Lernziele mit und über textgenerierende Technologien
Erst die Lernziele, dann die Methoden
Damit Sie eine Entscheidung darüber treffen können, ob der Einsatz textgenerierender Technologien in Ihrer Lehrveranstaltung sinnvoll ist und wie dieser gestaltet sein kann, sollten Sie sich zunächst Gedanken darüber machen, was die Lernziele sind, die Ihre Studierenden erreichen sollen. Denn erst ausgehend von diesen Lernzielen können Sie überlegen, inwiefern textgenerierende Technologien diese unterstützen oder damit interferieren könnten.
Es gibt mittlerweile viele Ideen und Handreichungen dazu, wie man textgenerierende Technologien in einer Lehrveranstaltung einsetzen kann – sei es, um die Grenzen der Technologie auszutesten oder um den Studierenden hilfreiche Anwendungsgebiete zu zeigen. Die Auswahl von Methoden sollte dabei immer abhängig von dem Ziel sein, das Sie damit erreichen wollen.
Die folgende Tabelle zeigt mögliche Lernziele, die Sie in Hinblick auf textgenerierende Technologien setzen können:
Lernen über textgenerierende Technologien | Lernen mit textgenerierenden Technologien (TGT) |
über die Nutzung (z.B. Navigation des Interfaces, Prompting) | mit TGT als Hilfsmittel im Arbeitsprozess (z.B. zur Ideenfindung, Textüberarbeitung) |
über die Technologie (z.B. neuronale Netze) | mit dem generierten Output als Vergleich (z.B. generieren verschiedener Texte, um etws über eine Textsorte zu lernen) |
über historische, politische & soziale Zusammenhänge (z.B. Bias, Datenschutz) | mit TGT als „Lernpartner“ (z.B. sokratischer Dialog) |
über den Output (z.B. falsche Aussagen) |
Wollen Sie beispielsweise den Studierenden zeigen, wo die Grenzen der Technologie liegen – z. B. beim Generieren von Quellenangaben – dann ist das ein legitimes Lernziel: Die Studierenden dafür zu sensibilisieren, dass sie beim Gebrauch textgenerierender Technologien immer auf die Richtigkeit der Angaben achten müssen. Wollen Sie die Technologie kreativ einsetzen, zum Beispiel, um Merksätze zu generieren, mit denen sich Studierende einen komplexen Sachverhalt besser merken können, dann können die Lernziele andere sein: Dass die Studierenden die Technologie als Stütze im Lernprozess nutzen lernen – oder aber es geht gar nicht um die Technologie, sondern um den Inhalt der Merksätze, den die Studierenden im Gedächtnis behalten sollen. Es gibt insofern keinen pauschalen „richtigen“ Weg, textgenerierende Technologien in eine Lehrveranstaltung zu integrieren. Hier sind Sie als Lehrende*r und Expert*in für Ihr Fach gefragt: Was müssen die Studierenden lernen, um die Kompetenzen zu erlernen, die für Ihr Fach relevant sind?
Die richtigen Fragen stellen
Was sollen Studierende eigentlich lernen? Das Studium bereitet Studierende sowohl auf das wissenschaftliche Arbeiten als auch oft auf eine fachbezogene Berufspraxis vor. Sie als Lehrende sind dabei die Expert*innen dafür, welche Kompetenzen die Studierenden brauchen, um professionell zu handeln – denn das sollen Sie Ihnen während des Studiums vermitteln. Ausgehend von dieser professionellen Praxis wählen Sie die Lernziele für Ihre Lehrveranstaltung. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:
- Wo im Studium befinden sich die Studierenden? Handelt es sich um Erst- und Zweitsemester oder um Masterstudierende?
- Welches Wissen sollen die Studierenden sich aneignen?
- Welche Kompetenzen sollen die Studierenden ausbilden?
- Wie viel Zeit steht dafür zur Verfügung?
- Welche Vorgaben macht die Studienordnung, z. B. zu Modulabschlussprüfungen?
