Formen von textuellen Übereinstimmungen – und wie sie einzuordnen sind

Plagiate bzw. nicht markierte textuelle Übereinstimmungen lassen sich unterschiedlich klassifizieren (z.B. Weber-Wulff 2006: 90f). Um zu einer besseren Einschätzung von nicht markierten textuellen Übereinstimmungen zu kommen, können Sie sich ein paar einfache Fragen stellen. Bei allen Formen gibt es Entscheidungsspielräume und Uneindeutigkeiten. Bedenken Sie bitte auch, dass all diese geschilderten Phänomene in studentischen Arbeiten auf Fehler zurückgehen können.

Was wurde übernommen?

  • Ideen, Informationen, Positionen, Ergebnisse

    Die Regel, dass alle gedanklichen Übernahmen aus einem anderen Text gekennzeichnet werden müssen, wirkt auf den ersten Blick eindeutig und einfach. Fachliches Allgemeinwissen wird jedoch in der Regel nicht belegt und es ist eine Abwägung, was als solches einzustufen ist. Ähnlich spielt bei der Beurteilung eine Rolle, welche und wie viele Quellen zitiert werden.

  • Formulierungen

    Nicht markierte wörtliche Übernahmen erscheinen vermeintlich als die eindeutigsten Plagiate. Doch auch hier gibt es Grauzonen: Wann ist ein Gedanke wirklich in eigenen Worten formuliert und wann ist die Formulierung zu nah am Originaltext? Im Unterschied zu originellen Formulierungen werden Fachbegriffe und Elemente der alltäglichen Wissenschaftssprache (Formulierungen, die typisch für alle wissenschaftlichen Texte sind, vgl. Ehlich 1999) nicht als wörtliche Übernahmen markiert. Deshalb lässt sich keine Anzahl von Worten festlegen, ab der eine wörtliche Übernahme markiert werden muss.

  • Strukturen und Argumentationen

    Von einem Strukturplagiat spricht man, wenn der originelle Aufbau oder die Argumentation eines Texts ohne Kennzeichnung übernommen wird (dies gilt nicht für standardisierte Textstrukturen, wie die IMRAD-Struktur für empirische Forschungsartikel oder für gängige Argumentationsschemata). Ein Strukturplagiat ist von einer durch das gemeinsame Thema bedingten Textähnlichkeit zu unterscheiden. So ist es z.B. kaum auszuschließen, dass Texte über die deutsche Literaturgeschichte Abschnitte über die Klassik und die Romantik enthalten.

  • Quellenzusammenstellungen

    Eine besondere Form des Plagiats liegt vor, wenn für eine Analyse oder Argumentation exakt dieselben Quellen und Zitate wie in einer anderen Publikation verwendet werden und diese Publikation nicht als Grundlage der Argumentation genannt wird. Dies kann darauf hinweisen, dass die zitierten Texte nicht selbst gelesen wurden, sondern nur aus dem nicht angegebenen Text übernommen wurden. Dass auch dies ein Plagiat sein kann, ist vielen Studierenden nicht bewusst.

  • Sonderfall Übersetzungsplagiat

    Die Arbeit mit Quellen in verschiedenen Sprachen bringt für das plagiatssichere Arbeiten besondere Herausforderungen mit sich. Es ist nicht immer leicht zu entschieden, wann eine Übersetzung als wörtliches Zitat zu kennzeichnen ist und wann als Paraphrase. Je nach Bedeutung von Sprache und Formulierungen für ein Fach kann hier die Auffassung unterschiedlich sein. Problematisch ist es auf jeden Fall, wenn große Teile eines anderssprachigen Texts ohne Kennzeichnung im eigenen Text genutzt werden. Eine Täuschungsabsicht ist wahrscheinlich, wenn der Text nicht im Literaturverzeichnis steht (wohl in der Hoffnung, dass der Text in der anderen Sprache nicht bekannt ist).

Wie viel wurde übernommen?

