Veränderung von Bewertungskriterien?

Aufgrund der Verfügbarkeit von textgenerierenden Technologien wird viel darüber diskutiert, ob sich Bewertungskriterien verändern müssen. Ein wichtiges Argument in dieser Diskussion ist, dass sich in Bewertungskriterien widerspiegelt, was die Leistung einer*s Studierenden ist – und die Kriterien sollen gewährleisten, dass die Note, die Sie auf eine Prüfungsleistung geben, gegenüber anderen Studierenden fair ist. Da textgenerierende Technologien nicht nur auf rein sprachlicher Ebene auf den Schreibprozess einwirken können, sondern auch Impulse und Ideen – z. B. für Argumente oder eine Forschungsfrage – geben können, stellt sich die Frage, inwieweit diese gedankliche Arbeit „ausgelagert“ werden kann.

Auch das ist keine neue Frage. Schauen Sie sich folgende Abbildung an:

Abbildung 2: Textproduktion in der Wissenschaft zwischen Eigenarbeit und Ghostwriting. Quelle: eigene Darstellung.

Sie zeigt, dass wir uns in der Lehre schon immer in einem Geflecht befinden, bei dem nie ganz eindeutig ist, wo ein Gedanke herkommt. Beide Pole sind problematisch: Nicht nur das Ghostwriting, wo der Arbeitsprozess komplett an jemand anderen übergeben wird, sondern auch das Schreiben im luftleeren Raum, denn in der Wissenschaft geht es nicht darum, nur die eigenen Gedanken aufzuschreiben, die einem zu einem Thema kommen. Im Gegenteil, die Einordnung in einen Forschungsdiskurs und das Referenzieren von schon existierendem Wissen ist zentral für den Erkenntnisprozess. Implizit erwarten Sie, dass die Studierenden aus der Vorlesung oder dem Seminar Wissen über ein Thema mitbringen, und in Sprechstunden beraten Sie die Studierenden auf vielfältige Weise. Inwiefern textgenerierende Technologien die eigene gedankliche Arbeit unterstützen oder ob sie als „Ghostwriter“ fungieren, lässt sich also nicht pauschal beantworten – es kommt auf die Nutzung an.

 

Bewertungskriterien: Mit, ohne und unabhängig von textgenerierenden Technologien

Ob sich Bewertungskriterien für Prüfungsleistungen verändern, hängt – wie alles – mit den Lernzielen zusammen, die Sie für Ihre Lehrveranstaltung formuliert haben. Die Entscheidung, ob Sie textgenerierende Technologien als Hilfsmittel zulassen oder nicht, sollte sich entsprechend in den Bewertungskriterien widerspiegeln. Im Folgenden werden für das Lernziel „Forschungsfrage finden“ beispielhaft drei mögliche Bewertungskriterien aufgezeigt.

 

Beispiel: „Forschungsfrage finden“

Lernziel ohne KI: Der*die Studierende kann eine Forschungsfrage entwickeln, die das eigene Wissen und Interesse widerspiegelt.

Bewertungskriterium: Der*die Studierende reflektiert die Entstehung der Forschungsfrage vor dem Hintergrund des eigenen Wissens und Interesses.

  • In diesem Fall könnte die Reflexion und Positionierung der Studierenden stärker gewichtet werden.

 

Lernziel mit KI: Der*die Studierende kann textgenerierende Technologie methodisch sinnvoll einsetzen, um eine gute Fragestellung zu entwickeln.

Bewertungskriterium: Der*die Studentin zeigt, dass er*sie die textgenerierende Technologie genutzt hat, um eine den wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Fragestellung zu entwickeln.

  • Bei diesem Kriterium könnte es sinnvoll sein, einen Nachweis über das Vorgehen der Studierenden mit der Arbeit einzufordern, in der beispielsweise die Prompts oder der Chatverlauf als Anhang oder in einer Reflexion dargestellt werden.

 

 

Lernziel unabhängig von KI: Der*die Studierende kann eine für das Forschungsfeld relevante Fragestellung entwickeln und in den aktuellen Diskurs einordnen.

Bewertungskriterium: Der*die Studierende hat eine Fragestellung identifiziert und vor dem Hintergrund des aktuellen Diskurses begründet.

  • In diesem Fall ist es vielleicht irrelevant, ob der*die Studierende textgenerierende Technologien eingesetzt hat, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Hier wird der Prozess weniger gewichtet als das Resultat.

 

Video-Tipp: Unser Kurzvortrag „Kompetenzorientiertes Prüfen im Zeitalter von KI-Schreibtools“ im April 2023 beim University Future Festival steht bei Youtube zum Anschauen bereit. Darin gehen wir noch etwas detaillierter auf ein anderes Beispiel an Prüfungskriterien ein.