Und natürlich noch viele weitere mehr – abhängig von den Erwartungen, die Studierende, andere Lehrende oder Sie selbst an sich stellen.
Ausgehend von diesen Fragen können Sie reflektieren, inwiefern textgenerierende Technologien für Ihre Lehrveranstaltung eine Rolle spielen. Hier zwei hypothetische Beispiele:
1) Eine Hausarbeit in Mathematik soll auf Englisch verfasst werden. Der Lehrenden ist es egal, ob die Studierenden DeepL zur Übersetzung nutzen oder nicht – die sprachliche Ausformulierung ist für die Bewertung nicht so wichtig; tatsächlich nutzen viele Forschende ebenfalls DeepL für Veröffentlichungen, deshalb sollten die Studierenden dieses Tool ebenfalls gut nutzen lernen.
2) Eine Hausarbeit in der Anglistik soll auf Englisch verfasst werden. Der Lehrenden ist wichtig, die sprachliche Ausdrucksfähigkeit der Studierenden abzuprüfen. Sie könnte den Entstehungsprozess der Hausarbeit formativ begleiten, Teile der Hausarbeit schon während des Seminars erarbeiten lassen und transparent machen, dass sie bei der Bewertung der Hausarbeit auch besonders auf die Ausbildung einer eigenen ‚voice‘ oder Positionierung achten wird.
Den Schreibprozess aufdröseln
Viele sehen textgenerierende Technologien als Problem, weil sie eines der wichtigsten Prüfungsformate infrage zu stellen scheint, das derzeit an den Hochschulen genutzt wird: die Hausarbeit. Denn die Hausarbeit schult viele wichtige Kompetenzen, die das wissenschaftliche Arbeiten ausmachen: Eine Forschungslücke zu identifizieren und eine Forschungsfrage zu formulieren, Literatur zu recherchieren und in die eigene Argumentation einzubauen, wissenschaftlich zu argumentieren und zu formulieren, richtig zu zitieren und referenzieren usw. Sie dient dem Einüben dieser Kompetenzen und wird gleichzeitig als Prüfungsleistung bewertet. Zudem ist die Hausarbeit in einem seltsamen Zwischenstatus zwischen „echter“ und „fiktionaler“ Forschung. Denn im besten Fall kommen Studierende tatsächlich zu (für sie) neuen Erkenntnissen – vorausgesetzt werden sollte dies aber nicht. Diese unterschiedlichen Erwartungen sind eine Herausforderung. Denn es kann für Studierende demotivierend sein, zu wissen, dass es sich nicht um eine „echte“ Forschungsarbeit handelt („Hausarbeiten für die Schublade“). Ebenso kann es für die Lernenden überfordernd sein, wenn während des Studiums schon erwartet wird, dass sie Forschungsarbeiten auf professionellem Niveau erarbeiten.
Für die Nutzung textgenerierender Technologien ist dieser Zwischenstatus der Hausarbeit sehr relevant. Denn er macht es notwendig, dass Sie entscheiden, ob Sie das Lernen oder das Ergebnis in den Vordergrund stellen. Steht das Erlernen bestimmter Kompetenzen für Sie im Vordergrund, die das eigene Schreiben voraussetzen (zum Beispiel am Anfang des Studiums), dann könnte es notwendig sein, dass Sie die Nutzung textgenerierender Technologien für den Prüfungskontext verbieten – auch wenn sie in der professionellen Praxis genutzt werden.
Was lernen Studierende beim Schreiben einer Hausarbeit? Um sich dieser Frage zu nähern, ist es hilfreich, zunächst den Schreibprozess aufzudröseln, denn dieser besteht aus vielen einzelnen, vielfältigen Tätigkeiten und Aufgaben.
Was passiert alles beim Schreiben einer Hausarbeit?

Abbildung 1: Tätigkeiten, die zum Schreibprozess gehören. Quelle: eigene Darstellung.
