Warum es schwierig ist, Prüfungsleistungen zu benoten
Lehrende sind bei einer Leistungsbeurteilung in Notenform – so zeigen uns etliche Studien – mit mindestens drei Schwierigkeiten konfrontiert:
- erstens sind Notenurteile
- nur bedingt valide, weil in die Beurteilung auch Faktoren einfließen, die nicht zur Prüfungsleistung zählen,
- nicht objektiv, weil sie bei unterschiedlichen Lehrenden unterschiedlich ausfallen und
- nicht reliabel, weil sie bei Wiederholungen nicht zum selben Ergebnis führen.
- zweitens erfordert es Aufwand und im Hochschulkontext wenig verbreitete Methoden, die Leistungsbeurteilung so zu vollziehen, dass Studierende durch die Rückmeldung auf ihre Prüfungsleistungen auch lernen können und
- drittens ist der Betreuungsaufwand gerade in Massenfächern groß, was eine solche Orientierung auf das Lernen erschwert.
Zu 1) Studien aus dem schulischen und dem universitären Bereich belegen, dass Noten nicht in dem gewünschten Maß valide, reliabel und objektiv sind. Das ist zum Beispiel darauf zurückzuführen, dass zur Beurteilung nur eine subjektive Perspektive eingenommen werden kann, die von unterschiedlichen Anforderungen an und Vorstellungen von einer perfekten Prüfung geprägt sind. Auch fließen Aspekte der Bewertung (s.o.) in die Beurteilung: sei es das äußere Erscheinungsbild eines Prüflings bei einer mündlichen Prüfung oder der Tippfehler auf dem Deckblatt einer Hausarbeit (Jachmann 2003, S. 46-52). Nicht zuletzt beeinflusst die Bezugsnorm die Notenfindung: Rein der sachorientierten Bezugsnorm folgend würde eine Prüfungsleistung ausschließlich an einem vordefinierten Leistungsstand gemessen, dem meist eine Idealvorstellung zugrunde liegt. Bei der sozialen Bezugsnorm erhielten für eine konkrete Prüfung diejenigen mit der besten Leistung die beste Note, diejenigen mit der schlechtesten Leistung die schlechteste Note. Bei einer individuellen Bezugsnorm hingegen wird ausschließlich der Lernzuwachs der Einzelperson beurteilt. Diese Bezugsnorm fördert zwar am ehesten die Lernbereitschaft und die Lernfähigkeit (Meyer 1984; Bohl 2004), ist aber im Universitätsbetrieb meist nicht umsetzbar und wird von vielen als ungerecht empfunden. In der Praxis wird daher meist eine Mischform zwischen sozialer und sachlicher Bezugsnorm gewählt, bei der nur im Ausnahmefall individuelle Aspekte miteinbezogen werden.
Angesichts der hier beschriebenen Ausgangssituation können Lehrende also gar nicht erreichen, dass ihre Notengebung im statistischen Sinne Kriterien wie Validität, Reliabilität und Objektivität genügt, die häufig mit einer gerechten Beurteilung assoziiert werden. Für eine möglichst gerechte Benotung ist es deshalb notwendig, anderen Beurteilungsprinzipien zu folgen; wir empfehlen Ihnen, einem Prinzip der ‚transparenten Subjektivität‘ zu folgen, bei dem Sie Ihre Beurteilungskriterien bereits vor der Prüfung so offenlegen, dass sie für Studierende nachvollziehbar sind. (Siehe dazu weiter unten.)
Zu 2) Prüfungen haben u.a. die Funktion, den aktuellen Stand der fachspezifischen Denk-, Handlungs- und Schreibweisen zu ermitteln. Dabei geht es sowohl um Wissensbestände, also im engeren Sinne Fachwissen und Kenntnis fachspezifischer Darstellungs- und Argumentationskonventionen, als auch um Fähigkeiten wie beispielsweise Tiefenlern-, Lese- oder Schreibstrategien, die für ein erfolgreiches Studium unabdingbar sind. Solche Wissensbestände und Fähigkeiten können Studierende nur durch das Studium und die damit verbundenen Prüfungen erlernen (s. z.B. Pohl 2007), müssen jedoch in diesen Prüfungen gleichzeitig beweisen, dass sie darüber verfügen.
