • Bezüge sind an jeder Stelle eindeutig.
  • Zum Umgang mit Quellen
    • Es wurden die notwendigen und hinreichenden Quellen verwendet, um die Frage zu beantworten.
    • Es wurden einschlägige Quellen verwendet.
    • Alle Aussagen (außer allgemeingültige) sind belegt.
    • Jede Positionierung/Kritik ist begründet.
    • Die Quellen wurden unverfälscht wiedergegeben.
    • Die Quellen/Positionen wurden zueinander in Bezug gesetzt.
    • An jeder Stelle ist deutlich, ob eine Quelle referiert wurde oder eigene Gedanken dargestellt wurden.
  • Korrektheit
    • Der Text entspricht den Regeln der Rechtschreibung.
    • Die Zeichensetzung folgt den Regeln.
    • Die Grammatik entspricht den Regeln.
    • Die Formatierung, die Quellenangaben, die Zitierweise und die Literaturangaben sind einheitlich.

Allgemeine Kriterien bei mündlichen Prüfungen/Präsentationen und Praxisprüfungen

Ob bei mündlichen Prüfungen, Präsentationen und Praxisprüfungen zu den lernzielbezogenen Kriterien weitere hinzukommen, handhaben Lehrende sehr unterschiedlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Gesprochenes flüchtig ist und Inhalte nicht gut von der Art ihrer Darbietung getrennt wahrgenommen werden können, so dass zu den inhaltlichen Kriterien immer auch – ob bewusst oder unbewusst – Kriterien der Performanz hinzutreten. Dazu gehört beispielsweise, ob Körpersprache, Sprechtempo, Wortwahl etc. den Prüfling souverän und kompetent erscheinen lassen, und ob seine Art der Darbietung suggeriert, er könne aus dem Vollen schöpfen. Deshalb ist es sinnvoll, Studierende darüber zu informieren, dass in diesem Punkt mündliche Prüfungen und Präsentationen durchaus mit Bewerbungsgesprächen vergleichbar sind: Es gilt zu zeigen, was man kann, und nicht, was man nicht kann.

Darüber hinaus können Sie folgende Kriterien an mündliche Prüfungen und Präsentationen anlegen:

  • Zur inhaltlichen Darstellung
    • Die zentralen Aspekte des Themas werden benannt, unwichtige Aspekte werden nicht benannt.
    • Die Argumentation ist nachvollziehbar.
    • Die Darstellung ist logisch strukturiert.
    • Die Argumentation ist schlüssig.
  • Zur sprachlichen Darstellung
    • Die einschlägige Fachsprache wird verwendet.
    • Es wird keine Umgangssprache verwendet.
    • Zentrale Begriffe können (auf Nachfrage) definiert werden.
  • Zum Umgang mit Forschungsliteratur
    • Es wird auf sinnvolle Forschungsliteratur Bezug genommen.
    • Der Ursprung zentraler Gedanken kann (auf Nachfrage) benannt werden.
    • Es wird eine Position zur Forschungsliteratur eingenommen.
    • Die Informationen/Gedanken aus der Forschungsliteratur werden unverfälscht wiedergegeben.
    • Positionen aus der Forschungsliteratur werden zueinander in Bezug gesetzt.

Kriterien hierarchisieren

Auch wenn Beurteilungskriterien feststehen, ergibt sich die Note bei der Beurteilung nicht von selbst: Kriterien können fachbezogen, hinsichtlich der Lernziele und auch hinsichtlich einzelner Lernender unterschiedlich relevant sein und auch ihr Zusammenwirken kann unterschiedlich beurteilt werden kann. So stellt sich die Frage, wie eine inhaltlich schwache aber eloquent geschriebene, formal korrekte Arbeit im Gegensatz zu einer inhaltlich starken, aber schlecht geschriebenen und formal fehlerhaften Arbeit beurteilt werden sollte. Dies handhaben nicht nur einzelne Lehrende unterschiedlich, sondern es hängt auch davon ab, wie wichtig im entsprechenden Fach und für die konkrete Prüfung die lernzielunabhängigen Beurteilungskriterien sind.

Um Kriterien zu hierarchisieren, können Sie die Aspekte detaillierter ausdifferenzieren, die Ihnen wichtiger sind, und die Ihnen unwichtigeren Aspekte grob zusammenfassen. So könnte es in einer Bachelorarbeit im Maschinenbau sinnvoll sein, die lernzielbezogenen Kriterien detaillierter auszudifferenzieren, sprachliche und formale Kriterien aber zu einem einzigen Beurteilungskriterium zusammenzufassen. Denn zum einen konnten die Studierenden zuvor kaum Schreiberfahrungen sammeln, zum anderen gehört das (mit lernzielbezogenen Kriterien erfasste) fachspezifische Handlungswissen zur Kernkompetenz von Maschinenbauern; gute Texte zu schreiben ist eine weniger starke Anforderung an sie. Für eine philologische Arbeit hingegen wäre möglicherweise eine Ausdifferenzierung der text(sorten)bezogenen Kriterien sinnvoll, weil deren Berücksichtigung eine Kernkompetenz in philologischen Fächern ist.

Bei einer Hierarchisierung von Kriterien können Sie auch den Lernstand der Studierenden einbeziehen. So zeigte sich, dass sich Studienanfänger vielfach schwer tun, diskursive und argumentative Aufgaben angemessen zu bewältigen. Deshalb empfehlen wir Ihnen, solche Kriterien für sie schwächer zu gewichten. Ähnlich können Sie mit der Gewichtung auch auf die individuelle Situation einzelner Studierender reagieren, indem Sie z. B. zur Bewertung schriftlicher Arbeiten von Studierenden, die in einer Fremdsprache schreiben, Fehler im Bereich sprachliche Korrektheit weniger stark gewichten, als bei Studierenden, die in ihrer Erstsprache schreiben. Zudem ist es wichtig, auch jenseits der festgelegten Kriterien offen zu sein für überraschende gute Aspekte einer Leistung, d.h. die Festlegung von Kriterien soll ein Hilfsmittel zur Leistungsbeurteilung sein, das Sie flexibel einsetzen können.