Gründe für unbeabsichtigte textuelle Übereinstimmungen (Fehler)
Viele nicht markierte textuelle Übereinstimmungen in studentischen Texten lassen sich unterschiedlich interpretieren: als bewusste Täuschung oder als Unachtsamkeit bzw. Fehler. Ein Blick auf den Erwerb akademischer Textkompetenz macht deutlich, dass es (didaktisch) nicht sinnvoll ist, bei nicht markierten Textübernahmen in studentischen Texten zuerst von einer Täuschungsabsicht auszugehen: Der konventionsgerechte Umgang mit Forschungsliteratur in den Wissenschaften ist komplex und Studierende können ihn in der Regel erst im Laufe ihres Studiums erlernen, weil sie erst an der Universität beginnen, wissenschaftliche Texte zu schreiben (vgl. z.B.: Pohl 2007, Steinhoff 2007). Studierende machen in diesem Erwerbsprozess häufig Fehler, die wie Plagiate aussehen können, aber kein „Diebstahl geistigen Eigentums“ oder Täuschung sind. Nutzen Sie diese Fehler als Lernanlässe und machen Sie an ihnen die impliziten Regeln, Entscheidungen und Spielräume bei der Umsetzung der Konventionen deutlich.
Damit Studierende plagiatssicher arbeiten können, müssen sie folgende Konzepte erworben bzw. Kompetenzen aufgebaut haben; auf all diesen Ebenen sind Fehler möglich:
Verständnis der Diskursivität der Wissenschaft
Dem regelkonformen Umgang mit Fachliteratur liegt ein wesentliches Schwellenkonzept des wissenschaftlichen Schreibens – und des Wissenschaftsverständnisses – zugrunde: Texte beziehen ihre Bedeutung ganz wesentlich von anderen Texten (Roozen 2015: 44-47) und sind in das System des wissenschaftlichen Diskurses eingebunden. Studien zeigen, dass Studierende oft erst mit zunehmender Studien- und Schreiberfahrung die Diskursivität von Wissenschaft tiefergehend verstehen und in ihren Texten den Fachkonventionen gemäß berücksichtigen können. Studierende müssen erst erkennen, dass es in einem wissenschaftlichen Text nicht ausschließlich um einen Gegenstand geht, sondern immer auch um den wissenschaftlichen Diskurs, der über diesen Gegenstand geführt wird (vgl. Pohl 2007). Dieses Verständnis ist eine Voraussetzung dafür, den Sinn der Zitationskonventionen zu durchdringen und diese sicher umzusetzen.
Kenntnis der Konventionen im Fach
Die fachspezifischen Konventionen zum Verweis auf gelesene Literatur im eigenen Text können nur zu einem bestimmten Maß durch allgemeine Inputs vermittelt werden, weil sich viele Fragen erst am konkreten Einzelfall stellen. Wenn Studierende versuchen, aus publizierten Texten die Konventionen und Schreibpraktiken ihres Fachs zu erschließen, können sie Fehlannahmen bilden (vgl. Pecorari: 35, 38f: B., dass die Nennung mehrerer Quellenangaben innerhalb eines Absatzes unästhetisch sei oder dass pro Seite eine bestimmte Anzahl von Zitationen erwartet würde. Um diese – nachvollziehbaren – Fehlannahmen zu korrigieren, ist Ihre möglichst konkrete Rückmeldung notwendig. Korrigieren und kommentieren Sie Texte so, dass Studierende verstehen können, ob sie die Konventionen richtig umsetzen und was genau sie beim Verweis auf gelesene Literatur ändern müssen.
Formulierungssicherheit bei der Kennzeichnung fremder Gedanken und Formulierungen
Selbst wenn Studierende mit den Konventionen zum Umgang mit Fachliteratur vertraut sind, können sie unsicher sein, wie sie sprachlich und formal eigene und fremde Gedanken klar voneinander abgrenzen können und wann welche sprachlichen Mittel hierfür angemessen sind (z.B. Konjunktiv, expliziter Verweis auf die Autor*innen im Text, gerahmte Textwiedergabe, Verwendung von „ich“, konventionsgerechte Platzierung von Quellenverweisen usw.). Bis Studierende durch das Lesen und Schreiben wissenschaftlicher Texte die entsprechenden sprachlichen Kompetenzen aufgebaut haben, greifen sie möglicherweise auf Formulierungen zurück, die sie aus anderen Bereichen, z.B. dem Journalismus, kennen (vgl. Steinhoff 2007).
Übung in der Umsetzung der Konventionen und der damit verbundenen Entscheidungen
Bei der konkreten Umsetzung der Konventionen sind ständig Entscheidungen zu treffen, z.B.: Wie viele Quellen gebe ich an, wenn ich kennzeichnen will, dass etwas allgemeiner Stand der Forschung ist? Ist meine Paraphrase weit genug von der Formulierung im Ausgangstext entfernt? Wann handelt es sich um alltägliche Wissenschaftssprache (Formulierungen, die typisch für alle wissenschaftlichen Texte sind, vgl. Ehlich 1999) und wann um eine originelle Formulierung, die als wörtliches Zitat zu markieren ist? Studierende brauchen viel Übung und Rückmeldung, um Kriterien für diese Entscheidungen zu entwickeln.
Sicherheit im Leseverständnis und beim Reformulieren
Wenn Studierende Sorge haben, einen Text nicht verstanden zu haben, greifen sie häufig zu wörtlichen Zitaten oder zu Paraphrasen, die zu eng am Original sind. Der Schreibforscher Keseling spricht von einem „zu großen Respekt vor dem Wortlaut des fremden Texts und (…) einem zu geringen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, fremde Texte zu rezipieren und zu verstehen“ (Keseling 2003: 211), wenn Studierende sich nicht zutrauen, den Inhalt eines Texts in eigenen Worten zu formulieren. Dies kann zu unbeabsichtigten textuellen Übereinstimmungen führen und zu Texten ohne eine klar erkennbare eigene Argumentation.
Fehlerhafte Paraphrasen können aber auch durch eine Lernstrategie entstehen, bei der sich Studierende (zu) eng an publiziert Texte anlehnen, um sich die typischen Formulierungsweisen in wissenschaftlichen Texten anzueignen und so in das Schreiben wissenschaftlicher Texte hineinzuwachsen. Howard (1992) nennt diese Arbeitsweise patchwriting und grenzt sie ausdrücklich vom Phänomen Plagiat ab.
Plagiatssichere Arbeitsweisen beim Lesen, Notizen machen und Schreiben
Um beim Schreiben Informationen und Formulierungen einer Quelle zuordnen zu können, sind systematische Strategien zum Notieren, Dokumentieren und Ablegen des Gelesenen notwendig. Studierende müssen lernen, die Informationen aus einer Vielzahl an Texten zu verarbeiten, in Bezug zueinander zu setzen und dabei immer zu wissen, welche Information aus welchem Text stammt. Eine solche Wissensrepräsentation ist komplex und Studierende benötigen einige Zeit, um sich entsprechende Arbeitsweisen anzueignen.
Fachwissen
Um die Konventionen zum Umgang mit Fachliteratur im eigenen Text umzusetzen, sind Fachwissen und ein gewisser Überblick über den (relevanten Ausschnitt des) Fachdiskurs notwendig, z.B. für die Entscheidung, was nicht weiter zu belegendes fachliches Allgemeinwissen darstellt, welche konkreten Quellen als zitierfähig gelten oder wie viele Quellen zitiert werden müssen. Gerade am Anfang des Studiums fehlt Studierenden dieses Wissen noch.