Zwar wird im Bereich des Fachwissens meist – dem didaktischen Prinzip des constructive alignment entsprechend – nur das geprüft, was zuvor vermittelt wurde. Im Bereich der fachspezifischen Lese-, Schreib- und Lernstrategien sowie der Prinzipien wissenschaftlich angemessener Darstellung hingegen besteht das Problem, dass Studierende sie sich oftmals ohne Instruktion aneignen müssen. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass viele Studierende in den ersten Semestern insbesondere mit schriftlichen Prüfungen überfordert sind, die an deutschen Hochschulen immerhin ca. 80% aller Prüfungen ausmachen (vgl. Kerres/Schmidt 2011).
In der Lehr- und Prüfungspraxis bleibt der Aspekt des ‚aus der und durch die Prüfung Lernens‘ oft sowohl auf Seiten der Studierenden als auch auf der der Lehrenden unbeachtet. Nur wenn Lehrende die Prüfung auch selbst als Lernanlass begreifen und kommunizieren, kann sich dieser Gedanke auch bei Studierenden besser durchsetzen. Solange dies nicht geschieht, verlaufen Lernprozesse langsamer und schlechter, als es möglich wäre. Dass dies zum Nachteil für die Studierenden ist, liegt auf der Hand. Doch auch für Lehrende bringt dies Aufwand und Ärger mit sich, vor allem über schlechte Texte und hohen Betreuungsaufwand.
Zu 3) Vor dem Hintergrund der beschriebenen Problematik, dass Noten nicht im statistischen Sinne objektiv sind, Lehrende ihre Beurteilungskriterien nur selten vor einer Prüfung für alle Studierenden verständlich offenlegen, und Studierende die für Prüfungen erforderlichen Wissensbestände und Strategien erst sukzessiv erlernen – ist es nachvollziehbar, dass Studierende viele Fragen haben. Für viele Lehrende ist der Betreuungsaufwand im Rahmen von Prüfungsvorbereitungen (gerade bei Examensprüfungen) daher oft sehr groß und insbesondere in Massenfächern nicht oder nicht gut leistbar. Daraus ergibt sich eine für beide Seiten frustrierende Situation: Lehrende sind während der Sprechstunde immer häufiger mit langen Schlangen vor ihrer Tür konfrontiert und Studierende trauen sich u.a. deswegen oft nicht, ihre legitimen Fragen zu stellen (vgl. Boettcher/Meer 2000). Als Konsequenz daraus entspricht auch das Prüfungsergebnis oft nicht dem, was sich beide Seiten vorstellen.
Um trotz hoher Lehrbelastung Prüflinge gut zu betreuen, können Sie gezielt unterschiedliche Informationsmedien einsetzen. Seien es schriftlich ausformulierte Leitfäden und Handouts, mit denen Sie Konventionen wissenschaftlicher Texte oder Ihre Anforderungen vermitteln, oder der Verweis auf Ratgeberliteratur, die Sie für gut befinden. Egal welche Materialien Sie nutzen: Wir möchten Ihnen empfehlen, nicht nur die formalen Aspekte (wie Zitation und Formatierung) damit abzudecken, sondern beispielsweise auch auf den Zweck der jeweiligen Prüfungsleistung und dafür sinnvolle Lese-, Schreib- oder Lernstrategien einzugehen. Um Zeit zu sparen ist es auch sinnvoll, Materialien um Antworten auf Fragen zu ergänzen, die Studierende in Ihren Sprechstunden oft stellen. Das Schreibzentrum berät und unterstützt Sie, wenn Sie Materialien entwickeln oder ausarbeiten möchten.