Vorurteile und Vorteile
Finden Sie sich auch manchmal wieder in der „Alles-ist-wichtig-Illusion“ (Lehner 2006, 38)? Denken Sie vielleicht „Ja, klingt ja irgendwie sinnvoll mit der Stoffreduktion, ABER…“? (Hier können Sie viele gängige Vorurteile einfügen, z.B. dass es in der Lehre um Wissensvermittlung geht, dass Methoden Ihnen Zeit für die Stoffvermittlung rauben, …)
Fakt ist: Sie stecken – wie all Ihre Kolleg:innen in der Lehre – in einem Dilemma, denn Stoffmenge und Didaktik scheinen sich zu widersprechen. Dabei wissen wir mittlerweile, dass das Gegenteil gilt: „Stoffreduktions- und –strukturierungstechniken (…) schaffen den Blick auf das Wesentliche, Raum für Methodik und Didaktik, den Weg raus aus der Vollständigkeitsfalle, Raum für selbständiges Denken und Handeln der TeilnehmerInnen (sic), Freiräume für TeilnehmerInnen (sic), Raum für Ein- und Ausatmen – und damit für Lernen überhaupt, [und] Steigerung der Behaltensleistung.“ (Ritter-Mamczek 2011, 30 f.)
Lehner (2006, 110) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Reduzieren und Aktivieren direkt zusammenhängen. Denn eine reduzierte Stoffmenge ermöglicht aktives Lernen: „Inhalte werden erfolgreich gelernt, wenn sie intensiv erschlossen und verarbeitet werden. Aktive Lerntätigkeiten sind deshalb auf zeitliche Spielräume verwiesen.“ Der Autor bringt somit eine zweite Ebene ein: Stoffreduktion hilft der Lehrperson in der Vorbereitung und Durchführung der Lehrveranstaltung, und sie lässt sich in der Lehre gezielt als Methode einsetzen, um studentisches Lernen anzuregen. Oftmals reicht das eigenständige Erstellen eines Spickzettels aus, um den Inhalt zu verinnerlichen. Wenn Sie sich die Vielfalt an möglichen Lernaktivitäten vor Augen führen, die mit der unten stehenden Grafik noch nicht abgedeckt ist, finden Sie darin auch das Reduzieren. Wie Sie diese Aktivität gezielt in der Lehre einsetzen können, um Lernprozesse bei Ihren Studierenden anzuregen, sehen Sie beispielhaft im Methodenteil dieser Rubrik.
Abbildung 4: Lernaktivitäten in der Übersicht (nach Lehner 2006).
Die metakognitive Lernstrategie des Reduzierens, die das Erkennen des Wesentlichen beinhaltet, ist eine der Schlüsselqualifikationen, die Studierende im Studium lernen sollten, um im Arbeitsalltag zu bestehen (Lehner 2006, 136). Wenn immer mehr Wissen zur Verfügung steht, z.B. im virtuellen Raum, brauchen Menschen zunehmend die Kompetenz, mit diesem umzugehen, d.h. sich einen Überblick zu verschaffen und Wesentliches vom Unwesentlichen zu trennen. Das gilt für Studierende und für Lehrende.
Lehner (2006, 46 ff.) stellt die These auf, dass eine „Weniger-ist-mehr-Philosophie“ zu neuen Einsichten führe, denn wer den eigenen Stoff reduziere, reflektiere ihn dafür statt ihn nur zu bündeln – was eine hohe kognitive Leistung ist: „Inhalte auswählen ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die fachliche Kompetenz erfordert und diese gleichzeitig voranbringt.“ (ebd., 48)