  • Ganze Arbeiten: („Vollplagiat“)

    Dies bedeutet, dass jemand einen fremden Text als eigenen ausgibt. So wird z.B. die Arbeit von Mitstudierenden oder eine Arbeit aus dem Internet als eigene ausgegeben. In diesem Fall ist eine Täuschungsabsicht äußerst wahrscheinlich.

  • Kapitel, Absätze, Sätze („Teilplagiat“)

    Teilplagiate können größere oder kleinere Textteile betreffen: Wenn es sich um größere Textteile wie ganze Kapitel handelt, ist eine Täuschungsabsicht wahrscheinlicher. Werden lediglich kürzere Passagen übernommen, sollten Sie auch Fehler als Ursache für die nicht markierten textuellen Übereinstimmung in Erwägung ziehen, z.B. Überarbeitungsroutinen, bei denen Quellenangaben verloren gehen, oder Unsicherheit bei der Kennzeichnung von Übernahmen.

Woher wurde übernommen?

  • Aus publizierten Quellen

    Am häufigsten wird aus publizierten Quellen übernommen und für diesen Bereich sind die Zitierregeln am klarsten. Bei Internet-Quellen fällt es Studierenden jedoch oft schwer, zwischen den verschiedenen Textsorten und Publikationsformen zu differenzieren, passende Literatur auszuwählen und die entsprechenden Nachweise zu setzen.

  • Aus unpublizierten Quellen

    Wann Entlehnungen aus unpublizierten Quellen zu belegen sind, ist weniger eindeutig. Wie sollen Studierende etwa mit den Materialien aus Ihrer Lehrveranstaltung umgehen, mit Arbeitsblättern oder Präsentationen? Wann geht es (wie in einer Klausur) einfach darum, den Stoff zu reproduzieren, und wann erwarten Sie, dass Studierende z.B. in einer Hausarbeit Ihre Präsentation als Quelle angeben, wenn sie diese verwenden?

  • Von Mitstudierenden

    Gerade wenn in Veranstaltungen allen dieselben Aufgaben gestellt werden bzw. wenn sich die Aufgaben jedes Semester wiederholen, besteht für Studierende die Versuchung, sich von den Texten ihrer Mitstudierenden nicht nur inspirieren lassen, sondern ganze Passagen oder gar ganze Texte übernehmen. Bei dieser Form des Abschreibens können Sie in den meisten Fällen von einem bewussten Täuschungsversuch ausgehen Allerdings sollten Sie auch hier bedenken, dass die Bandbreite der Lösungen einer Aufgabe eingeschränkt ist und also mit Textähnlichkeiten zu rechnen ist, auch wenn alle Studierenden selbständig arbeiten.

  • Selbstplagiat

    Bei einem Selbstplagiat werden eigene frühere Texte ohne Kennzeichnung wiederverwendet, man spricht hier auch von Textrecycling. Die Kategorie Selbstplagiat ist umstritten, weil es sich nicht um die Aneignung fremden geistigen Eigentums handelt (es sei denn, die Leistung von Coautor*innen wird unterschlagen). Dennoch kann sie im Zusammenhang mit Prüfungsleistungen und der guten wissenschaftlichen Praxis problematisch sein, weil Schreibende vorspiegeln, dass sie eine neue Leistung erbringen bzw., dass sie neue, originelle Ergebnisse vorlegen.

An dieser Stelle seien noch zwei Phänomene erwähnt, die häufig im Kontext von Plagiatsdebatten genannt werde: Das Nutzen von Ghostwriting (ein Text wird als eigener eingereicht, den eine andere Person, üblicherweise gegen Honorar, geschrieben hat) und bestimmte problematische nicht angegebene Verwendungen textgenerierenden Technologien. Währende es sich in beiden Fällen im Rahmen einer Prüfungsleistung um eine Täuschung handelt, wenn die selbständig erbrachte Eigenleistung fehlt (vgl. Hoeren 2023: 25, 33), liegen im engeren Sinne keine Plagiate vor, weil es keinen Bezug auf einen Vorgängertext gibt, über den der Regelverstoß nachgewiesen werden könnte.