(In der Abbildung wurde bewusst auf eine Hierarchisierung oder Systematisierung verzichtet – denn in den wenigsten Fällen läuft der Schreibprozess linear ab und keine Tätigkeit ist wichtiger oder weniger wichtig als eine andere.)
Tipp: Führen Sie sich Ihren eigenen Schreibprozess vor Augen. Was müssen Sie dabei alles tun? Was ist für Ihre Disziplin besonders wichtig?
Reflexion der eigenen (Schreib-)Praxis
Ob und inwiefern sich textgenerierende Technologien auf wissenschaftliche und andere professionelle Praktiken auswirken werden, lässt sich derzeit noch schwer abschätzen. Texte sind immer noch das wichtigste Medium, über das Wissenschaftler*innen ihre Ergebnisse mit anderen teilen und so Forschung, die immer als Diskurs angelegt ist, ermöglichen. Mit Sicherheit wird es disziplinspezifische Unterschiede geben, denn die Funktionen von Schreiben und von Texten sind in den verschiedenen Disziplinen unterschiedlich. Während in einigen Disziplinen das Schreiben eine der zentralen Methoden zur Erkenntnisgewinnung ist, nimmt es in anderen einen weniger zentralen Stellenwert ein.
Schreiben kann aber unabhängig von der disziplinspezifischen Praxis als hilfreiches Mittel im Lern- und Erkenntnisprozess eingesetzt werden – um beispielsweise Inhalte besser zu verinnerlichen oder sich mit Ihnen auseinanderzusetzen. Deshalb gibt es gute Gründe, das eigene Schreiben weiterhin zu lehren und zu lernen.
Wenn Sie als Lehrende*r vor der Entscheidung stehen, ob und wie Sie textgenerierende Technologien in Ihrer Lehrveranstaltung thematisieren sollen, hilft es, eine Reflexion der eigenen Praxis vorzunehmen und dabei zu beobachten, was Sie tun und was dabei passiert.
Tipp: Nehmen Sie sich ein Schreibprojekt, an dem Sie gerade arbeiten – oder, falls Sie gerade keines haben, ein vergangenes oder eines, an dem Sie gerne arbeiten würden. Greifen Sie sich eine der vielen Schreibtätigkeiten heraus, z. B. Paraphrasieren, Lesen, eine Gliederung erstellen, …
Führen Sie die Tätigkeit aus, wie Sie es bisher getan haben. Stellen Sie sich dabei folgende Reflexionsfragen:
- Was konkret tue ich?
- Was denke ich?
- Was lerne ich?
- Was fühle ich?
Wenn Sie beispielsweise selbstständig paraphrasieren, könnte Ihnen Folgendes durch den Kopf gehen: „Bin ich zu nah am Text? Ist deutlich, wen ich referenziere und warum? Wie binde ich die Paraphrase so ein, dass sie in meine Argumentation passt? Positioniere ich mich zu dem Gesagten?“
Führen Sie das Gleiche nun mithilfe einer textgenerierenden Technologie durch. Stellen Sie sich die gleichen Fragen:
- Was konkret tue ich?
- Was denke ich?
- Was lerne ich?
- Was fühle ich?
Beim Paraphrasieren mit einer textgenerierenden Technologie werden vielleicht andere gedankliche Prozesse angestoßen: „Wie kriege ich hin, dass der generierte Text in meine Argumentation passt? Muss ich die Paraphrase überarbeiten? Was muss ich eigentlich über wissenschaftliche Paraphrasen wissen, um zu erkennen, dass der generierte Text gut ist?“
Es gibt derzeit noch keine gesicherten Ergebnisse darüber, wie sich die Nutzung von textgenerierenden Technologien auf Lernprozesse auswirkt. Diese Übung kann eine niedrigschwellige Herangehensweise sein, damit Sie daraus Lernziele formulieren, bei denen Ihre Studierenden die Kompetenzen erlernen, die für Ihre Disziplin relevant sind.